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Ausgabe 119-3/2009

MOMMO

Produktion: Atyapim; Türkei 2009 – Regie und Buch: Atalay Tasdiken – Kamera: Ali Özel – Schnitt: Serhat Solmaz – Musik: Erkan Ogur – Darsteller: Elif Bülbül (Ayse), Mehmet Bülbül (Ahmet), Mustafa Uzunyilmaz (Kazim), Mete Dönmezer (Hasan Dede), Mehmet Usta (Istanbu'lu Bakkal) u. a. – Länge: 91 Min. – Farbe – Weltvertrieb noch offen / Kontakt: Atyapim, Fax 0090-212-2520550, e-mail:atalay.tasdiken@gmail.com – Altersempfehlung: ab 10 J.

Sommer in einem anatolischen Dorf. Vor einem pittoresken Haus steht abfahrbereit ein kleines Fuhrwerk mit den Habseligkeiten, die der Vater schweigend aufgeladen hat. Sein etwa zehnjähriger Sohn Ahmet beobachtet stumm die Szene. Nachdem Kazim, der verwitwete Vater, eine andere Frau im Dorf geheiratet und zu ihr gezogen ist, die außer ihrem eigenen Sohn keine Kinder im Haus duldet, bleiben Ahmet und seine kleine Schwester Ayse beim Großvater Hasan zurück. Der ist ein gutmütiger Mann, doch plagt ihn eine altersbedingte Gehbehinderung, und so kümmert Ahmet sich rührend um Schwester, Großvater und den Alltag in Haus und Hof, spielt mit Ayse am Bach, geht einkaufen beim "Istanbuler Krämer", dem einzigen, der es gut mit Ahmet meint und ihm immer etwas zusteckt. Am Abend bereitet er für sich und die kleine Schwester das Nachtlager auf dem Dach ihres Hauses, wo sie einen wunderbaren Blick auf die Lichter im Ort und die Sterne am Himmel haben. In poetischen Bildern, mit großer Ruhe, wird von diesem Leben erzählt, und vor dem idyllischen Hintergrund wirken die kleinen und schließlich großen Härten umso eindringlicher.

Da gibt es immer wieder Reibereien mit dem hinterhältigen Sohn der Stiefmutter und die kläglichen Auftritte des Vaters schwanken zwischen Selbstmitleid und Unfähigkeit, seinen Kindern gegenüber irgendein Gefühl zu zeigen. Nachdem Großvater Hasan die Sorge um die beiden Enkel sichtlich schwer wird, macht eine Nachbarin das zweifelhafte Angebot, die kleine Ayse in einem Haushalt in der Stadt unterzubringen – ein Platz, der frei wird, weil ihre dort arbeitende Nichte heiratet, was der Großvater zunächst entrüstet ablehnt. Hoffnung für die Kinder keimt auf durch den Brief einer Tante, die in Deutschland arbeitet, doch die Formalitäten stehen dagegen. Wenigstens kann Ahmet das Fahrrad des in Deutschland lebenden Cousins benutzen, und man sieht ihm die Freude an dem kostbaren Besitz an. Nachdem die Nachbarin erneut vorgesprochen hat, wird Ahmet eines Tages vom Großvater fortgeschickt, um Mehl zu besorgen – Ayse hingegen wird für die Stadt hergerichtet, ihre starken schwarzen Haare geschoren, die Ohrringe, ein Erbe der verstorbenen Mutter, angesteckt und ein feines Kleid angezogen. Schließlich holt ein zwielichtig wirkendes Ehepaar das Mädchen ab, vom gerade heimkommenden Ahmet panisch verfolgt, doch der Abstand wird immer größer und das Auto verschwindet in den Staubwolken der Landstraße zwischen den sommerlichen Feldern.

Für die Rezensentin war "Mommo" der schönste und der traurigste Film des diesjährigen Programms für Kinder in "Kplus" auf der Berlinale. Nicht nur durch das unbarmherzige Ende dieser epischen Geschichte, die in einer sommerlich flirrenden Landschaft angesiedelt ist, bleibt der Film im Gedächtnis. "Mommo" – ein Begriff, der in der Region um Konya (wo sich die Geschichte ereignet hat) als 'Angstmacher' für die Kinder gebraucht wird – wirft auch die Frage nach dem "Funken Hoffnung am Schluss" auf, landläufig ein Merkmal für einen Kinderfilm. Noch dazu, wenn der Film – ein Spielfilm-Debüt – eine derart starke Identifikation und Anteilnahme am Schicksal der beiden Kinder schafft, was auch ein Verdienst der jungen Darsteller ist. Ein außergewöhnlicher Film mit einer brisanten Geschichte, der vermutlich aber nicht den Weg ins Kino hierzulande finden wird – umso wichtiger, dass solche Filme auf Festivals gezeigt und diskutiert ebenso wie für die nichtgewerbliche Filmarbeit verfügbar gemacht werden.

Christel Strobel

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 119-3/2009 - Interview - "Alles, was in dem kleinen Dorf in Anatolien passiert, wird durch die Tradition, die Hierarchie und nicht durch das Gesetz bestimmt"

 

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Ausgabe 119-3/2009

 

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Elliot, Adam - "Alles in allem stecken in diesem Film fünf Jahre meines Lebens"| Haneke, Michael - "Inspiriert haben uns die Schwarz-Weiß-Fotos der Zeit, wir suchten zeitgenössische Gesichter"| Kappler, Petra - "Wir sehen die Zeichen der Zeit"| Sommer, Gudrun und Petra Schmitz - "Wir wollen möglichst viele Kinder erreichen"| Tasdiken, Atalay - "Alles, was in dem kleinen Dorf in Anatolien passiert, wird durch die Tradition, die Hierarchie und nicht durch das Gesetz bestimmt"|

Hintergrundartikel

LIPPELS TRAUM – 2008|


KJK-Ausgabe 119/2009

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