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Ausgabe 41-1/1990

PIANKE

Produktion: Fernsehen der DDR, hergestellt im DEFA-Studio für Spielfilme, DDR 1983 – Regie: Gunter Friedrich – Drehbuch: Peter Abraham, nach seinem gleichnamigen Kinderbuch – Dramaturgie: Anne Goßens – Kamera: Hans-Jürgen Kruse – Musik: Gunther Erdmann – Darsteller: Alexander Heidenreich, Volkmar Kleinert, Eileen Meyer, Renate Heymer u. a. – Laufzeit: 90 Min. – Farbe – zurzeit ohne Verleih – Altersempfehlung: ab 10 J.

Man schreibt das Jahr 1943. Die Stadt Berlin, einst selbstbewusst-aggressive Hauptstadt eines diktatorischen Staates, gleicht einer Trümmerwüste. Bombenangriffe gehören zum grausigen Alltag der Bevölkerung und "ausgebombt sein" zum Schicksal vieler. In einem Keller, irgendwo in dieser zerstörten Stadt, sitzt voller Angst der neunjährige Andreas mit seinem Vater, bis auch sie ausgebombt werden. Was dem aufgeweckten, etwas frechen Jungen unbegreiflich und traurig erscheint, ist für seinen Vater die lang herbeigesehnte Chance, endlich der Verfolgung durch Gestapo-Spitzel zu entkommen. Er, der gesuchte Widerstandskämpfer, der Kommunist. Ein völlig neues Leben beginnt für Vater und Sohn. Als Versteck dient nun das Haus eines Juden in einer abgelegenen Laubenkolonie.

Der Verlust des Zuhauses und die ungewisse Zukunft, eine fremde, ihm unheimliche neue Umgebung, die Aufgabe seiner Freunde und das Verbot, die Großeltern zu besuchen, belasten den Neunjährigen sehr. Doch am allerschlimmsten ist für ihn der neue Name, den er von nun an tragen muss: Diethelm Krüger, ausgerechnet Diethelm, mault er. Das Leben in der Laubenkolonie bestimmt fortan den Alltag. Und hier beginnt die eigentliche Geschichte des Films "Pianke", gedreht nach Motiven aus dem gleichnamigen Buch von Peter Abraham. Widerstand gegen das Naziregime und eine Kindheit in diesem Spannungsfeld: Etwas zu tun, was man freiwillig nicht tun würde. Gegen einen Feind zu kämpfen, den man selber noch nicht als Feind erkannt hat, dessen Ideologien nicht fremd erscheinen und dessen Ideale zum Teil auch die eigenen sind. Denn auch Diethelm/Andreas würde gerne Hitler-Junge werden, als Soldat für sein Vaterland kämpfen ... aber da sind noch die Ideale seines Vaters, der mutige Kampf gegen einen Unrechtstaat, gegen die Nazis.

In der Schule als Neuer ausgelacht, besteht Diethelm/Andreas seine erste Probe. "Ich heiße Diethelm Krüger", erklärt er stockend seinem Lehrer, einem überzeugten Nazi. Diethelm wird mit einem Schlappschwanz verglichen, schlimmer noch, mit einem Lügner, einem Schwindelweizen, von Bauern auch "Pianke" genannt. Alleingelassen, verhöhnt und unsagbar traurig fühlt sich Andreas, als er unter lautem Gelächter seiner Mitschüler einen Spitznamen erhält, nämlich "Pianke", Schwindelweizen also. Die psychischen Belastungen sind für den Jungen groß. Immer muss er auf der Hut sein, immer aufpassen, dass er sich nicht verplappert, immer freundlich grüßen, wenn ihm der misstrauische Blockwart begegnet. Als dann noch das jüdische Mädchen Irma zu Vater und Sohn in die Laube zieht, kommt nicht nur ein verängstigtes Kind zu ihnen, sondern eine Angstkomponente mehr. Doch allmählich schließt Pianke Freundschaft mit dem Mädchen, gewinnt sie als seine Eingeweihte in die kleinen Geheimnisse. Gemeinsam begehen die Kinder ihre kleinen Fluchten aus dem gefährlichen Alltag. Und aus dem melancholischen Pianke wird allmählich wieder der liebenswerte Junge mit den frechen Sommersprossen auf der Nase.

1983 entstand dieser DDR-Film in der Regie von Gunter Friedrich ("Unternehmen Geigenkasten", "Hasenherz") über eine Kindheit in Berlin, die überschattet war von Krieg und Nazi-Terror, geprägt vom Widerstandskampf des Vaters und der Angst um ein jüdisches Mädchen. Der klar erzählte Kinderfilm, ohne pädagogisch-belehrende Schnörkel und falsch verstandene politische Moral, zeigt, wie mutig, verständnisvoll und verantwortungsbewusst Kinder in extremen Situationen handeln können und wie sie sich trotzdem ihre eigene heile Welt bewahren. Einmal abgesehen davon, dass eine Kindheit im Nazi-Deutschland kaum normal noch heil war, hat die Kindheit von Pianke noch einen Akzent mehr: die eines Kindes im Untergrund, konfrontiert mit allen Widersprüchen, die diese Art von Leben mit sich bringt.

"Pianke" ist ein nachdenklich stimmender Film und ein witziger Film zugleich. Und es ist auch ein Erwachsenenfilm, denn die Frage ist durchaus berechtigt: Ist es vertretbar, Kinder einer Verantwortung auszusetzen, der sie noch nicht gewachsen sind.

Marianne Mielke

 

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