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Ausgabe 115-3/2008

KINDER, MÃœTTER UND EIN GENERAL

Produktionsfirma: Intercontinental Filmgesellschaft – Produzent: Erich Pommer – Bundesrepublik Deutschland 1954/55 – Regie: Laszlo Benedek – Drehbuch: Herbert Reinecker, Laszlo Benedek, nach dem Roman "Hauen Sie ab mit Heldentum" von Herbert Reinecker – Kamera: Günther Rittau – Schnitt: Anneliese Artelt – Musik: Werner Eisbrenner – Darsteller: Hilde Krahl, Therese Giehse, Ursula Herking, Alice Treff, Marianne Sinclair, Beate Koepnick, Adi Lödel, Dieter Straub, Holger Hildmann, Karl-Michael Kuntz, Walter Lehfeld, Peter Bürger, Bernhard Wicki, Claus Biederstaedt, Rudolf Fernau, Hans-Christian Blech, Klaus Kinski, Maximilian Schell, Alfred Schieske, Ewald Balser, Paul Edwin Roth u. a. – Länge: 109 Min. – s/w – Altersempfehlung: ab 14 J.

Beim Festival "Goldener Spatz 2008" gab es im Vergleich zu den Vorjahren keine Retrospektive, sondern unter dem Stichwort "Die Ausgrabung" die Wiederaufführung des Films "Kinder, Mütter und ein General". Das Anliegen der Vorführungen in Gera und Erfurt war es, dem Publikum von heute interessante Filme von gestern nahe zu bringen. Der Mitte der 50er-Jahre entstandene Film führt zurück in die letzten Monate des Zweiten Weltkriegs. Als die "Heimatfront" immer näher heranrückte, wurden aus Schülern Soldaten. Diese Kindersoldaten waren das letzte Aufgebot der deutschen Wehrmacht. Vor allem an der Ostfront wurden Jungen der Hitlerjugend in Kampfhandlungen verwickelt.

Von einer Gruppe von Schülern, die sich durch Propaganda-Parolen dazu verleiten ließ, sich für den Einsatz an der Front zu melden, handelt der Film "Kinder, Mütter und ein General". Er spielt Ende März 1945 östlich von Stettin. Die Stadt ist in einem Zustand der Auflösung; überall herrscht das Chaos. In einer Knabenschule in Stettin suchen einige Frauen ihre Söhne. Sie wurden dorthin evakuiert und die Mütter möchten nun ihre Kinder aus der gefährdeten Stadt herausholen und zu sich nehmen. Aber die sind nicht mehr da; insgesamt 15 haben sich freiwillig für den Fronteinsatz zur Verteidigung des Vaterlandes gemeldet. Sechs Frauen – fünf Mütter und die ältere Schwester eines Jungen – machen sich auf den Weg nach Pyritz auf der Suche nach den Jungen, alle im Alter zwischen 14 und 15 Jahren. Die Soldaten, auf deren Hilfe sie unterwegs angewiesen sind, raten ihnen von dem Unternehmen ab. Aber die Frauen lassen sich nicht beirren und erreichen den Divisions-Gefechtsstand. Die Jungen wurden zwischenzeitlich bewaffnet und befinden sich bereits im Einsatz. Die Frauen suchen daraufhin den direkten Weg zur Front. Bei der Übernachtung in einem leer stehenden Gasthof begegnen sie einer Gruppe "Versprengter", die von einem strammen Leutnant angeführt wird. Ein Deserteur wird erschossen. Erstmals erleben die Frauen hier direkt einen Ausschnitt aus der Realität eines Frontkampfes. Sie entschließen sich dennoch, durch das unwegsame Gelände der Front zur "Kampfgruppe Dornberg" vorzudringen. Die Jungen freuen sich einerseits über das Wiedersehen mit den Müttern, andererseits ist es ihnen gegenüber ihren männlichen Kameraden und Vorgesetzten peinlich, dass ihre Mütter mit ihnen abziehen wollen.

Hauptmann Dornberg ist von Selbstzweifeln und Skrupeln befallen; er zweifelt an seiner Mission, aber er kann den Wünschen der Frauen nicht nachgeben. Ein Großangriff der Roten Armee bewirkt, dass die Kampfgruppe Dornberg umzingelt ist und keine Verbindung mehr zum Divisions-Kommando hat. Dornberg handelt eigenmächtig und ordnet einen Ausbruch an, obwohl damit das Risiko eines Kriegsgerichtsverfahrens verbunden ist. Das Unternehmen gelingt. Seine Gruppe, ohnehin schon stark reduziert, erreicht nach einem gefährlichen Einsatz – die Jungen und die Frauen beschützend – das Divisions-Kommando. Der General lässt Dornberg wegen seiner Eigenmächtigkeit in Arrest nehmen: "Der Krieg ist verloren, aber man kann nicht aus dem Gesetz heraustreten." Die jungen Soldaten werden wegen ihres vorbildlichen Charakters von Kriegsberichterstattern besucht; sie werden gefilmt und interviewt. Als der General die Kinder auszeichnet, greifen die Russen an. Dornberg wird zum Dienst zurückbeordert und soll mit seinen Männern einen Gegenangriff anführen, obwohl kaum Aussicht auf Erfolg besteht. Die Mütter verstecken auf Anraten älterer Soldaten ihre Jungen in einem Schuppen; sie bleiben alleine zurück, während Dornberg und seine Truppe davon zieht. Die Soldaten werden wahrscheinlich nicht mehr zurückkehren.

Der Film entstand in einer Phase des Nachkriegsfilms, in der die Produktionen in die Politik der Adenauer-Ära eingebunden waren. Um das Misstrauen gegenüber der "Väter"-Generation abzubauen und die bislang dominierenden Vorbilder der Deutschen aus den Filmbiografien der Nazizeit zu verdrängen, wurden andere Autoritäten und Leitbilder porträtiert und an berühmte Persönlichkeiten der deutschen Geschichte erinnert. Bei der Produktion "Kinder, Mütter und ein General" trafen zudem wie bei keiner anderen auf engstem Raum Filmschaffende aus verschiedenen Epochen mit unterschiedlichen Lebenswegen und künstlerischen Werdegängen, mit divergierenden Positionen und Erfahrungen aufeinander.

Da ist zunächst einmal der Produzent Erich Pommer (1889-1966), der in den 20er-Jahren Klassiker des Deutschen Filmexpressionismus wie "Caligari" und "Mabuse" auf die Leinwand brachte und u. a. auch den "Blauen Engel" produzierte. Mitte der 20er-Jahre arbeitete er vorübergehend in den USA bei Paramount-Pictures. Ab 1933 lebte er in Paris und London, später in Hollywood. 1944 wurde Pommer amerikanischer Staatsbürger. 1946 kam er als Filmoffizier der amerikanischen Militärregierung nach Deutschland und beabsichtigte, einen Markt für deutsch-amerikanische Koproduktionen aufzubauen. 1950 gründete er die Firma Intercontinental im München, die den Film "Kinder, Mütter und ein General" produzierte.

Der Regisseur Laszlo Benedek (1905-1992) arbeitete in Berlin, Wien, Frankreich und England als Editor und Kameramann; ab 1937 in Hollywood auch als Autor und Regisseur. Zu seinen bei uns bekanntesten Filmen zählt "The Wild One" (1954) mit Marlon Brando und Lee Marvin.

Der Drehbuchautor Herbert Reinecker (1914-2007) war ab 1932 Mitglied der Hitlerjugend, später Redakteur der Jungvolk-Zeitschrift "Der Pimpf" und tätig in der Hauptschriftleitung der HJ-Zeitschrift "Junge Welt". Reinecker war Autor propagandistischer Jugendbücher und Mitarbeiter der Kriegsberichterkompanie der Waffen-SS. Er arbeitete auch an dem Drehbuch des Propagandafilms "Junge Adler" mit, der den Opfergeist der deutschen Jugend thematisiert. Nach 1945 veröffentlichte Reinecker unter wechselnden Pseudonymen Artikel und Kurzgeschichten und galt bald als Experte für Kriegsthemen und Literaturverfilmungen. Bekannt und erfolgreich wurde er dann als Drehbuchautor der TV-Serien "Der Kommissar" und "Derrick".

Der Schauspieler Ewald Balser (1898-1978) gehört ebenso zu den großen Ufa-Stars wie seine Kollegin Hilde Krahl (1917-1999). Die Bühnen- und Filmschauspielerin Therese Giehse (1898-1975) wurde als Tochter jüdischer Eltern in München geboren, wo sie auch ihre Schauspielausbildung erhielt. Gemeinsam mit Erika und Klaus Mann gründete sie ein politisch-literarisches Kabarett. Im März 1933 emigrierte sie über Österreich in die Schweiz und engagierte sich im Widerstand gegen das nationalsozialistische Regime. 1937 wurde sie Ensemblemitglied am Züricher Schauspielhaus, wo sie 1941 in der Premiere von Brechts "Mutter Courage und ihre Kinder" die Hauptrolle spielte. Sie avancierte zur führenden Brecht-Interpretin. 1954 kehrte sie aus der Schweiz nach München zurück.

Bernhard Wicki (1919-2000) gehört zu den dominierenden, auch international renommierten Persönlichkeiten des deutschen Films – sowohl als Schauspieler wie auch als Regisseur. Er besuchte die Schauspielschule des Staatlichen Theaters in Berlin bei Gustaf Gründgens. Zwischen 1938 und 1939 wurde er wegen seiner Kontakte zur kommunistisch orientierten "Bündischen Jugend" denunziert und saß dafür zehn Monate im Konzentrationslager Sachsenhausen. Da er für Berlin ein Stadtverbot erhielt, führten ihn seine Wege dann über Wien, Bremen und München nach Zürich und Basel, wo er Schweizer Staatsbürger wurde. 1959 drehte der den Antikriegsfilm "Die Brücke", der 1960 für den Oscar nominiert wurde.

Die Zusammensetzung dieses Ensembles aus überzeugten Nazis, Mitläufern, Nutznießern und Gegnern des nationalsozialistischen Regimes in einer so konzentrierten Formation macht "Kinder, Mütter und ein General" zu einem Schlüsselwerk der deutschen Filmgeschichte.

Horst Schäfer

 

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