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Ausgabe 68-4/1996

KEITA – DE BOUCHE A OREILLE

KEITA – L'HERITAGE DU GRIOT

Produktion: Laafi Productions; Burkina Faso / Frankreich 1994 – Regie und Drehbuch: Dani Kouyaté – Kamera: Robert Millé – Schnitt: Zoe Dourouchoux – Musik: Sotigui Kouyaté – Darsteller: Sotigui Kouyaté (Djeliba Kouyaté), Abdoulaye Kumboudry (Lehrer) – Länge: 94 Min. – Farbe – 35mm – Weltvertrieb: Laafi Productions, S. Pierre Yaméogo, 88 rue Lecourbe, F-75015 Paris, Tel. 0033-1-47 83 67 35, Fax 0033-1-40 61 03 22 – Altersempfehlung: ab 10 J.

Ein alter Mann zieht mit seinem Musikinstrument an einer staubigen Straße durch die Weite der afrikanischen Landschaft. Sein Ziel ist Ouagadougou, die Hauptstadt von Burkina Faso. Der alte Mann ist der Griot Djeliba Kouyaté, einer jener berühmten Geschichtenerzähler, die in der vornehmlich oral geprägten westafrikanischen Kultur eine große Rolle spielen. Er will seinem Enkel Mabo Keita die Geschichte seines Namens und damit seiner Familie und seiner Kultur erzählen, damit Mabo diese weiterführt. Im – europäisch geprägten Haushalt – seines Sohnes angekommen, sorgt er alsbald für Unruhe und sogar Streit. Er lässt sich mit seiner Hängematte im Garten nieder und beginnt mit seiner langen Erzählung. Sein Sohn ist zunächst kaum beunruhigt, allein seine Schwiegertochter reagiert von Anfang an misstrauisch auf den alten Mann, der sich so ganz der afrikanischen Tradition verpflichtet fühlt, es sogar ablehnt, unter einem Dach zu schlafen, nur zum Essen betritt er das Steinhaus, und auch das nur, weil es hier eben so Sitte ist. Allein Mabo ist nach anfänglicher Unsicherheit schnell fasziniert von dem alten Mann und dessen Erzählungen über seine Herkunft, die weit in die Vergangenheit zurückreicht: bis ins legendäre Königreich der Mandinke im 13. Jahrhundert unserer Zeitrechnung. Doch bald kommt es zu den ersten Konflikten; vor allem mit Mabos Lehrer, der dessen neue Leidenschaft nicht so einfach hinnehmen will; zumal sich diese auch in zunehmender Abwesenheit von der Schule äußert. Und als Mabo dann seinerseits zum kleinen Griot wird, der Djelibas Geschichten seinen Schulkameraden erzählt und diese dafür die Schule schwänzen, kommt es zum offenen Konflikt. Auf einmal sieht sich der Junge zwischen allen Stühlen ...

Der junge Filmemacher Dani Kouyaté und sein Vater Sotigui stammen aus einer der angesehensten Griot-Familien des Mandinke-Kulturkreises, und man merkt ihrer Arbeit an, dass sie hier wesentliche Elemente ihrer eigenen Geschichte erzählen. Der Musiker und Griot Sotigui spielt sich hier selbst, was seinem Spiel jedwede bei Laien oft gesehene Unsicherheit nimmt; ganz selbstverständlich und befreit wandelt er durch diesen Film. Als sein Gegenspieler und Verkörperung eines europäisch geprägten Afrikas fungiert Mabos Lehrer, gespielt von Burkina Fasos Starkomiker Nr. 1, Abdoulaye Kumboudry.

Doch unter der komischen und zu Zeiten sehr unterhaltsamen Oberfläche einer Komödie verbirgt sich die Geschichte eines tief greifenden Kultur- und Generationenkonfliktes, der sich auch in der Sprache ausdrückt: Die mittlere Generation arrivierter Mittelständler spricht untereinander fast ausschließlich französisch, derweil der Griot auf seiner Heimatsprache beharrt und seine Geschichten selbstverständlich in diesem Idiom erzählt. In – vor allem zu Beginn – wunderbaren Landschaftsaufnahmen und starken symbolischen Bildern, die jedoch ihre Symbolik nie überbetonen, erzählt Kouyate hier von der Zerrissenheit des Kontinents zwischen Tradition und Moderne; einem Konflikt, den ähnlich wie in Ouedraogos "Le cri du coeur" vor allem die ganz Jungen ausbaden müssen. Denn wo die erste nachkoloniale Generation ihrer Eltern sich bemühte, Afrika abzulegen und versuchte, den europäischen Weg zu gehen, müssen die Kinder erkennen, dass dieses sie in einem Maße ihrer Kultur entfremdet hat, was den Verlust ihrer Identität bedeutet. Dieser Konflikt spiegelt sich auch ein wenig in der Inszenierung wieder, die gelegentlich den Eindruck macht, als habe Kouyate schon mit einem Auge auf den europäischen Markt geschielt. Dem Werk nimmt dies aber nichts von seiner Überzeugungskraft. Zumal zu berücksichtigen ist, dass viele Verweise auf kulturelle, historische und auch aktuelle politische Hintergründe von europäischen Augen und Ohren (ich schließe mich da durchaus mit ein) nicht wahrgenommen werden. Denn was wissen wir schon von afrikanischer Geschichte?

Lutz Gräfe

 

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Ausgabe 68-4/1996

 

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