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Ausgabe 17-1/1984

DAS LETZTE EINHORN

THE LAST UNICORN

Produktion: Rankin / Bass Prod., USA / Großbritannien / Japan 1982 – Drehbuch: Peter S. Beagle, nach seinem gleichnamigen Roman – Regie: Arthur Rankin Jr. und Jules Bass – Musik: Jimmy Webb – Songs: "America" – Figurenentwürfe: Lester Abrams – Sprecher der dt. Fassung: Christopher Lee (König Haggard) u. a. – Laufzeit: 92 Min. – Farbe – FSK: ab 6, ffr – 35mm-Verleih: Filmwelt

Romanverfilmungen, zumal in Form eines Zeichentrickfilms, sind immer eine riskante Sache. Dennoch wollte Peter S. Beagle seinen Roman vom letzten Einhorn nie anders als in dieser Form auf die Leinwand bringen lassen. Um sicher zu gehen, dass dabei kein Substanzverlust eintritt, entschloss er sich, das Filmdrehbuch selbst zu schreiben.

Realisiert wurde das Projekt von Arthur Rankin Jr. und Jules Bass, deren Zeichentrickfilme schon mit einer Reihe internationaler Preise bedacht wurden. Sie sorgten dafür, dass in England, USA und Japan an diesem Film gearbeitet wurde, und sie koordinierten die einzelnen Studios so, dass der fertige Film wie aus einem Guss wirkt. Und so trabt nun das "letzte Einhorn", das schon als Romanfigur zum Symbol einer Bewegung ("Cornutopia") geworden ist, die im englischsprachigen Raum für ein neues, positives Denken steht, über die Kinoleinwand, um auch auf diesem Wege für die Verwirklichung von Phantasie und schöpferischem Leben zu werben.

Das letzte Einhorn erfährt ganz zufällig, dass es in seinem paradiesischen Walde ganz allein als letztes Einhorn lebt. Da macht es sich auf den Weg, um bei den Menschen nach seinen verschollenen Gefährten zu suchen. Für normale Menschen sieht das Einhorn aus wie ein Pferd, für Menschen aber, die noch träumen können, wird es als Einhorn sichtbar. Auf der Suche nach den anderen Einhörnern begegnet das letzte Einhorn dem Möchtegern-Zauberer Schmendrick und der Räuberbraut Molly Grue. Gemeinsam folgen sie der Fährte bis zum Schloss des finsteren alten Königs Haggard, dessen roter Feuerstier dereinst die Einhörner ins Meer getrieben hat, wo sie gewöhnlichen Sterblichen nur noch als Gischt der Wellen sichtbar sind.

Um dem roten Stier zu entgehen, wird Schmendricks Zauber gebraucht. Schmendrick, der sich seiner Gaben selbst nicht ganz bewusst ist, entwickelt in der Not ungeahnte Fähigkeiten: sein Zauber verwandelt das Einhorn in ein Mädchen, das ungehindert Haggards Burg betreten kann. Haggard begegnet dem Mädchen, Schmendrick und Molly Grue mit Misstrauen, während sich sein Pflegesohn Lir sofort in das Mädchen verliebt. Diese Liebe führt dann fast dazu, dass das Einhorn zu lange in Menschengestalt bleibt, um seine Gefährten im Meer befreien zu können.

Aber dann kommt es doch noch zur endgültigen Auseinandersetzung zwischen den Mächten des Guten und der Phantasie und den Mächten des Bösen und der Phantasielosigkeit. Lir greift aufopfernd ein, den Sieg jedoch erringt das Einhorn. Gewiss ein Happy End. Aber doch auch wieder nur ein neuer Anfang. Denn wie Schmendrick und Molly Grue so richtig feststellen, gibt es keine Happy Ends, sondern nur neue Anfänge.

Der Zuschauer braucht bei diesem Film also nicht zu befürchten, er bekäme eine schnulzige Romanze vorgesetzt. Wenn man von einem etwas zu lang geratenen Liebeslied absieht, sind Romanze, Abenteuer und Witz in diesem Film so wohldosiert, dass man die Mischung als passend empfindet. Natürlich wendet sich dieser Film auch an die Gefühle, und zwar ähnlich geschickt wie "E.T." oder "Unheimliche Begegnung der dritten Art". Aber wie diese Filme kommt auch "Das letzte Einhorn" ohne süßlichen Zuckerguss aus. Dafür ist dann der Höhepunkt so packend gestaltet, dass sich das Gefühl der Erlösung unmittelbar auf den Zuschauer überträgt. Mit seiner Erzählung hilft der Film dem Zuschauer, vieles zu überdenken. Wie das unsterbliche Einhorn, das als unsterbliches Wesen keine Gefühle bräuchte und doch durch sein Menschsein verändert wurde, so gewinnt auch der Zuschauer auf dem Umweg über den Mythos neue Kräfte.

Von allen Fantasy-Trickfilmen der letzten Jahre ist daher dieser der lyrischste und bislang schönste. Er ist so gelungen, dass die gezeichneten Figuren so lebensnah wirken, als wären sie den eigenen Hoffnungen und Wünschen entsprungen.

Wolfgang J. Fuchs

 

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Ausgabe 17-1/1984

 

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