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Ausgabe 42-2/1990

VERBOTENE LIEBE

Produktion: DEFA-Studio für Spielfilme, Gruppe 'Berlin', DDR 1989/90 – Regie: Helmut Dziuba – Drehbuch: Helmut Dziuba, nach Motiven der Erzählung "Der Sündenfall" von Helmut H. Schulz – Kamera: Helmut Bergmann – Schnitt: Monika Schindler – Ton: Klaus Tolstorf – Musik: Christian Steyer – Darsteller: Julia Brendler, Hans-Peter Dahm, Gudrun Ritter, Karin Gregorek, Rolf Dietrich, Heide Kipp, Peter Sodann, Dietrich Körner u. a. – Laufzeit: 85 Min. – Farbe – Weltvertrieb: DEFA-Außenhandel, Milastraße 2, DDR-1053 Berlin – Altersempfehlung: ab 14 J.

Als Helmut Dziuba vor sechs Jahren begann, sich mit dem Stoff der "Verbotenen Liebe" zu beschäftigen, war gerade sein letzter Gegenwartsfilm "Erscheinen Pflicht" auf die Leinwände der DDR gelangt und hatte, zumindest bei einigen maßgeblichen Politikern, für erhebliche Irritationen gesorgt. Im Zentrum jener berührenden Arbeit stand ein Mädchen, das nach dem Tod des Vaters, eines Kreisvorsitzenden in der Provinz, aus ihrer Sicherheit gerissen wird. Der Film, in einigen Szenen von schmerzhafter Offenheit, kam der Wahrheit des DDR-Alltags, dem Lebensgefühl junger Menschen zwischen Anpassung und Suche nach neuen Wegen zu einem sinnerfüllten Dasein sehr nahe.

Deshalb stieß auch "Erscheinen Pflicht" in der sogenannten "Spielstelle Eins", dem Kino der abgeschirmten Politbüro-Waldsiedlung Wandlitz, auf geharnischte Kritik. Der damalige Staatsratsvorsitzende selbst zeigte sich unzufrieden; vor allem die Darstellung des Vereinsamungsprozesses einer Funktionärsfamilie war ihm Anlass, dafür zu sorgen, dass Dziubas Film massiv behindert wurde. Die Jurys beim Karl-Marx-Städter Spielfilmfestival 1984, wo "Erscheinen Pflicht" seine Uraufführung erlebte, wurden mit dem Ziel unter Druck gesetzt, einen Preis möglichst zu verhindern. Der FDJ-Zentralrat, der den Film noch kurz vorher als besonders wichtig eingestuft hatte, zog seine Referenz zurück. Und die allmächtige Abteilung Agitation beim ZK der SED sorgte dafür, dass das nach Erzählungen von Gerhard Holtz-Baumert gedrehte Werk in den Medien nahezu totgeschwiegen wurde (und mit ihm gleich das gesamte Festival).

All das in Erinnerung zu bringen, scheint mir wichtig, um deutlich machen zu können, welcher Mut und welche moralische Lauterkeit dazu gehörten, in einer solchen Situation erneut nach einem "heißen Eisen" zu greifen. Und darum handelt es sich bei "Verbotene Liebe" allemal. Denn Helmut Dziubas neuer Film gestaltet das Thema der Liebe zwischen Georg, einem 18-jährigen jungen Mann (von Hans-Peter Dahm mit fast stoischer Ruhe gespielt), und dem zwölfjährigen Mädchen Barbara (leidenschaftlich, mit großen fragenden Augen und ohne Scheu: Julia Brendler). Eine Liebe, die nach ihrer Entdeckung und nach der Anzeige durch die Eltern der Minderjährigen zum "Fall" wird und zur charakterlich-sittlichen Herausforderung für die gesamte Umgebung: Verwandte, Freunde, Lehrer, Richter. Die Anklage gegen Georg lautet "sexueller Missbrauch" – ein Delikt, das den Oberschüler hinter Gitter bringen muss. Für Dziuba ist dies freilich kein Anlass, eine spektakuläre Kriminalstory aufzubereiten; vielmehr beschreibt er subtil und offen, wie es zur Annäherung der beiden gekommen ist. Und so blendet der Film nach dem Auftaktbild vom Gerichtssaal in die Vergangenheit zurück.

Motive einer Kinderfreundschaft: der gemeinsame Weg zur Schule, die ersten unschuldigen Berührungen. Ein Badeunfall, bei dem Georg das Mädchen vorm Ertrinken rettet, verstärkt Barbaras Sehnsucht nach Schutz und Geborgenheit (ein Traum, den ihr das robuste, zu Zärtlichkeiten kaum fähige Elternhaus nicht erfüllen kann).Die durchaus nicht nur spielerisch gemeinten Worte des frühreifen Kindes: "Ich will, du wirst mein Mann." Schließlich, nach Jahren, der erste intime Kontakt in einer alten Scheune. Doch über dem Refugium zieht sich ein Gewitter zusammen – ein symbolisches Bild, ebenso wie kurz vorher die Totale eines Kornfeldes.

Wird bis dahin die Geschichte der beiden Elternhäuser eher beiläufig miterzählt, nimmt diese nun – wie die gesamte dörfliche Umgebung – im Film stärkere Konturen an. Zwischen Barbaras und Georgs Familie lodert seit langem Hass: eine Romeo und Julia auf dem Dorfe-Konstellation, in Helmut H. Schulz literarischer Vorlage, der Erzählung "Der Sündenfall", ähnlich novellistisch angelegt wie bei Gottfried Keller. Georgs Eltern (Karin Gregorek und Rolf Dietrich): ein ziemlich müdes, verbrauchtes Paar, das sich ein Leben lang um Lauterkeit bemühte, politisch immer der von oben angeordneten Linie folgte, dafür mitunter auch finanzielle Einbußen hinnahm. Barbaras Vater (Peter Sodann) dagegen widmet sich vorrangig dem Zählen seiner Ersparnisse. Als die "verbotene Liebe" ruchbar wird, ist ihm die eigene Tochter relativ unwichtig; die Anzeige soll vor allem den Vater Georgs, einen "Genossen", diskreditieren, das bescheidene gesellschaftliche Renommee der Nachbarfamilie zerstören. Wie Hohn wirkt der kurz eingeblendete Spruch auf dem Küchenvorhang: "Sauberkeit ziert allezeit".

Beide Elternhäuser, so scheint es, sind Helmut Dziuba nicht sehr sympathisch; aber den barbarisch anmutenden Verhältnissen des einen steht er denn doch weitaus ablehnender gegenüber als der verhärmten, harmlosen Kleinbürgerlichkeit des anderen. Indes: Viel wichtiger sind dem Regisseur die beiden Kinder, die aus all dieser Tristesse wie Lichtgestalten hervortreten, und für die ein von Barbara aufbewahrtes Thälmann-Zitat zu einer Art Leitspruch wird: "Ein Leben ohne Hoffnung ist wie ein Vogel ohne Schwingen. Ein Leben ohne Liebe ist wie ein Himmel ohne Sterne."

Auch in der Schule sorgt der "Fall" für Aufregung – und auch hier gelingen Dziuba Szenen, die einem den Atem stocken lassen. Keine der Figuren, weder Lehrer noch Kinder, wird vorschnell der Kritik preisgegeben; aber der Film führt Haltungen des Opportunismus und der Heuchelei vor, die immer wieder die Frage nach dem Warum provozieren. Weshalb wird eine Lehrerin (Gudrun Ritter), der sich das Mädchen frühzeitig anvertraut hatte und die die Aufrichtigkeit dieser Liebe erkannte, dafür gemaßregelt, dass sie das Vertrauen Barbaras nicht brach? Weshalb weist der Direktor (Dietrich Körner), eigentlich ein recht umgänglicher Mann, an, Georg aus dem "Ehrenbuch" der Schule zu streichen? Weshalb ordnet sich die FDJ-Gruppe diesem "Befehl" unter, obwohl einige sehr stark daran zweifeln, dass es richtig ist, den Lohn für frühere Leistungen mit einem Federstrich zu tilgen? Und weshalb wird Barbara, die in der Versammlung ihre Hand dagegen erhebt, flugs zum "Gast" erklärt, um eine fragwürdige Einstimmigkeit konstatieren zu können? – Wie tief eigentlich steckt die Schizophrenie in jedem einzelnen?

An der Meinung Dziubas zu alldem besteht kein Zweifel; eine Sequenz kurz vor Schluss stellt das Credo des Regisseurs noch einmal deutlich aus: Plötzlich keimt in der Schule Widerstand gegen die verordnete Doppelzüngigkeit und Anpassung. Die Schüler rebellieren. "Freiheit für Georg, für Georg muss her", schallt es durch die Gänge – Bilder, die durchaus als Zeichen für das gesellschaftliche Klima in jener Zeit gedeutet werden können, in der "Verbotene Liebe" inszeniert wurde – im Sommer und Herbst 1989.

Ralf Schenk

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 41-2/1990 - Interview - "Die Zeit überholt das Denken"

 

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