Produktion: Studio Turkmenfilm, Aschchabad, 1982 – Drehbuch: Tschary Japan, Usman Saparow – Regie: Usman Saparow, Jasgeldy Seidow – Künstlerische Leitung: Alexander Mitta – Kamera: Nurjagdy Schamuchammedow – Musik: Nury Chalmamedow – Darsteller: Begentsch Kurbandurdyjew (Tschaman), Ata Dowletow, D. Orajew, G. Kerimowa u. a. – Laufzeit: 79 Min. – Farbe – Deutschsprachige Fassung: DEFA-Studio für Synchronisation – Vertrieb: Sowexportfilm, Waldstr. 86, 5300 Bonn-Bad Godesberg, Telefon 0228 / 313082 (f. d. BRD) – Auszeichnungen: Goldener Preis des Kinderfilm-Wettbewerbs bei den 13. Internationalen Filmfestspielen Moskau 1983; Großer Preis der Stadt Mannheim bei der 32. Internationalen Filmwoche Mannheim 1983; 1. Preis beim 5. Internationalen Festival für Kinder- und Jugendfilme Tomar / Portugal 1984
Das Leben ist hart – besonders für den sechsjährigen Tschaman. Er setzt sich lieber dem Spott seiner Freunde aus, als etwas zu tun, was er nicht kann: zum Beispiel von einer Brücke ins Wasser springen. Eine Haltung, die ihm vom Vater als Feigheit und Schwäche ausgelegt wird. Als der Vater am Geburtstag dann noch erleben muss, dass die allerschönste Handarbeit, ein Tabaksbeutel, von Tschaman und nicht von einer seiner sechs Töchter stammt, beschließt er: Diese Verweichlichung des Sohnes muss ein Ende haben. Der Junge muss raus aus der Stadt, weg vom Fernsehen. Tschaman soll das Leben des Vaters und des Großvaters kennen lernen, die monatelang als Hirten fern von der Stadt, am Rande der turkmenischen Wüste, eine riesige Schafherde zu versorgen haben und damit den Unterhalt der Familie verdienen.
Tschaman will nicht, muss aber trotz Tränen seine Ferien dort verbringen. Angesichts der Weite der ihm unbekannten Landschaft, mit ihren unheimlichen Geräuschen, hat er nur einen Wunsch: nach Hause. Am Tage langweilt er sich, nachts fürchtet er sich. Doch Vater und Großvater zeigen kein Mitleid.
Langsam beginnt er sich dem Fremden anzunähern, aber zur Einsicht in Notwendigkeiten ist er noch längst nicht bereit – so lässt er sich beispielsweise auch nicht in den tiefen Brunnen hinabseilen, der repariert werden muss, damit die Schafe Wasser bekommen. Der Großvater tut es selbst, und riskiert fast sein Leben dabei. Tschaman spürt, obwohl kein Wort des Vorwurfs fällt, dass er den Großvater im Stich gelassen hat.
Mit der Zeit ergibt Tschaman sich seinem Schicksal, kann ihm sogar schöne Seiten abgewinnen. So unternimmt er mit dem kleinen Hirtenhund Streifzüge durch die faszinierende Landschaft, durch blühende Mohnblumenfelder, ausgetrocknete Salzseen, verwehte Sanddünen. Der Hund wird sein Freund, ebenso wie die neugeborenen Lämmer. Er identifiziert sich mit den kleinen, hilflosen Wesen. Umso schmerzlicher die Erkenntnis, dass die Schafe nicht nur gehalten werden, um Wolle zu geben, sondern ebenso Felle und Fleisch. Die unpathetischen Worte des Großvaters, mit denen er die Abhängigkeit zwischen Mensch, Tier und Natur erklärt, können Tschaman nicht beruhigen. Er möchte nicht schuldig am Tod seiner Lämmer sein, deshalb lässt er sie nachts frei und macht sich selbst auf den Heimweg. Der Tatendrang befreit ihn von seiner Angst. Auf einem Bahnhof am Rande der Wüste hört er zufällig im Radio eine Sturmwarnung an die Hirten. Tschaman kehrt um – zu seinem Vater, zum Großvater, zu den Schafen. Und fühlt erstmals, was es heißt, verantwortlich zu sein.
Die Geschichte eines Lernprozesses wird nicht mit großen Worten erzählt, sondern drückt sich in starken Bildern aus. Die wörtliche Übersetzung des Originaltitels, "Männliche Erziehung", ebenso wie der DEFA-Titel "Ein Mann von sechs Jahren" können allerdings mitteleuropäische Zuschauer in die falsche Richtung weisen. Die Eingangssequenz verstärkt diesen Eindruck noch: Mädchen dürfen Angst haben, Gefühle zeigen, weibliche Fertigkeiten entwickeln und Tränen vergießen, Jungen nicht. Dennoch versteht der Regisseur Usman Saparow seinen Film weder als chauvinistisches Gegenmodell zur Emanzipation noch als Verherrlichung alter Erziehungsideale. Diese bei uns erbittert diskutierten Assoziationen sind für den turkmenischen Filmemacher kein Thema. Er selbst, jenseits jedes Chauvinismus, sagt aus der Tradition seines Volkes heraus, angesichts der Familienstrukturen und der landschaftlichen Bedingungen: "Mann ist Mann, und Frau ist Frau – jeder hat seine Aufgaben."
Ihm geht es um andere Botschaften, die auch für uns Gültigkeit haben: die Liebe zur Natur, der Schutz der Natur, auch die Einordnung, sogar Unterordnung des Menschen dem Naturgeschehen. Ein Aspekt, der in der hiesigen naturbewegten Diskussion oft verloren geht, einfach deshalb, weil Natur in der Ungebrochenheit, Kraft und Härte bei uns nicht mehr vorhanden ist. In diesem Zusammenhang ist der Film zu sehen – ein Zusammenhang, der für Kinder, allerdings für größere, etwa ab 8 Jahren, klarer und selbstverständlicher zu sein scheint als für manche erwachsene Zuschauer.
Gudrun Lukasz-Aden/Christel Strobel
Zu diesem Film siehe auch:
KJK 29-1/1987 - Kinder-Film-Kritik - Ein Mann von acht Jahren
KJK 28-1/1986 - Interview - Den Kindern eine andere Beziehung zur Natur plausibel machen
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