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Ausgabe 41-1/1990

"Jetzt höre ich Nachrichten aus Brasilien aufmerksamer als vorher"

Gespräch mit Marie Bierstedt, Hauptdarstellerin in dem Film "Die Mondjäger"

(Interview zum Film DIE MONDJÄGER)

KJK: Wusstest Du viel über Brasilien, bevor Du in dem Film gespielt hast?
Marie Bierstedt: "Naja, ich wusste etwas über die Regenwälder. Ich bin auch vorher nicht mehr zu McDONALD's gegangen, aber mich hat das Thema nicht so beschäftigt. Mir war nicht mal bewusst, dass Rio in Brasilien liegt. Allerdings habe ich vor unserem Flug einige Bücher über die Indianer gelesen. Jetzt höre ich Nachrichten aus Brasilien aufmerksamer als vorher."

Die Geschichte beschreibt ja das Aufeinandertreffen zweier Kulturen. Hast Du die Wirklichkeit auch so erlebt?
"Ja. Aber ich habe manchmal anders reagiert als die Katrin im Film. Zum Beispiel benimmt sie sich im Umgang mit den Indianern etwas naiv. Ich wusste mehr über die Indianer als die Katrin im Film, z. B. fragt sie bei dem Wasserschlagen, warum Wao Moté sie nicht anguckt. Das hätte ich nicht getan."

Warum hast Du dem Regisseur das nicht gesagt und ihn gebeten, das zu ändern?
"Weil ich ja die Katrin spiele, und wenn die so ist, dann akzeptiere ich das."

Die Katrin im Film macht ja eine Wandlung durch, sie wird reifer. Hast Du Dich durch den Film auch etwas geändert?
"Nein, das glaube ich nicht."

Der Film erzählt auch eine Liebesgeschichte. Kannst Du Dir vorstellen, dass Du mit einem Indianer befreundet wärst?
"Eigentlich nicht. Ich glaube, das würde viele Schwierigkeiten mit sich bringen. Außerdem möchte ich mich nicht in die Kultur einmischen. Ich weiß auch nicht, ob die Indianer es umgekehrt zulassen würden. Hier in Europa könnte ich mir eher vorstellen, mit einem Indianer befreundet zu sein."

Du sagtest vorhin, manchmal hättest Du Dich anders verhalten als die Katrin im Film. Kannst Du noch Beispiele nennen?
"Zum Beispiel, dass sie immer drauflos redet. Sie kennt den Indianer gar nicht, aber als sie einmal in der Kirche sitzt und er sie wegen der Kette anspricht, erzählt sie ihm gleich etwas vom Vater, was der Indianer gar nicht verstehen kann. Ich wäre in der Situation nicht darauf gekommen, dass er etwas mit meinem Vater zu tun hat."

Die Katrin wirkt gar nicht ängstlich. Wärst Du in Wirklichkeit auch so unerschrocken gewesen?
"Wenn der Joâo nicht dabei gewesen wäre, hätte ich Angst gehabt. Ohne ihn hätte ich den Wao Moté ja gar nicht verstanden. Die lange Flussfahrt hätte ich auch gemacht, wenn ich das Gefühl gehabt hätte, dass mich Wao Moté beschützen kann. Aber nach der Landung hätte ich, schneller als die Katrin, meinen Großvater benachrichtigt. Ich glaube, da hätte ich mehr Verantwortungsgefühl gehabt."

Wie war die Zusammenarbeit mit Wao Moté?
"Gut. Wir haben uns gut verstanden. Ich habe zwar seine Sprache nicht verstanden, aber man lernt sich trotzdem kennen."

Hat sich die Beziehung im Laufe der Drehzeit intensiviert?
"Das kann ich nicht sagen. Ich war auch oft mit Leuten aus dem Team zusammen, weil ich mit denen sprechen konnte. Und gegen Ende drehten Wao Moté und ich nicht mehr so viel zusammen. In dieser Zeit ging es ihm manchmal schlecht. Er hatte Heimweh."

Woran merktest Du das?
"Man spürte es an der Art, wie er uns Fotos von den Leuten aus seinem Stamm zeigte."

Hat sich Wao Moté nach dem Zeremoniell, an dem er ja wirklich teilgenommen hat, verändert?
"Nein. Das Zeremoniell ist eigentlich für Jüngere. Wenn die damit fertig sind, gehen die Älteren, die das schon hinter sich haben, aus Spaß noch einmal ins Wasser. In dieser Gruppe befand sich Wao Moté – aber das sieht man im Film nicht. Dort sieht es so aus, als ob er bei den Jüngeren wäre."

Wieso durftet Ihr an dem Zeremoniell überhaupt teilnehmen?
"Es gab viele Vorgespräche zwischen Jens (dem Regisseur) und den Leuten von dem Stamm. Es war auch nicht einfach. Das Fest wurde immer wieder verschoben, weil die Farbe für die Bemalung der Haut noch nicht fertig war. Dadurch musste der Drehplan immer wieder geändert werden. Und dann sahen es nicht alle im Stamm gern, dass wir das Zeremoniell filmten."

Wie ging es Dir in der Situation, als Du das angesehen hast?
"Ich hatte gemischte Gefühle. Zum einen war es toll, aber es war auch traurig. Normalerweise ist das Zeremoniell für 15- bis 20-Jährige, aber hier waren schon Siebenjährige dabei, weil die Eltern sie nicht mehr ernähren können. Nach dem Zeremoniell sind sie 'erwachsen' und müssen sich ihr Essen selbst besorgen. Überhaupt werden in dem Stamm die Bräuche immer weniger geachtet. Die Jüngeren hören Discomusik, die bei uns vor drei Jahren gelaufen ist, und auf der anderen Seite tanzen sie noch ihre alten Tänze. Dieser Kulturverfall ist traurig."

Habt Ihr außerhalb der Dreharbeiten etwas mit den Leuten von dem Stamm gemacht?
"Nein, wir waren meistens für uns. Manchmal kam Wao Moté zu uns, aber das war für ihn schwierig, denn die Dorfältesten sahen das nicht so gern. Daher haben wir uns von uns aus auch zurückgezogen, um niemanden mit unseren freieren Umgangsweisen zu stören."

Was hat Dir bei den Dreharbeiten besonderen Spaß gemacht?
"Die Szene auf dem Schiff, wo ich Wao Moté erzähle, wie uns mein Vater verlassen hat. Überhaupt haben mir die ernsteren Szenen Spaß gemacht."

Und was hat Dir bei den Dreharbeiten gar nicht gefallen?
"Die Krokodilszene. Das musste so schnell gehen. Bevor ich mir vorstellen konnte, dass Krokodile kommen, musste ich schon wieder aus dem Wasser sein."

Wie gefällt Dir der Film?
"Jetzt finde ich ihn besser, als ich erst dachte. Während der Dreharbeiten habe ich nicht geglaubt, dass er mir gefallen würde, weil ich nicht das Gefühl hatte, dass ich eine Rolle spiele. Ich hatte oft das Gefühl, in einem Übergang zu sein, einmal kurz durchs Bild zu laufen und fertig.
Mir gefällt nicht, dass der Film wenig vom Leben der Indianer zeigt – so wie sie wirklich leben. Es wird eigentlich immer mehr erzählt, man hört etwas über ihr Leben. Ich hätte gerne noch mehr gezeigt – aber dann wäre es auch ein anderer Film geworden. Ich glaube, man sieht nicht, dass diese Kultur im Verfall begriffen ist, dass die Indianer abhängig sind von der Mission und dass sie nicht mehr jagen können."

Meinst Du, dass das die Absicht des Filmes ist?
"Ja, ich denke schon. Die Freundschaft zwischen dem Indianer und Katrin ist ja nur ein Mittel, um das zu zeigen. – Und dann hätte ich den Schluss gerne verändert, zum Beispiel hätte die U-Bahn-Szene am Schluss fehlen können. Diese Szene verhindert meiner Meinung nach, dass man weiter über Brasilien nachdenkt. Man ist mit seinen Gedanken wieder in Deutschland. Die Schlussszene kann ruhig hier spielen, aber sie hätte gedanklich noch eine Verbindung zu Brasilien herstellen müssen."

Mit Marie Bierstedt sprach Justine Schuchardt

 

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