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Ausgabe 104-4/2005

DAS WANDELNDE SCHLOSS

HAURU NO UGOKU SHIRO

DAS WANDELNDE SCHLOSS

Produktion: Studio Ghibli / Tokuma Shoten / Tohokushinsha / Dentsu / NTV; Japan 2004 – Regie und Buch: Hayao Miyazaki, nach dem Roman "Sophie im Schloss des Drachens" von Diana Wynne Jones – Kamera: Atsushi Okui – Schnitt: Takeshi Seyama – Musik: Joe Hisaishi – Produktionsdesign: Yiji Takeshige, Noboru Yoshida – Anime – Länge: 117 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Universum Film – Altersempfehlung: ab 6 J.

Hayao Miyazaki ist einer der ganz großen Anime-Meister, der weltweit mit Preisen und Auszeichnungen bedacht ist. Nach dem Goldenen Bären (2002) und dem Oscar für "Chihiro" (2003) erhielt er 2005 anlässlich der Internationalen Filmfestspiele in Venedig den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk. Dieser Preis geht damit zum ersten Mal in der Geschichte der Filmfestspiele Venedig an einen Regisseur für Animationsfilme. Miyazakis Filme haben mittlerweile auch bei uns die verdiente künstlerische Anerkennung und eine bemerkenswerte Publikums-Resonanz gefunden, von seiner Beliebtheit bei den Manga- und Anime-Fans ganz zu schweigen. Seine Filme geleiten uns in immer neue Fantasy-Welten. "Prinzessin Mononoke" fußt auf den Sagen Japans im 14. Jahrhundert, einer Zeit, in der die Zerstörung der Natur durch den Menschen begann, und "Chihiros Reise ins Zauberland" zeigt einen modernen Vergnügungspark, der von Geistern und Dämonen behaust ist. "Das wandelnde Schloss" führt seine Besucher – also die Zuschauer – quer durch Räume und Zeiten.

Protagonistin der Handlung ist das Mädchen Sophie, das als Hutmacherin im Geschäft ihres verstorbenen Vaters arbeitet. Bei einem ihrer seltenen Besuche in der Stadt lernt sie zufällig den attraktiven und charismatischen Zauberer Hauro kennen. Sie verliebt sich in ihn und wird daraufhin von einer eifersüchtigen Hexe mit einem Fluch belegt, der sie in eine alte Frau verwandelt. Plötzlich muss Sophie sich im gebrechlichen Körper einer 90-Jährigen zurechtfinden! Unerkannt verlässt sie ihre Heimatstadt und zieht in die Ferne, um Hauro zu suchen und den bösen Fluch rückgängig zu machen. Schließlich findet sie ihn und arbeitet von nun an als Putzfrau in seinem geheimnisvollen "wandelnden Schloss" – ein gigantisches mechanisches Ungetüm, das sich auf insektenähnlichen Beinen bewegt, aus allen Löchern pfeift und seine Türen in vier verschiedene Welten und Zeiten öffnen kann. Feuer-Teufel Calcifer, der das Haus bewacht, und Hauros kindlicher Assistent Markl werden bald ihre Freunde – nur der selbstverliebte Hauro schenkt ihr kaum Beachtung und genießt das Leben in seiner unbekümmerten Art. Als er jedoch vom König berufen wird, sein Land vor dem drohenden Krieg zu retten, übernimmt er erstmals Verantwortung. Das alleine reicht aber nicht: Erst Sophies wachsende Liebe zu ihm vermag schließlich den Fluch zu lösen, sie beide zu retten und die Welt vor Zerstörung zu bewahren.

Wir wissen, dass sich bei Miyazakis Märchen am Ende der Geschichten das Böse in das Gute verwandelt – aber der fantasievolle, witzige und optisch reichhaltige Weg dorthin ist auch hier das eigentliche Ziel. Die Bilder dieses Films sind mit Worten nur schwer zu beschreiben; die originellen, ausgefallenen Charaktere, die phantasievollen Hintergründe und der einfallsreiche, sich immer wieder drehende und wendende Handlungsverlauf lassen sich nur durch eine sorgfältige Sequenzanalyse einigermaßen anschaulich wiedergeben, was aber einem Fantasyfilm mit märchenhaften Kreaturen in romantischem Ambiente nicht gerecht wird. Der Gesamteindruck ist ein berauschendes Erlebnis, das die Betrachter staunen und entzücken lässt. Wüsste man nicht, dass es sich um ein Anime von Hayao Miyazaki handelt, so würde man auf einen europäischen Film schließen, der so etwa in der Zeit der Gründerjahre in (möglicherweise) elsässischen Städten und Landschaften spielt. Irritierend dann die futuristischen Flugmaschinen, die einen krassen Gegensatz zu der harmonischen, idyllischen Landschaft bilden. Jules Verne und Karel Zeman reichen sich hier die Hände.

Die Charaktere sind dann wieder typisch für den Meister aus Japan. Sophie, die gleich zu Beginn des Geschehens von einem hübschen, braven Mädchen in eine alte Frau verwandelt wird, nimmt im Schlaf ihr früheres Aussehen wieder an und verändert sich mit fortschreitender Handlung zu einer jungen Frau. Der kleine freche Junge Markl, ein Schüler von Hauro, kann sich blitzschnell in einen vorlauten, besser wissenden Zwerg verwandeln. Aus der grimmigen Hexe wird eine bemitleidenswerte alte Frau, die von Sophie rührend umsorgt wird, obwohl sie das Opfer ihrer bösen Tat ist. Und dann natürlich der Schlossherr, der attraktive Jüngling Hauro. Er ist ein Zauberer, der unter verschiedenen Namen agiert und – im wahrsten Sinne des Wortes – verschiedene Gestalten annehmen kann.

"Das wandelnde Schloss" ist ein humorvolles, zutiefst humanes und zugleich fantasievolles Abenteuer um die Liebe eines Mädchens zu einem geheimnisvollen jungen Helden, der Frieden mit seinen magischen Kräften finden muss. Die eigentliche Hauptrolle aber ist die Titelrolle: das wandernde, wandelnde Schloss. Es sieht aus wie ein riesiges Monstrum aus übereinander gestapelten Häusern, Räumen und Stegen, geheimen Treppen, Türmchen und Kaminen; ein auf metallenen Stelzen sich fortbewegendes Kunstwerk – vergleichbar einem Mobile, das vom Künstler und Kinetiker Jean Tinguely stammen könnte.

Die in Bristol lebende Engländerin Diana Wynne Jones, die Autorin des Romans (im Original: "Howl's Moving Castle"), wurde 1934 geboren. Ihre Kindheit war vom Zweiten Weltkrieg geprägt und sie versuchte ihr Leben lang, diese schlimmen Erinnerungen mit Hilfe von Fantasie und Vorstellungskraft zu bewältigen. In ihrer Studienzeit in Oxford beeinflussten sie die Vorlesungen über C. S. Lewis und J. R. R. Tolkien, aber erst im Alter von vierzig Jahren begann sie zu schreiben. 1977 wurde Wynne Jones mit dem Guardian Award für Kinderbücher ausgezeichnet. "Howl's Moving Castle" erschien 1986. Vier Jahre später griff sie das Thema noch einmal auf, in einer orientalischen Variante ("The Castle of the Clouds"), in dem sie ihren Helden Abdullah in ein fliegendes Schloss voller Prinzessinnen versetzt. "Sophie im Schloss des Zauberers" wird in Deutschland vom Carlsen Verlag herausgebracht.

Horst Schäfer

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.DAS WANDELNDE SCHLOSS im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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