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Ausgabe 17-1/1984

"Ich bin und bleibe Kintopp-Mann!"

Gespräch mit Rolf Losansky

(Interview zum Film DER LANGE RITT ZUR SCHULE und zum Film MORITZ IN DER LITFAßSÄULE)

Zur Person: Rolf Losansky, geb. 1931 in Frankfurt/Oder. Buchdruckerlehre. Besuch der Arbeiter- und Bauern-Fakultät in Berlin. 1955-1960 Regiestudium an der Deutschen Hochschule für Filmkunst in Potsdam-Babelsberg. Regieassistent bei Frank Beyer und Günter Reisch. Seit 1962 Regisseur im DEFA-Studio für Spielfilme – vorwiegend von Kinder- und Jugendfilmen. Mit mehreren Preisen und Anerkennungen ausgezeichnet. Filme u. a. "Geheimnis der 17" (1962/63), "Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen" (1963), "Euch werd ich's zeigen" (1971), "... Verdammt, ich bin erwachsen" (1973/74), "Ein Schneemann für Afrika" (1976/77), "Der lange Ritt zur Schule" (1982) und "Moritz in der Litfaßsäule" (1983).

KJK: Ihr vorletzter Film "Der lange Ritt zur Schule" ist auch einer über Kino und Fernsehen. Wie ist Ihr Verhältnis zu den beiden Medien?
Rolf Losansky: "Mir kommt es grundsätzlich auf das 'Miteinander' an. Viele unserer Filme, die für das Kino gedreht wurden, erscheinen nach zwei Jahren auf dem Bildschirm und umgekehrt kommt es vor, dass gute Fernsehfilme auch ins Kino kommen. Da gibt es wichtige Beziehungen und Wechselwirkungen. Unser Festival in Gera ist dafür ein Beispiel. Hier werden Spielfilme, Dokumentar- und Animationsfilme aus den Produktionsbereichen Film und Fernsehen gezeigt. Diese Zusammenarbeit setzt sich da fort, wo wir gemeinsam mit Autoren, Dramaturgen und Pädagogen im Bereich der außerunterrichtlichen Erziehung über Film und Fernsehen sprechen.
Kinder sehen viel Fernsehprogramme und für uns Filmemacher ist es sehr wichtig, darauf – und auch auf das, was sie dort sehen – einzugehen. Ich persönlich begrüße es sehr, wenn bei der gemeinsamen Arbeit mit dem Film die Eltern dabei sind, in einer solchen Runde können Eindrücke und Erfahrungen besser verarbeitet werden."

Gibt es ein Beispiel dafür, wie die Arbeit mit Kindern und Erwachsenen in der Praxis aussieht?
"In unseren Großbetrieben finden regelmäßig Betriebs-Festspiele statt, in denen Werktätige selbst etwas darbieten wie Musik und Laienspiel. Es werden aber auch Theaterstücke aufgeführt und Filme gezeigt. Da sollte zum Beispiel in einem Betrieb im Rahmen eines solchen Festes nachmittags einer meiner Filme gezeigt werden, und abends war für die Erwachsenen ein anderer Film vorgesehen. Die Delegation, die diesen Film präsentieren sollte, konnte aber nicht kommen, und die Betriebsgewerkschafts-Leitung entschloss sich kurzfristig, auch abends den Film 'Euch werd ich's zeigen' zu spielen. Anfangs gab es bei den Erwachsenen ein leichtes Murren: 'Wieso sollen wir jetzt noch einen Kinderfilm sehen', später entdeckten sie aber, dass ihnen der Film gefiel und sie sich mit ihren Kindern darüber unterhalten konnten. Im Betrieb wurde dann entschieden: Das machen wir jetzt immer so! Da ich meine Filme ja nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene mache, wünsche ich mir viele solcher Begebenheiten."

Wie sieht es denn mit den Kinderfilmen in den Kinoprogrammen aus, laufen sie isoliert in besonderen Vorstellungen oder wird versucht, "Familienprogramm" anzubieten?
"Es gibt Familienprogramme, und das ist auch wünschenswert so. Mein neuester Film ist ein ausgesprochener Familienfilm, und für 'Moritz in der Litfaßsäule' wird demzufolge entsprechend geworben: 'Heißer Tipp für kalte Tage – Ein Film für die ganze Familie!' Die Entwicklung zu Familienprogrammen ist zu unterstützen. Es gibt so viele Dinge, die Kinder alleine verarbeiten müssen und insofern ist es sehr wichtig, dass gemeinsame Unternehmungen mit den Eltern und Großeltern möglich sind."

Nun werden Ihre Filme ja nicht nur im Kino gezeigt, sie sind auch auf dem Bildschirm zu sehen. In welcher Position befinden Sie sich da als Regisseur? Denken Sie an die unterschiedlichen Dimensionen und Wirkungen von Leinwand und Bildschirm schon bei den Dreharbeiten?
"Also, ich bin grundsätzlich – wie man in Berlin sagt – Kintopp-Mann und das will ich auch bleiben. Ich weiß, dass der Film im Fernsehen andere Spezifika hat als ein Film auf einer großen Leinwand, der im Kino einem versammelten Publikum gezeigt wird. Entscheidend ist hier nicht allein nur das größere Bild, sondern das Miteinander-Erleben. Das wird oft unterschätzt, und es hat schon viele Kritiker überzeugt, sich Filme nicht alleine, sondern gemeinsam mit vielen Kindern anzusehen."

Das ändert aber nichts daran, dass Kinofilme auch im Fernsehen zu sehen sind. Welche Erfahrungen haben Sie damit gemacht?
"Ich habe eingangs schon gesagt, dass unsere Filme später auch vom Fernsehen ausgestrahlt werden. 'Der lange Ritt zur Schule' ist zu neu, er hat noch eine Sperrfrist. Ein anderer Film von mir, 'Ein Schneemann für Afrika', ist beispielsweise im Fernsehen gelaufen. Vorher war er im Kino sehr erfolgreich, und die Sendung hat für ein neues Interesse an dem Film gesorgt. Der Titel lebte wieder auf und es erreichten uns viele Briefe.
Trotzdem aber ist der 'Schneemann' kein Film fürs Fernsehen. Ich habe mit dem Film versucht, den Kindern auch Bilder aus Afrika zu zeigen. In erster Linie natürlich die Menschen, aber dazu noch die afrikanische Landschaft. Wenn man zum Beispiel im Kino die Totale von einer herrlichen Küstenlandschaft sieht, dann lehnt man sich zurück und lässt die Bilder auf sich wirken. Im Fernsehen dagegen muss man sich zum Bildschirm nach vorne beugen, um dann festzustellen: Ach, das ist ja eine Palme, die dort hinten steht.
Über den Kompromiss, einen Film für Kino und Fernsehen zu drehen, habe ich – das muss ich ehrlich sagen – noch nicht nachgedacht."

In der DDR existieren viele Filmclub-Organisationen, die sich um Filme und Publikum bemühen und die mit ihrer Arbeit für eine weit verzweigte Abspielstruktur sorgen. Welche Beziehungen gibt es zwischen den Filmemachern, den Clubs und den Zuschauern?
"Viele Filmemacher bei uns – und ich zähle mich mit dazu – sind der Meinung, mit dem Abdrehen eines Films ist die Arbeit noch nicht beendet. Obwohl es manchmal eine große Mehrbelastung ist, versuche ich, Einladungen zu Diskussionen usw. anzunehmen. Das geht natürlich nicht, wenn wir drehen, aber manchmal wechseln wir uns auch ab. Schreibe ich gerade an einem neuen Drehbuch und kann aus diesem Grunde nicht reisen, dann nimmt sich vielleicht der Kameramann oder ein anderes Mitglied aus dem Team die Zeit. Die Arbeit der Filmclubs ist für uns sehr wichtig, und wir helfen ihnen gerne. Im Verlaufe der Jahre sind viele feste Bindungen entstanden, die natürlich auch von der besonderen Initiative einzelner Personen abhängen.
Bevor ich hier nach Ludwigshafen gekommen bin, war ich in der Stadthalle von Karl-Marx-Stadt, wo mein Film 'Die Suche nach dem wunderbunten Vögelchen' gezeigt wurde und 'Moritz in der Litfaßsäule' eine Testvorführung hatte. Es waren ca. 1.200 Besucher da, Kinder und Eltern, und insgesamt haben ca. 15 Leute des Filmteams mit den Kindern gesprochen. Aber es wurde nicht nur geredet. Die Kinder konnten auch die Geräusche-Tricks probieren, Kostüme anziehen usw. Nach diesem 'Kinderfilmtreff' in einer Großstadt war ich dann in einem Dorf im Bezirk Magdeburg. Hier waren es nur ca. fünfzig Kinder und drei Erzieher: ein Lehrer, eine Mutter und der Bürgermeister. Gezeigt wurde 'Der lange Ritt zur Schule' und es hat uns allen sehr viel Spaß gemacht."

Wie ist überhaupt "Der lange Ritt zur Schule" bei den Kindern angekommen?
"Eigentlich mache ich ja 'leisere' Filme. Hier handelt es sich aber um einen 'lauten' Film, der mit einem Augenzwinkern und einer gewissen Ironie gedreht wurde. An diesem Film haben nicht nur die Jungen, sondern auch die Mädchen ihren Spaß. Da geht es zwar mit vielen Klischees (mit Western-Musik und so) zur Schule, aber es geht auch hinein in den realen Alltag. Bei den Kindern ist die Phantasie gefordert, und sie beziehen bestimmte Dinge auf ihre eigene Situation, die Abenteuer mit dem Fahrrad zum Beispiel. Gut ist, dass im Kino viel gelacht wird. Davon halte ich sehr viel. Hinterher gab es immer sehr temperamentvolle Diskussionen."

Haben Sie zu einigen Regie-Kollegen besonders enge Kontakte, und zu welchen Filmen haben Sie eine starke Beziehung?
"Ich mag das Leise, Märchenhafte der tschechischen Kinderfilme. Ich liebe aber auch viele der sowjetischen Kinderfilme, die Filme aus den Republiken, in denen wir die Menschen und die Landschaft einer bestimmten Region kennen lernen. Das sind authentische Zeugnisse der Kultur eines Landes. So etwas haben vielleicht auch die nordischen Kinderfilme an sich, aber ich kenne noch zuwenig, um das genau beurteilen zu können.
Die Kontakte zu Kollegen ergeben sich während der Arbeit oder auf den Festivals, und ich möchte hier keinen Einzelnen besonders herausnehmen. So ist für mich auch diese Tagung hier in Ludwigshafen sehr interessant. Ich sehe einige Filme, die ich noch nicht kenne, und ich diskutiere darüber ausführlich mit den Kolleginnen und Kollegen. Begegnungen dieser Art sind für alle wichtig."

In vielen Ländern gibt es ein wachsendes Interesse an Märchenfilmen. Auch in der DDR gehören Märchenfilme zu den Publikumserfolgen. Wodurch erklärt sich Ihrer Meinung nach dieser Trend und reizt es Sie nicht, einmal einen Märchenfilm zu drehen?
"Ja, ich habe noch keinen Märchenfilm gemacht. Aber vor Märchen habe ich einen 'ehrfurchtsvollen' Respekt und viele Kollegen – Schriftsteller, Autoren – die Märchen so weitererzählt haben, dass sie nicht verbogen wurden, haben mir diesen Respekt vor den Märchen beigebracht. Ich habe das Gefühl, um ein Märchen zu verfilmen, muss man älter sein, älter und weise – und ich bin wohl noch nicht weise genug.
Kindern und Erwachsenen kommt wohl in den Märchen – und vielleicht besonders heute, in einer international angespannten Zeit – der uralte Menschheitstraum nach Glück und Frieden, nach dem 'ewigen' Leben (... und wenn sie nicht gestorben sing, dann leben sie noch heute ...) entgegen. Mit der Sehnsucht nach diesem Leben und dem Wunsche nach dem glücklichen Ausgang von Geschichten (der Wolf ist tot und die Hexe ist verbrannt) erklären sich vielleicht die zunehmende Popularität von Märchen."

In den letzten Jahren und Jahrzehnten sind viele Märchenfilme gedreht worden. Märchen haben sich im Laufe der Zeit nicht so schnell verändert, wie zum Beispiel die Möglichkeiten, mit dem Medium Film Geschichten zu erzählen. Da fällt es doch immer schwerer, "alte" Märchen "neu" zu gestalten und vielleicht "zeitgemäße" Fassungen oder Interpretationen mit Hilfe des Films anzugehen.
"Das sehe ich genau so. Die Probleme liegen zum Beispiel dort, wo die Kinder die Märchen so sehen möchten, wie man sie ihnen schon immer erzählt hat. Hinzu kommt noch, dass die Märchenfiguren in der Phantasie der Kinder jeweils anders aussehen. Dornröschen kann in ihrer Schönheit noch gesteigert werden und viele Eigenschaften besitzen, die nicht im Märchen stehen, aber trotzdem bei den Kindern existent sind. Und dieses Doppelte filmisch zu verarbeiten und so umzusetzen, dass Film und Märchen von den Kindern wieder- und anerkannt werden, ist die Schwierigkeit für den Filmemacher. Da ist die Phantasie der Kinder den Möglichkeiten des Mediums weit voraus."

Das Gespräch führte Horst Schäfer

 

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