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Ausgabe 41-1/1990

DER CLUB DER TOTEN DICHTER

DEAD POETS SOCIETY

Produktion: Touchstone / Silverscreen / Steven Haft Prod. / Witt-Thomas Prod., USA 1988 – Regie: Peter Weir – Drehbuch: Toni Schulman – Kamera: John Seale – Musik: Maurice Jarre – Darsteller: Robin Williams, Robert Sean Leonard, Ethan Hawke, Josh Charles, Gale Hansen u. a. – Laufzeit: 128 Min. – Farbe – Verleih: Warner Bros. Film (35mm) – Altersempfehlung: ab 12 J.

Herbst 1959: In der traditionellen Welton Academy an der amerikanischen Ostküste beginnt das neue Schuljahr. Das Internat ist bekannt für seine elitäre und exzellente Ausbildung, das Motto heißt seit 100 Jahren unverändert "Tradition, Ehre, Disziplin, Vortrefflichkeit".

In diesem Jahr wird den Zöglingen ein neuer Englischlehrer vorgestellt, Professor John Keating, selbst ein Ex-Schüler dieser Lernanstalt. Durch seine unkonventionelle Art des Unterrichts macht er sich bei den Kollegen verdächtig, bei den Schülern jedoch beliebt. "Carpe Diem", nutze den Tag, ist sein Wahlspruch. "Macht euer Leben außergewöhnlich", ermutigt er die Eleven, die in der genormten Wirklichkeit des Internats kaum die Möglichkeit haben, Phantasie oder Kreativität zu entwickeln. Seine Methoden der Wissensvermittlung bestärken die Jungen in ihrer Individualität. Beispielsweise, wenn er auf das Pult steigt, um zu beweisen, dass eine andere Position auch eine andere Sichtweise mit sich bringt und die Schüler dann einer nach dem anderen auf das Pult klettern, um die Aussage zu überprüfen. Keating ermutigt ohne direkte Aufforderung seine Schüler zur Gründung des "Clubs der toten Dichter", dem er in seiner Schulzeit selbst einmal angehört hatte. So treffen sich einige Jungen nachts heimlich in einer abgelegenen Höhle, um eigene Gedichte und Werke vergangener großer Dichter zu rezitieren. Zwischen den Mitgliedern entwickelt sich Freundschaft und Komplizenschaft.

Eines der wichtigsten Elemente im Film ist die Freundschaft zwischen dem schüchternen Todd Anderson und seinem Zimmerkollegen Neil Perry. Todd möchte gerne Schriftsteller werden, hat aber Angst, sich vor Publikum zu artikulieren, schreibt lieber heimlich seine Gedichte. Ganz das Gegenteil davon ist Neil, für den der Vater eine Arzt-Karriere plant. Der Junge ist aufgeweckt, intelligent, rhetorisch begabt und mit einer Portion Charme und Überzeugungskraft ausgestattet. Neil entdeckt seine Liebe zur Schauspielerei und nimmt – obwohl sein Vater es ihm verbietet – die Hauptrolle in Shakespeares 'Sommernachtstraum' an. Die Premiere wird zu seinem persönlichen Erfolg. Doch nach der Aufführung holt ihn der Vater nach Hause und teilt ihm mit, dass er zur Strafe auf die Militärakademie geschickt wird. In seiner Verzweiflung begeht Neil Selbstmord.

Die Schulleitung sucht einen Schuldigen und macht Keating mit seinen liberalen Ideen für Neils Tod verantwortlich, weil er ihm "unnütze Ideen in den Kopf gesetzt" habe. Der Direktor zwingt das schwächste Mitglied des Clubs, seine Freunde zu verraten. Die werden einer nach dem anderen zum Direktor zitiert und genötigt, ein Papier zu unterschreiben, dass Keatings Einfluss für Neils Selbstmord auslösend war. Keating muss die Schule verlassen. Als er seine persönlichen Dinge aus dem Klassenzimmer abholt, in dem jetzt der autoritäre Direktor Englisch unterrichtet, kommt es zu einer spontanen Geste der Solidarität. Die Schüler steigen auf ihre Pulte, ohne sich von den Drohungen des Direktors irritieren zu lassen, um ihrem geliebten Lehrer Keating zu beweisen, dass sie nichts von dem vergessen haben, was er ihnen beibrachte, dass sie weiter versuchen werden, die Welt aus einem anderen, aus ihrem Blickwinkel zu sehen ...

Dem australischen Regisseur Peter Weir gelang einer der seltenen Glücksfälle im heutigen Kinogeschäft. Da stimmt das Drehbuch, die Besetzung, die Dramaturgie, die Musik. "Der Club der toten Dichter" ist ein "pädagogischer" Film in dem Sinn, dass er zur Verwirklichung von Träumen und Sehnsüchten ermutigt, zur geistigen Unabhängigkeit, zur Erkämpfung von Freiräumen und seien sie noch so klein. Er ist aber auch ein "anti-pädagogischer" Film, indem er die herkömmlichen pädagogischen Strukturen von Autorität, Normvollzug, das Erreichen von vorgegebenen Lernzielen in Frage stellt. Peter Weir ist die Gratwanderung zwischen Intellekt, Emotion und Humor gelungen, er balanciert die unterschiedlichen Aspekte geschickt aus.

"Keating kann seine Schüler mit einem Wort oder einer Geste zum Lachen bringen, ohne sie damit vom Lernen abzuhalten", charakterisiert Weir die Lehrerfigur, die den Zusammenstoß zweier Welten provoziert. "Welton ist die Welt der Ordnung, die klassische Welt von Proportion, Harmonie und Form. Die Höhle symbolisiert die primitiven Ursprünge des Menschen."

"Der Club der toten Dichter" ist zu Beginn Komödie und endet als Tragödie. Er spricht nicht nur den Kopf an, sondern geht auch in den Bauch, ist ein Film, der Tränen beim Zuschauer hervorlockt. Aber nicht mit der Darstellung einer falschen Idylle, einer unglücklichen romantischen Liebe oder der Geschichte von einem jugendlichen Helden, der sich generös für ein nebulöses Ziel opfert. Dieser Film provoziert bei dem einen oder anderen vielleicht Tränen und zumindest Gedanken über den Verlust an Zivilcourage, über den Verlust an Träumen, über das Verschenken von Möglichkeit zur Individualität, die Lehrer und Eltern auch heute noch gerne austreiben, über das Defizit an Poesie im Alltag. Aber gleichzeitig macht er Mut, diese Defizite vielleicht doch noch beheben zu können, macht Mut zum Widerstand gegen totalitäre Systeme – nicht nur im Großen sondern auch im Kleinen – und ist ein bewegendes Plädoyer für Freundschaft und Solidarität, ein zutiefst menschlicher Film.

Margret Köhler

 

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