(Interview zum Film SATELLITE BOY)
Die australische Filmemacherin Catriona McKenzie, Jahrgang 1971, studierte an der renommierten Australian Film, Television and Radio School in Sydney und schloss ihr Studium 2001 mit Auszeichnung ab. Bevor sie eigene Projekte verwirklichte, arbeitete sie in verschiedenen Funktionen bei internationalen TV-Produktionen und in der Werbung. "Cow", ein halbstündiges Drehbuch über eine schwarz-weiße Kuh, war das erste, was sie je geschrieben hat. Darin erzählte sie 1995 von Daisy, die in eine Therapie geht, nachdem sie erfahren hat, inwiefern die Kolonisation in Australien sie selbst betrifft. Mit ihren Kurzfilmen, darunter "The third note", ihren Dokumentarfilmen "Rites of Passage" und "Mr. Patterns" sowie ihren Videoinstallationen und Fernseh-Filmen wie ihren Arbeiten für die ausschließlich von Aborigines geschriebenen, inszenierten und produzierten Fernsehserien "Remote Area Nurse" (2006), "The Circuit" (2007) und "Redfern Now" (2012) gewann Catriona McKenzie zahlreiche nationale wie internationale Preise. Ihren ersten Langspielfilm "Satellite Boy" hat sie im Rahmen des Screen NSW Aurora Script Development-Programms entwickelt.
KJK: Die Hauptrolle in Ihrem schönen, einfachen und klaren Debütfilm spielt die Natur – wo haben Sie "Satellite Boy" gedreht?
Catriona McKenzie: Im weitgehend unberührten Kimberley im Nordwesten Australiens, in der Wüste, im Busch, im Outback, in der Stadt Wyndham und vor allem in den Bungle Bungles im Purnululu-Nationalpark. Diese einzigartige Landschaft mit ihren bizarren Sandstein-Formationen, in der die Aborigines seit Abertausenden von Jahren zu Hause sind, gehört zum Weltkulturerbe, und es war das erste Mal, dass ein Film-Team an diesem magischen Ort drehen durfte. In der unglaublich schönen Wildnis kommt man zu einer großen Klarheit. Wenn man sich da auf dem Boden schlafen legt, gibt es eine Vibration, als gebe es Leben unter der Erde, eine bestimmte Energie, die man spüren kann und die einem tatsächlich Stärke gibt. Und diesen Zauber, diesen Rhythmus, dieses Wispern in der Stille, diese fast schmerzliche Schönheit der Natur wollte ich in meinem Film festhalten. "Satellite Boy" handelt ja von der Beziehung zu diesem Land, das für die Ureinwohner die Mutter ist, und für das man von einem indigenen Standpunkt aus verantwortlich ist. In der Hektik der Stadt spürt man fast nichts von der Beziehung zu unserer Erde, aber da draußen fühlt man sie. Es war einfach herrlich, monatelang mit unserem Team an den Straßenrändern zu campen, auf Feuerstellen zu kochen und im Freien unter diesem unglaublich schönen Sternenhimmel zu schlafen. Dafür haben wir viele Schwierigkeiten in Kauf genommen, sind nicht selten zu Fuß mit dem ganzen Equipment zu den Drehorten gewandert, oft auch bei glühender Hitze – aber immer unter der kundigen Führung unserer Berater von den Aborigines-Gesellschaften, mit denen wir eng zusammengearbeitet haben.
Erzählen Sie bitte etwas über Ihren Hintergrund und wie Sie zu diesem Film kamen.
Ich bin so etwas wie ein 'Unfall', ein Fehler, gewesen und von wunderbaren Eltern adoptiert worden. Aber ich wollte immer wissen, woher ich komme, und so habe ich nach meinen leiblichen Eltern gesucht. Dabei stellte sich heraus, dass mein Vater ein Aborigine war, und plötzlich war ich mit etwas konfrontiert, was über meine Kräfte ging: mit unserer Kolonial-Geschichte, nach der Mischlingskinder zur Adoption gegeben wurden, und einer neuen Familie. Plötzlich hatte ich Verwandte in ganz Australien, Tanten und Onkels, Schwestern und Brüder. Das hat mir später in dem Kontakt zu den Aborigines-Gemeinden sehr geholfen, aber damals habe ich das alles nicht zusammengekriegt und musste erst mal weg von dem Uni-Betrieb, in dem ich selbst schon gelehrt hatte. Ich habe dann versucht, meine Geschichte durch Schreiben zu verarbeiten. Als ich dann jemandem auf einer Party erzählte, dass ich daraus ein Drehbuch gemacht hätte und jetzt Geld suche, um es zu verfilmen, wurde ich an Lester Bostock vermittelt, jenen wunderbaren Aborigine-Mann, der nach einer wechselvollen Lebensgeschichte zu den Gründervätern der Indigenen Medien in Australien gehört. Er hat mich in seinen ersten Koori Kurs aufgenommen, wo er uns Filmemacher lehrte, zu den Aborigines-Gemeinden zu gehen und ihnen zu helfen, ihre eigenen Geschichten zu erzählen. Deren Vertrauen musste man sich erstmal erwerben, denn natürlich hatten sie Angst, dass man ihnen ihre guten Familien-Geschichten stehlen wollte. Ich habe damit angefangen, Dokumentarfilme zu drehen, wobei das Produkt gar nicht so wichtig war. Das war eher eine Art Bildungsarbeit und kulturelle Kartierung, um das Wissen der älteren Leute für die Nachwelt zu erhalten. Eigentlich wollte ich das alles gar nicht, aber ich musste es einfach tun – und heute bin ich darüber glücklich und fühle mich wirklich privilegiert.
"Satellite Boy" ist also ein Road Movie, das Sie mit Ihrer persönlichen Geschichte kombiniert haben?
Ja. Ich wollte dem Zuschauer zeigen, was es heißt, sich außerhalb unserer Zivilisation zu bewegen. Da er nichts weiß von der Verbindung der Ahnen zu ihrem Land, wollte ich ihn mitnehmen auf diese Reise "back to the roots", um ihn zu motivieren, ein bisschen darüber nachzudenken, wie wir mit unserer Erde umgehen, und dadurch vielleicht ein wenig achtsamer zu werden. Und weil gerade das Kino etwas ist, mit dem die westliche Welt versucht zu verstehen, wer wir sind, wohnt Pete mit seinem Großvater in einem verlassenen Freiluft-Kino. Die Frage nach unseren Wurzeln wird ja immer wichtiger, und wenn man sich die Geschichte betrachtet, erkennt man die verheerenden Folgen der Entfremdung von der Natur, sieht, wie sich die Ignoranz und das wachsende Unverständnis ausgewirkt haben. Der Film setzt sich zudem mit der Bedeutung von Traditionen und der Kluft zwischen den Generationen auseinander. Was nun die persönlichen Elemente in diesem Film betrifft, entspricht meine Mutter der Mutter von Pete und sein Großvater meinem Vater, der mich so vieles gelehrt und mir dadurch seine große Liebe gezeigt hat.
Indem Sie Jagamarra mit David Gulpilil besetzt haben, zeigen Sie wiederum Ihre Liebe zu ihm, oder?
Sie haben recht. Gulpilil ist ja eine lebende Legende, die im Alter von 18 Jahren mit Nicolas Roegs wunderbarem Film "Walkabout" eine außerordentliche Karriere nicht nur als Schauspieler gestartet hat. Damals bin ich gerade zur Welt gekommen und nun schließt sich der Kreis, indem er in meinem Film den charismatischen Großvater des kleinen Cameron Wallaby spielt. Das war nicht nur für mich wunderbar, denn ihn umgibt so ein magischer Zauber.
Wie haben Sie Ihren kleinen Hauptdarsteller und seinen Freund Kalmain gefunden?
Indem ich mit meinem Casting Director Jub Clerk wirklich Tausende von Meilen durch den Westen Australiens gefahren bin. Ich wusste ja nicht, wie Pete aussehen sollte, aber ich wusste ganz genau, was er ausstrahlen musste, und dass der Film ohne die richtige Besetzung nicht funktionieren würde. Wir haben uns überall umgesehen, in den entferntesten Aborigines-Gemeinden, in Schulen, auf Straßen … Und da haben wir Cameron in Fitzroy Crossing beim Spielen entdeckt. Er hat all das, was ich mir beim Schreiben vorgestellt hatte: diese innere Stärke, diese Verletzlichkeit und eine gewisse geistige Ausstrahlung. Joseph Pedley, sein Film-Freund, stammt aus Wyndham. Die beiden kannten sich natürlich nicht, aber haben wunderbar harmoniert.
Wie lange haben Sie an dem Film gearbeitet?
Oh, das hat sehr lange gedauert. Angefangen habe ich schon 2006, da hatte ich bereits ein sehr gutes Script, doch dann habe ich es in den Papierkorb geschmissen und noch mal von vorn angefangen. Ich wollte eine Erzählung finden, die sich ganz auf das Wesentliche konzentriert, Raum lässt für eine innere Einkehr und ohne Gewalt auskommt. Ich habe also noch mal angefangen. Dann hat es schon eine Zeit gedauert, bis mir das Drehbuch richtig schien und wir das Geld beisammen hatten. 2011 haben wir mit dem Film angefangen, wobei es vom Casting bis zum Dreh, der sechs Wochen dauerte, von der Musik, dem Schnitt und allem anderen dann noch mal zehn Monate waren.
Haben Sie schon ein neues Projekt?
Ja, "Min Min", einen Thriller, der mit dem Übernatürlichen spielt und auf den Mythen der Aborigines beruht. Im australischen Bush gibt es diese leuchtenden Min Min-Lichter, die sich so auf und ab bewegen. Die einen sagen, es handle sich bei ihnen um Luftspiegelungen, andere, es seien fluoreszierende Insekten oder Ausdünstungen von Pflanzen, wieder andere glauben, dass es sich dabei um Gase handelt, die aus dem Boden steigen, oder dass es einfach Fata Morganas sind. Doch Genaues weiß niemand. In der Mythologie der Aborigines sind es Geister, von denen einige dir helfen, andere dir nach dem Leben trachten.
Mit Catriona McKenzie sprach Uta Beth
Inhalt der Print-Ausgabe 135-3/2013
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