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Ausgabe 127-3/2011

DIE ZAUBERER

HET GEHEIM

Produktion: IDTV Film BV, Amsterdam, und AVRO, Hilversum; Niederlande 2010 – Regie: Joram Lürsen – Buch: Frank Ketelaar – Kamera: Mark van Aller – Schnitt: Peter Alderliesten – Musik: Fons Merkies – Darsteller: Thor Braun (Ben Stikker), Theo Maassen (Vater Koos), Chantal Janzen (Bens Mutter), Daan Schumans (Hans Smid), Java Siegertsz (Sylvie) u. a. – Länge: 90 Min. – Farbe - Weltvertrieb: Delphis Films Inc., Montréal, Canada; email: mscourcy@delphisfilms.com – www.idtvfilm.nl – Altersempfehlung: ab 8 J.

Für Ben steht fest: Er will Zauberer werden! Besonders fasziniert ihn die Verschwindenummer des berühmten Magiers Hans Smid. Leider verrät der Zauberprofi ihm nicht, wie diese Illusion funktioniert – kein Zauberer darf je seine Tricks preisgeben. Bens Vater Koos teilt die Begeisterung seines Sohnes und arrangiert Unterrichtsstunden bei einem Zauberer, der ihnen die magischen Tricks mit Karten und anderen Zauber-Utensilien beibringt. Allerdings, beim Verschwindetrick muss auch er passen, den beherrschen nur die ganz Großen. Zu Bens Glück ist Sylvie, das neue Mädchen in der Klasse, als gelenkige Kunstturnerin die perfekte Zauberer-Assistentin. Und auch wenn Koos nicht der Geschickteste ist – als Forstarbeiter wurde er gefeuert, nachdem er dreimal vom Baum gefallen war, so ernten Vater und Sohn doch viel Applaus für ihre Auftritte. Nach dem Besuch einer Zauberer-Messe baut Koos den Kasten für die Verschwinde-Illusion nach. Und siehe da, es gelingt: Sylvie verschwindet im Schrank! Dummerweise gelingt es zu gut: Das Mädchen bleibt verschwunden, der Amateurzauberer ist ratlos, das Publikum entsetzt. Alle geben Koos die Schuld an Sylvies Verschwinden – die Medien, die Polizei, Sylvies Mutter und zuletzt sogar seine eigene Frau. Plötzlich ist Scheidung gar nicht mehr so undenkbar für Bens Eltern. Ben muss seinen Vater deshalb unbedingt retten, aber als er die Wahrheit herausfindet, darf er sie nicht verraten. Ben steckt in einem echten Loyalitäts-Dilemma. Unerwartete Hilfe kommt von Hans Smid: Der Starzauberer fürchtet um das Image seines Berufsstandes, und seit dem Skandal will niemand mehr seinen Verschwindetrick sehen. So weiht er Ben endlich in das große Geheimnis hinter der Illusion ein.

"Die Zauberer" ist eine warmherzige und spannende Familienkomödie in bester niederländischer Kinderfilmtradition. Der Originaltitel "Het geheim" bezieht sich auf das Geheimnis des fatalen Zaubertricks oder auch auf das Geheimnis, das Sylvie und Ben teilen. Im Kern geht es allerdings um eine Vater-Sohn-Beziehung, in der die Rollen oft vertauscht sind. Ben (eine Entdeckung: Thor Braun), talentierter Pfiffikus, sorgt in einem fulminanten Finale für Koos’ Rehabilitierung. In einer innigen Szene tröstet er seinen erfolglosen Vater damit, er sei richtig gut darin, die Menschen zum Lachen zu bringen. Das stimmt, auch das Filmpublikum kann sich an Koos’ liebenswerter Ungeschicktheit und kindlichen Naivität erfreuen. Koos ist der klassische Clown, nur ohne rote Nase. Vor allem ist Koos ein liebevoller Vater, der immer für seine Familie da ist (und vice versa), trotz aller Missgeschicke. Die Figur ist so sympathisch gezeichnet, dass sie nie ins Klamaukige abrutscht. Am Ende wird auch die Schmach des Vaters ironisch gebrochen, wenn er (scheinbar) von der Bühnenhochschaukel abstürzt und dafür viel Beifall bekommt.

Seine Erklärungsversuche zu „Illusion“ geben das Motto zum Film: Was man sieht, ist nicht unbedingt wirklich, nichts ist zwangsläufig so, wie es scheint. Das gilt auf der Zauberbühne, erst recht im Leben. Denn Sylvies perfekt durchgestyltes, reiches Elternhaus fehlt es an Wärme, Aufmerksamkeit – und an Eltern: Der geschiedene Vater ist im Ausland, die immer arbeitende Mutter nicht minder abwesend. Im krassen Kontrast dazu steht die gefühlsgeladene Familie von Ben, deren Mitglieder unterschiedlicher nicht sein könnten und die doch, bei allem Streit und Chaos, zusammenhalten. Dennoch malt Joram Lürsens Inszenierung nicht schwarz-weiß, es gibt weder Familienidylle noch böse Mutter, jeder hat seine eigenen Probleme zu bewältigen. Überhaupt hält der Film erstaunlich gut die Balance zwischen Spaß und Ernst, Tiefgang und Show. Hans Klok, der international erfolgreiche niederländische Magier (der im Filmtrailer übrigens einen Cameo-Auftritt hat), ist die Vorlage für Hans Smid, das bombastische Opening des Films ein Zitat seiner glamourösen Zaubershows, Ventilator-verwehte Haarpracht inklusive. Auch wenn durchaus mit Klischees gespielt wird, gerät niemand zum überzeichneten Klischee, nicht zuletzt dank einer glänzenden Besetzung in den Kinder- und Erwachsenenrollen.

Natürlich könnte man sich fragen, warum niemand im Elternhaus nach dem verschwundenen Mädchen sucht oder weshalb Sylvie ihren Freund Ben nicht einweiht und stattdessen Bens Familie, die fast zu ihrer eigenen geworden ist, so lange den Verdächtigungen ausgesetzt lässt. Ebenso ungeklärt bleibt die Figur der geheimnisvollen, allwissenden Haushälterin, die zur rechten Zeit am rechten Ort auftaucht und zwischen Mutter und Tochter, zwischen Vater und Sohn vermittelt. Aber letztlich kommt es darauf nicht an und solche Fragen zerstören nur den Spaß an der Freud’.

Wie gut die magische Mischung aus Vergnügen, Spannung und Familiengeschichte funktioniert, zeigen die Zahlen: "Die Zauberer" – in den Niederlanden bisher rund 190.000 Zuschauer – ist nach Auszeichnungen auf den Kinderfilmfestivals in Montréal (Canada) und dem norwegischen Kristiansand nun vom Publikum des Kinderfilmfests München 2011 zum Lieblingsfilm gewählt worden.

Ulrike Seyffarth

 

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Ausgabe 127-3/2011

 

Inhalt der Print-Ausgabe 127-3/2011|

Filmbesprechungen

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Interviews

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Hintergrundartikel

Förderung von Kinderfilmen nach Originalstoffen|


KJK-Ausgabe 127/2011

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