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Ausgabe 135-3/2013

"Wir haben gemerkt, dass da eine Menge positiver Energie war"

Gespräch mit Chang Jung-Chi, Regisseur, und Huang Yu-Siang, Hauptdarsteller des Films "Touch of the Light"

(Interview zum Film TOUCH OF THE LIGHT)

Chang Jung-Chi, geboren 1980 in Taipeh, studierte Media Arts an der National Taiwan University of Arts, wurde 2006 mit "My Football Summer" beim "Golden Horse Awards"-Festival seiner Heimatstadt für den besten Dokumentarfilm ausgezeichnet und zu den verschiedensten Festivals eingeladen. 2008 drehte er "The End of the Tunnel", seinen 37-minütigen Abschlussfilm, der auf vielen Festivals gezeigt wurde und – zusammen mit zwei anderen Kurzfilmen – ins Kino kam. "Touch of the Light" ist sein erster Spielfilm. Premiere war auf dem Taipeh-Film-Festival im Juni 2012.

Sein fünf Jahre jüngerer Star Huang Yu-Siang verlor bei der Geburt seine Netzhaut und ist seither blind. Schon früh zeigte sich seine musikalische Begabung. Er erhielt Klavierunterricht und schloss 2009 als erster Blinder in Taiwan ein Studium an der National Taiwan University of Arts in Klavier ab. Gegenwärtig spielt er in der "Baba Band" und bei den "Dark Glasses", die von der Taichung Blind Welfare Association unterstützt wird. Er gewann diverse Klavier-Wettbewerbe, u. a. den "President’s Education Award", und hat inzwischen auch verschiedene Filmmusiken komponiert.

KJK: Entspricht der teilweise rüde Umgang mit Huang Yu-Siang in der Uni eigentlich der gesellschaftlichen Realität in Taiwan?
Chang Jung-Chi: Ja, unser Film zeigt, was Yu-Siang selbst erlebt hat. Natürlich war nicht alles auf den Punkt genau so, aber "Touch of Light" ist doch ein Spiegel seiner Erfahrungen. Nach dem Erfolg dieses Films hat seine Geschichte jetzt bei uns eine Diskussion darüber hervorgerufen, was man in unserer Gesellschaft in Bezug auf die Blinden ändern könnte und müsste. Bislang sind die Möglichkeiten für Sehbehinderte in Taiwan ja sehr begrenzt, es gibt kaum Jobs für sie, aber – wie wir im Film anklingen lassen – sehr wohl Möglichkeiten und Methoden, mit denen man mehr für sie tun könnte. Für Yu-Siang war es ein Glück, dass er schon als Kind mit der Musik in Berührung kam. Durch ihn erhalten wir einen Einblick in eine Welt, die uns erstmal sehr traurig erscheint. Aber in der Zeit, die wir mit ihm zusammen verbrachten, haben wir gemerkt, dass da eine Menge positiver Energie war, und wir eine andere Haltung in Bezug auf die Sehbehinderten finden und vieles überdenken müssen. Die Zimmerkameraden von Yu-Siang behandeln ihn zum Beispiel nicht anders als ihresgleichen, sie gehen auch nicht besonders fürsorglich mit ihm um – und warum sollte man auch? Er ist ja nicht anders als wir, nur, dass er eben nicht sehen kann.

Im Film wird die Welt – auch was die Kamera betrifft, die mit schemenhaften Bewegungen, ausgelaugten Farben und mangelnder Tiefenschärfe spielt – fast ausschließlich aus der Sicht eines Blinden gezeigt. Hätte man nicht beides zeigen müssen, um den Kontrast zwischen Sehenden und Nicht-Sehenden größer zu machen?
Dieser Film zeigt meine Haltung, meinen Blickwinkel in Yu-Siangs Welt – ich meine, ich kenne ihn jetzt seit vielen Jahren, wir haben viel Zeit zusammen verbracht, und ich wollte damit zeigen, was ich durch ihn gesehen und verstanden habe. Und das Publikum sollte das Gleiche fühlen, meine Erfahrungen teilen. Aber mir ging es in meinem Film eigentlich weniger um die Situation der Sehbehinderten, sondern darum, diese in eine positive Energie für jedermann zu verwandeln. Im Vordergrund stand also nicht die Trauer über das, was fehlt, mir war es wichtiger, die vergessenen Träume, die eigentlich jeder hat oder hatte, wieder ins Bewusstsein holen. Ich wollte zeigen, dass jeder Mensch Möglichkeiten besitzt, seine Träume zum Leben zu erwecken.

Wie das Beispiel von Yu-Siang, aber auch das seiner Freundin Jie zeigt. Gab es sie eigentlich schon in Ihrem Kurzfilm?
Ja, ich habe sie wegen des Kontrastes erfunden. Sie ist nach außen sehr schön, aber in ihrem Innern entbehrt sie vieles. Yu-Siang dagegen scheint so vieles zu mangeln, aber er hat in seinem Inneren eine Menge wunderbarer Qualitäten. Und beide haben ihre Träume, das Mädchen träumt davon, eine Tänzerin zu werden, und Yu-Siangs Traum ist es, Musik zu machen.

Wann und wo haben Sie beide sich kennen gelernt?
Ich habe ihn erstmals 2005 bei einer Preisverleihung in Taiwan getroffen. Unsere Regierung vergibt dort jährlich Preise an körperlich-, geistig- oder sehbehinderte Studenten, die herausragende Leistungen zeigen. Man hatte mich zu dieser Veranstaltung eingeladen, um eine Dokumentation darüber zu machen. 2007 habe ich dann mit ihm den Kurzfilm "The End of the Tunnel" gedreht und dabei sein Potenzial als Schauspieler gesehen.

Wie kam Wong Kar Wai dazu?
Mit diesem Film wurden wir auf viele Festivals eingeladen und bei einer dieser Gelegenheiten hat auch Wong Kar Wai meinen Abschlussfilm gesehen. Er war davon offensichtlich echt beeindruckt, denn er kam danach zu mir, um darüber zu sprechen, wie man daraus einen langen Spielfilm machen könnte. Wong Kar Wai war es, der mich zu "Touch of the Light" ermutigt und bei der Arbeit unterstützt hat.

Stand von vornherein fest, dass Yu-Siang sich selbst spielen sollte?
Nein. Wir haben ein Jahr nach der 'richtigen' Besetzung gesucht, uns dann aber doch gegen einen Schauspieler entschieden. Natürlich war allen klar, dass das eine große Herausforderung für Yu-Siang, aber auch für uns war. Ich habe das Drehbuch dann entsprechend umgeschrieben und im Nachhinein sind alle froh über diese Entscheidung.


Wie haben Sie sich denn als Schauspieler gefühlt?
Huang Yu-Siang: Bevor wir mit dem Film anfingen, habe ich ein paar Schauspielstunden genommen und während des Drehens habe ich auf meine eigenen Erfahrungen zurückgegriffen, was nicht so schwer war, weil der Film ja auf meinem Leben beruht. Aber in den fiktionalen Szenen musste ich ja wirklich spielen und das hat mich sehr interessiert. Die Schauspielerei war für mich eine neue Herausforderung, bei der ich entdeckt habe, dass ich meine Gefühle in einer sehr kurzen Zeit ausdrücken muss. Das war für mich etwas Neues. Diese Arbeit hat mir geholfen, meine Schüchternheit zu überwinden, sie hat mich selbstbewusster gemacht.

Sie haben ja auch an der Musik für den Film mitgeschrieben …

Ja, in dem Fall musste ich mich ganz allein auf mein Hören verlassen – und wenn bestimmte Szenen keinen Dialog oder keine Musik haben, war ich ganz auf die Auskünfte meiner Freunde oder auch meiner Familie angewiesen. Die müssen mir eben beschreiben, was gerade auf der Leinwand vor sich geht. Alles in allem ist das Kino für mich aber sehr angenehm und entspannend.

Wann haben Sie Ihre musikalische Begabung entdeckt?
Ich war zwei, als ein Cousin auf dem Klavier gespielt hat und ich nach Auskunft meiner Mutter danach genau dieselbe Melodie gespielt habe wie er. Das hat alle erschreckt, für meine Mutter war es ein Schock, aber dann dachte sie, dass ich vielleicht Talent zur Musik hätte und hat nach einem Klavierlehrer für mich gesucht. Als ich dreieinhalb Jahre alt war, starteten wir dann mit meiner Musik-Karriere. Ich meine, für mich als Sehbehinderten ist es ja nicht ungewöhnlich, Klavier zu lernen. Ich habe unter meinesgleichen eine Menge Freunde, die ein Instrument lernen. Für mich war und ist die Musik etwas sehr Besonderes, etwas ganz Wertvolles: Ein Medium, in dem ich mich ausdrücken kann und mein Fühlen und Denken mit anderen teilen, sie damit eventuell auch beeinflussen kann. Nicht nur mit den klassischen Stücken, sondern auch ganz verschiedenen Pop-Versionen. Ich mag es sehr, wenn ich alle Musik-Genres in einem Mix aus Jazz, Klassik und Pop zusammenbringen kann.

Mit Chang Jung-Chi und Huang Yu-Siang sprach Uta Beth

 

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Ausgabe 135-3/2013

 

Inhalt der Print-Ausgabe 135-3/2013|

Filmbesprechungen

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Interviews

Jung-Chi, Chang und Huang Yu-Siang - "Wir haben gemerkt, dass da eine Menge positiver Energie war"| McKenzie, Catriona - "Die Frage nach unseren Wurzeln wird immer wichtiger"| Pieck, Kai S. - "Mir fehlt nicht nur in vielen Kinder- und Jugendfilmen, sondern überhaupt in deutschen Filmen der Raum für die Phantasie"|

Hintergrundartikel

Bundestag hat siebte FFG-Novellierung beschlossen| "Kinderfilme in Deutschland – Wohin geht die Reise?"| "Das Märchen von der Prinzessin, die unbedingt in einem Märchen vorkommen wollte"|

Kinder-Film-Kritiken

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KJK-Ausgabe 135/2013

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