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Ausgabe 68-4/1996

DER VERZAUBERTE EINBRECHER

Produktion: ANTAEUS FILM GmbH, Deutschland 1996 – Regie: Rolf Losansky – Buch: Christa Kozik, Rolf Losansky – Kamera: Claus Neumann – Schnitt: Monika Schindler – Darsteller: Friedrich Lindner (Friedrich), Lydia Schönfeld (Mausi), Nina Hoger (Mutter), Rufus Beck (Einbrecher), Günther Lamprecht (Fischer) u. a. – Länge: ca. 90 Min. – Farbe – Verleih (ab Dezember 1996): Wild Utopia (35mm) – Altersempfehlung: ab 6 J.

"Ein bisschen Kindheit habe ich noch in der Tasche", sagt Rolf Losansky von sich selbst. Dieses "bisschen Kindheit", das trägt der Regisseur nun schon lange in die Filme hinein, die er für Kinder macht. Es ist eine Welt der Sinnlichkeit und der Phantasie, der Glaube an die kindliche, naive Kraft, die das Gute bewahrt in einem ziemlich rauen Alltag. Losansky glaubt, über seine Filme solche Eigenschaften auch bei seinen Zuschauern, und seien sie dort auch noch so gut versteckt, bestärken und möglicherweise erwecken zu können. Ein Schulgespenst, ein phantastischer Ritt in die Schule, oder die Flucht in die Litfaßsäule, das sind filmische Metaphern, mit deren Hilfe Losansky in früheren Jahren seine Idee erfolgreich transportiert hat.

Friedrich, der kleine Held im gerade fertig gewordenen, jüngsten Film von Rolf Losansky, steigt zwischen die Zeilen seiner Bücher. Dort findet er Partner für seine Träume und Probleme, dort finden sich Lösungen für seine Fragen. Robin Hood, das bedeutet für ihn Gerechtigkeit, gleichzeitig aber auch Symbol für den Vater, der irgendwann die Familie verlassen hatte und nach dem sich der Junge sehnt. Losansky lässt die Phantasiebilder des Jungen auf der Leinwand erscheinen. Robin und seine Mannen reiten für Friedrich, sie sind auch Helfer in größter Not, als Friedrich, allein zu Haus, von einem Einbrecher überrascht wird.

Der Einbrecher ist natürlich auf der Suche nach Geld – die ist aber in Friedrichs Wohnung vergeblich. Der Junge will den Dieb mit Worten davon überzeugen, doch der will nicht glauben. Er wühlt sich durch die Schränke und kommt schließlich auch in das Kinderzimmer. Hier schickt sich Friedrich an, seinen Bücherschrank notfalls auch mit Körperkraft zu verteidigen. Aha, denkt der Einbrecher, dort ist verborgen, was ich suche. Friedrich wird in den Kleiderschrank verfrachtet, und der Bösewicht durchstöbert die Bücher. Doch plötzlich geschieht Wunderbares. Der Einbrecher sinkt ausgerechnet mit Friedrichs Lieblingsbuch, natürlich Robin Hood, in einen Sessel und beginnt zu lesen. Er verliert sich in der Geschichte. Zwischenzeitlich kann Friedrich durch eine verborgene Tür hinter dem Schrank aus der Wohnung entkommen und nach Hilfe Ausschau halten. Friedrichs Mutter greift ein. Als die beiden in die Wohnung zurückkommen, ist der Einbrecher zwar noch da, doch er sitzt noch immer lesend in Friedrichs Zimmer und will gar nicht von seiner Lektüre ablassen. Die Figuren, die Friedrichs Phantasie beflügelt haben, die haben auch den Bösewicht eingenommen. Er ist in einer anderen Welt. Mutter und Sohn gewinnen Gefallen an dem fremden Mann. Als dieser schließlich durch einen Zufall doch noch ins Gefängnis muss, organisieren sie sogar eine Ausbruchsaktion für ihn. Der Einbrecher hat sich auf Friedrichs Phantasiewelt eingelassen, und wenn er das kann, dann muss er doch gut sein.

Rolf Losansky hat seinen Film nach einer literarischen Vorlage Christa Koziks gedreht. Im Buch ist die Phantasie des Jungen auf den "Kleinen Prinzen" von Saint-Exupery gerichtet. Durch die Neuorientierung auf Robin Hood hat Losansky im Film unmittelbarere Identifikationsmöglichkeiten für die Zuschauer geschaffen, er hat aber auch etwas von der philosophischen Dimension, die in dem Stoff steckt, verloren. Robin Hood ist als Figur Bestandteil der Massenkultur und damit nur noch bedingt geeignet, als gedankliches Alternativmodell zum Alltagsleben zu dienen. Um aber zu unterhalten, was auch ein wichtiger Anspruch Rolf Losanskys ist, war der Figurentausch allerdings nur zu konsequent. Das Zusammenleben Friedrichs mit seiner Mutter, die Freundschaft mit dem Mädchen Mausi, und nicht zuletzt die Überführung und schließlich Befreiung des Einbrechers sind auf Unterhaltung hin inszeniert.

Herausragend sind der neunjährige Friedrich Lindner – er hat selbst bestimmt, dass er im Film auch Friedrich heißen will – und seine Freundin Mausi, gespielt von der gleichaltrigen Lydia Schönfeld. Mausi aktiv und voller Witz und Friedrich mit ausdrucksvollen Augen und äußerst sparsamen, sanften Gesten. Die beiden tragen die Geschichte. Die Welt, die die Zuschauer im Film erleben, hat wenig soziale Konkretheit. Doch wo die Phantasie angesprochen wird, ist das Märchen nicht weit. Und Märchen werden gebraucht. Sei es nur, um auszuruhen.

Klaus-Dieter Felsmann

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 71-4/1997 - Interview - "Ich erzähle mit einem Augenblinzeln"

 

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