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Ausgabe 115-3/2008

DRAUSSEN BLEIBEN

Produktion: Pelle Film, in Koproduktion mit ZDF/Das kleine Fernsehspiel und HFF München; Deutschland 2008 – Regie und Buch: Alexander Riedel – Kamera: Martin Farkas – Schnitt: Ulrike Tortora, Gaby Kull-Neujahr – Musik: Klaus Burger, Matthias Schneider-Hollek – Darsteller: Valentina Llazicani, Suli Kurban – Länge: 84 Min. – Farbe – Verleih: Zorro Film – FSK: ab 12 – Altersempfehlung: ab 14 J.

Schon der erste Kontakt, zwischen Filmemacher Alexander Riedel und Valentina, der jungen Protagonistin seines Dokumentarfilms, verrät einiges über das Mädchen: Bei einem Straßenfußball-Turnier im Münchner Stadtteil Sendling sei ihm die "präzise aggressive Eleganz" des kosovarischen Mädchens aufgefallen, die als Spielführerin der Mädchenmannschaft "Harras Ladies" ihr Team auf dem Platz dirigierte, sagte der Filmemacher in einem Interview.

Genauso selbstbewusst, angriffslustig aber auch elegant wie er sie dort erlebt hat, wird die 16-jährige Valentina später in Riedels Film auftreten. Wie eine Boxerin, immer die Deckung haltend und bereit zum Gegenschlag. Ein unangepasstes Mädchen, das keinem Streit aus dem Weg geht, keine Lust auf Schule hat und der Welt immer wieder den Stinkefinger zeigt.

Zum Zeitpunkt der Dreharbeiten wohnt Valentina zusammen mit ihrer Mutter und ihren beiden Brüdern seit mehr als zwölf Jahren in einer Unterkunft für Asylbewerber in München. Sie leben von einer Duldung zur nächsten – Monat für Monat. Valentina ist mit Ausgrenzung groß geworden. Ihr Vater ist schon lange nicht mehr da, und die Mutter putzt, bügelt und wäscht, während Valentina sich durchs Leben schlägt. An ihrer Seite ist ihre chinesische Freundin Suli (17), die auch lange in der Unterkunft gewohnt hat. Sie ist der ruhende Pol in der Freundschaft, blickt gleichzeitig aber zu Valentina auf. Und obgleich Sulis Familie eine Aufenthaltsgenehmigung hat, stecken beide Mädchen, besonders aber die draufgängerische Valentina, im Niemandsland fest: irgendwo zwischen den Kulturen und zwischen Kindsein und Erwachsenenwelt.

Dieses Niemandsland findet in den teils bewusst inszenierten Bildern des Kameramanns Martin Farkas seine Entsprechung. Denn Suli und Valentina bewegen sich meist am Rand der Stadt: Mal auf einem Bolzplatz an irgendeinem Bahngleis, mal am Ende einer Siedlung, mal auf dem Dach der Asylunterkunft. Das Verhalten der Mädchen pendelt dabei zwischen ausgelassen pubertär, wenn sie beispielsweise einen umschwärmten Jungen vom Handy aus anrufen, und der "Hast Du ein Problem"-Attitüde, wenn ein paar Jungs Valentina blöd kommen. Besonders Valentina hat eine Präsenz, die manchmal auch den aus dem Off Fragen stellenden Riedel kleinlaut werden lässt.

Dramaturgisch bewegt sich der Film auf Valentinas anstehenden Jugendarrest zu, der eine Folge aus einer Schlägerei ist, bei der sich die 16-Jährige eine Auseinandersetzung mit Polizisten lieferte. Währenddessen bemüht sich Suli um einen Schulabschluss und eine Ausbildung. Irgendwann steht sie in einem Café hinter der Kuchentheke, verloren und unsicher in einer für sie neuen Welt. Unmerklich verlässt sie das Niemandsland. Doch auch Valentina wirkt sehr verändert, als sie nach einigen Wochen zurück ist aus dem Jugendarrest. Ernst blickt sie in die Kamera, nachdenklich, aus dem Mädchen ist eine junge Frau geworden, die Pläne für ihr Leben hat.

Riedel ist mit "Draußen bleiben" ein großartiges Porträt zweier junger Frauen gelungen, die nicht nur gegen ihre gesellschaftliche Ausgrenzung ankämpfen, sondern auch zum Sprung ins Erwachsenenleben ansetzen – und vor allem die 16-jährige Valentina tut das mit unheimlicher Präsenz.

Phillip Weindel

 

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Ausgabe 115-3/2008

 

Inhalt der Print-Ausgabe 115-3/2008|

Filmbesprechungen

ALLEIN IN VIER WÄNDEN| CHARLIE BARTLETT| DORNRÖSCHEN – 2008| DRAUSSEN BLEIBEN| HIER IST ESTHER BLUEBURGER| DIE INSEL DER ABENTEUER| KINDER, MÜTTER UND EIN GENERAL| DIE KLASSE| KUNG FU PANDA| MEIN BRUDER IST EIN EINZELKIND| MEINE MUTTER, MEIN BRUDER UND ICH!| MOZART IN CHINA| DER PAPIERPRINZ| DER ROTE ELVIS| DER SOHN VON RAMBOW| STELLA UND DER STERN DES ORIENTS| WALL-E – DER LETZTE RÄUMT DIE ERDE AUF| WORLDS APART| ZWERG NASE – 2008|

Interviews

Agthe, Arend - Märchen passen wunderbar in unsere gegenwärtige "restaurative" Zeit| Balthazar, Nic - "Nicht der Autismus ist ihr Problem, wir sind es!" | Darschin, Felicitas - "Wir haben versucht, eine zweite Ebene zu schaffen, weil es auch ein Familienfilm sein soll"| Haase, Jürgen - Im Dienste des Filmerbes| Oplev, Niels Arden - "Extremisten sind niemals harmlos!"|


KJK-Ausgabe 115/2008

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