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Ausgabe 135-3/2013

ALFIE, DER KLEINE WERWOLF

Bild: ALFIE, DER KLEINE WERWOLF
© Barnsteiner Film

DOLFJE WEERWOLFJE

Produktion: Bosbros; Niederlande / Belgien 2011 – Regie: Joram Lürsen – Buch: Tamara Bos, Paul van Loon, nach dem Roman "Viktor, der kleine Werwolf" von Paul van Loon – Kamera: Lex Brand – Schnitt: Peter Alderliesten – Musik: Fons Merkies – Darsteller: Mole Kroes (Alfie), Maas Bronkuizen (Timmie), Remko Freitag (Vater), Kim van Kooten (Mutter), Joop Keesmaat (Opa Werwolf), Kees Hulst (Schulleiter), Bianca Krieger (Lehrerin), Trudy Lasbij (Frau Krijtjes), Pim Muda (Meister France), Lupa Rantie (Noura) u. a. – Länge: 91 Min. – Farbe – Verleih: Barnsteiner-Film – Altersempfehlung: ab 6 J.

Bei Vollmond geschehen die seltsamsten Dinge, das weiß schon jedes Kind. Es gibt auch kaum einen Grusel-, Hexen-, Vampir- oder Horrorfilm, in dem der Vollmond keine Rolle spielen würde. Das Schöne daran ist, dass man selbst meistens nicht davon betroffen ist. Ganz anders ergeht es Alfie, der am Vorabend seines siebten Geburtstags bei Vollmond etwas ganz Ungeheuerliches erlebt. Er wacht mitten in der Nacht auf, als seine Haut zu jucken beginnt und ihm ein weißes Fell wächst. Er bekommt spitze Ohren und kann nur noch jaulen und heulen. Im Spiegel erkennt er, dass er sich in einen kleinen Werwolf verwandelt hat. Nur seine runde Hornbrille verweist noch darauf, dass er kurz zuvor noch ein blonder und überaus ängstlicher Junge gewesen ist. Gegen seinen Willen springt er jetzt auf vier Beinen durch die Straßen der Stadt und plündert am Ende gar noch den Hühnerstall der gestrengen Nachbarin, die schon zuvor keinen Spaß verstanden hat und den kleinen Werwolf nun um jeden Preis "unschädlich" machen möchte. Auch wenn Alfie, der als Baby ausgesetzt und vor die Tür einer kinderlieben Familie gelegt wurde, am nächsten Morgen wieder der kleine unschuldige Blondschopf ist, der er bisher immer war, lebt Alfie nun in der ständigen Angst, seine Adoptivfamilie und sein geliebter Stiefbruder Timmie könnten sich von ihm abwenden, wenn sie hinter sein "furchtbares" Geheimnis kommen.

Der niederländische Regisseur Joram Lürsen hat schon mehrere Kinderfilme gedreht, die alle preisgekrönt wurden, von "In Orange" (2004) bis zu "Die Zauberer" (2012). Sein Film "Alfie, der kleine Werwolf" (2011) wurde mit Preisen geradezu überschüttet, darunter dem Europäischen Kinderfilmpreis auf dem Schlingel-Festival in Chemnitz 2012. Auch die Kinderbuchserie von Paul van Loon ist in Holland überaus erfolgreich, weitgehend unabhängig von der "Twilight"-Saga, die sich ohnehin speziell an Jugendliche richtet. Kinder lieben offensichtlich diese Figur und diesen Film, manche Erwachsene sehen das mit anderen Augen. Sie denken, Vampire und Werwölfe hätten im Kinderzimmer noch nichts zu suchen, der Film sei ohnehin nur ein billiges Genre-Plagiat, oder sie finden Alfies Verwandlung zum Werwolf mit Brille albern und tricktechnisch nicht ausgereift genug. Dabei entgeht ihnen möglicherweise, wie unmittelbar und intensiv gerade dieses moderne Märchen mit der Lebensrealität und den Träumen und Wünschen vieler Kinder zu tun hat. Denn in seinem Alltagsleben kann sich Alfie nicht hinreichend gegen einige seiner Mitschüler behaupten, und die Nachbarin zeigt ohnehin keinerlei Verständnis für Kinder. Mit seiner Verwandlung erlebt er plötzlich ein bisher unbekanntes Gefühl von Stärke und Macht, das ihm auch dann noch weiter hilft, als er wieder zum kleinen Jungen wird.

Weit mehr noch zählt allerdings, dass Alfie Angst davor hat, durch sein Anderssein – und das kann sich in vielen Details äußern, die weit weniger dramatisch als die Verwandlung zum Werwolf sind – ausgegrenzt und von der eigenen Familie ausgestoßen werden könnte. Diese Angst, das erfährt Alfie erst viel später von seinem Großvater, hatte seine Eltern auch dazu getrieben, die Verantwortung für ihn abzugeben und ihn einem ungewissen Schicksal zu überlassen. Da hilft es Alfie schon mal erheblich, dass Timmie seine spontane Begeisterung darüber äußert, was für einen tollen kleinen Bruder er in Alfie hat.

Jedes Kind möchte wissen, woher es kommt, jedes Kind möchte von den Eltern akzeptiert und geliebt werden, unabhängig von allen möglichen Fehlern und körperlichen oder geistigen Besonderheiten. Der Film nähert sich diesem zentralen Thema über ein bei jungen Menschen sehr beliebtes Genre und auf liebevoll amüsante, spannende und überaus unterhaltsame Weise, leicht überdrehte Slapstick-Momente eingeschlossen. Wer daran keinen Spaß findet, ist selbst schuld.

Holger Twele

 

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Ausgabe 135-3/2013

 

Inhalt der Print-Ausgabe 135-3/2013|

Filmbesprechungen

ALFIE, DER KLEINE WERWOLF| BEKAS| ERNEST & CÉLESTINE| ICH – EINFACH UNVERBESSERLICH 2| DAS MÄRCHEN VON DER PRINZESSIN, DIE UNBEDINGT IN EINEM MÄRCHEN VORKOMMEN WOLLTE| MEIN KLEINER ORANGENBAUM| DAS PFERD AUF DEM BALKON| RICKY – NORMAL WAR GESTERN| SATELLITE BOY| TOUCH OF THE LIGHT| V 8 – DU WILLST DER BESTE SEIN| DIE WILDE ZEIT|

Interviews

Jung-Chi, Chang und Huang Yu-Siang - "Wir haben gemerkt, dass da eine Menge positiver Energie war"| McKenzie, Catriona - "Die Frage nach unseren Wurzeln wird immer wichtiger"| Pieck, Kai S. - "Mir fehlt nicht nur in vielen Kinder- und Jugendfilmen, sondern überhaupt in deutschen Filmen der Raum für die Phantasie"|

Hintergrundartikel

Bundestag hat siebte FFG-Novellierung beschlossen| "Kinderfilme in Deutschland – Wohin geht die Reise?"| "Das Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte"|

Kinder-Film-Kritiken

Hanni & Nanni 3| Extrem laut und unglaublich nah|


KJK-Ausgabe 135/2013

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