Produktion: Luna Film GmbH / HFF "Konrad Wolf" / RBB / BR / SWR; Deutschland 2005 – Regie: Manuela Stacke – Buch: Katrin Milhahn – Kamera: Alexander Sass – Schnitt: Dirk Schreier – Musik: Nicolas Nohn, Emmanuel Heiel – Darsteller: Leonie Krahl (Lisa), Lucas Hardt (Simon), Lucas Calmus (Paul), Renate Krößner, Walter Kreye u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe – Verleih: Piffl Medien – Altersempfehlung: ab 8 J.
In der Schule gilt die 13-jährige Lisa als Außenseiterin, denn jeden Nachmittag muss sie sich um ihren kranken Bruder Paul kümmern. Ihre alleinerziehende Mutter hat dazu nicht genug Zeit, sie ist ganztags als Busfahrerin im Einsatz. Der sechsjährige Paul ist unheilbar an einer seltenen Form von Hautkrebs erkrankt: Er darf deshalb nie ins Sonnenlicht und muss sich im Haus hinter verdunkelten Fenstern oder UV-Lichtschutzfolien aufhalten. Um ihren Bruder abzulenken, hat Lisa eine Phantasiewelt für Paul erfunden. Darin verwandelt er sich in einen verschollenen Raumschiffkapitän, der auf der Erde nicht normal leben kann. Auf der Suche nach einem fehlenden Antriebsmodul für sein Raumschiff reist der Kapitän zwischen den Planeten umher und erlebt viele Abenteuer.
Als Lisa sich in den gleichaltrigen Simon verliebt, wird Paul zur Bürde. Viel lieber als auf ihren kleinen Bruder aufzupassen würde sie sich mit dem coolen Simon verabreden. Paul reagiert natürlich mit Eifersucht, auch gesundheitlich geht es ihm schlechter. Im Krankenhaus kann sich Lisa aber wieder mit ihm aussöhnen. Auch Simon überwindet nach anfänglichen Irritationen seine reservierte Haltung gegenüber Paul und hilft Lisa dabei, einen Sterbemythos für den Kleinen in die Tat umzusetzen. Als Paul schließlich stirbt, sieht man, dass er in seiner Phantasie zu seinem Planeten heim fliegt.
Für ihren ersten langen Spielfilm erhielt die 1970 in Heidelberg geborene Regisseurin Manuela Stacke auf dem Filmfestival Max Ophüls Preis in Saarbrücken 2006 den Publikumspreis. Ein viel versprechendes Signal für eine reguläre Kinoauswertung, die dem sensibel und souverän inszenierten Film zu wünschen ist, der als Stackes Abschlussfilm an der Filmhochschule in München entstand und mit der Babelsberger Filmhochschule koproduziert wurde. Ihren künstlerischen Ansatz beschreibt die 35-Jährige als "realistisches Märchen", wobei die lebensnahen Figuren, und dramatischen Verwicklungen um Leid und Trauer für den Realismus sorgen, während die romantische erste Liebe und der Fantasy-Ausflug ins Weltall für den märchenhaften Ton.
Einfühlsam beschreibt Stacke die Belastung, die der erkrankte Junge für seine Schwester und seine alleinerziehende, berufstätige Mutter bedeutet, die damit spürbar schlechter zurechtkommt als Lisa. Einfallsreich auch das Drehbuch von Katrin Milhan, das facettenreich schildert, wie Phantasie, Liebe und Solidarität der Angst vor dem Sterben ein Schnippchen schlagen.
Indem der anrührende Film die Schwierigkeiten von Lisa und ihrer Mutter anschaulich macht, für Paul einen erträglichen Alltag zu organisieren, weckt er Verständnis für eine nur wenig bekannte, weil seltene Krankheit: Xeroderma pigmentosum, deren Ursache ein genetischer Defekt ist. Die Betroffenen leiden unter extrem trockener und pigmentierter Haut. Sie sind so empfindlich, dass direktes Sonnenlicht unweigerlich zu Hautkrebs führt. Deshalb dürfen XP-Kranke nur bei Dunkelheit nach draußen oder wenn sie sich komplett verhüllen. Kinder mit XP-Erkrankung werden daher als "Mondscheinkinder" bezeichnet. Viele Patienten haben infolge von Operationen und Hauttransplantationen entstellte Gesichter. Derzeit gibt es etwa 60 XP-Fälle in Deutschland.
Mit viel Mut zur Emotion begleitet Manuela Stacke die Stationen einer außergewöhnlichen Geschwisterbeziehung in der ästhetischen Form eines Melodrams, bei dem die Musik stellenweise zwar etwas zu dick aufgetragen ist, das aber nie in die Untiefen der Sentimentalitäten abdriftet. Da Erwachsene im Film nur am Rande vorkommen, tragen die Jungdarsteller fast die ganze Last der Darstellung. Kompliment vor allem an Leonie Krahl und Lucas Calmus, die die schwierige Aufgabe absolut überzeugend meistern.
Reinhard Kleber
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 108-2/2006 - Interview -
"Es gibt nicht viele Filme, die Kinder noch interessieren und trotzdem auch schön sind für Erwachsene"
MONDSCHEINKINDER im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.
Inhalt der Print-Ausgabe 106-2/2006
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