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Ausgabe 46-2/1991

"Wir möchten, dass unsere Filme lange Zeit zeitlos wirken"

Gespräch mit Roy E. Disney

(Interview zum Film ARIELLE – DIE MEERJUNGFRAU)

Roy E. Disney, Neffe von Walt Disney und heute Chairman of the Board der Disney Company, machte – als Leiter der Trickfilmabteilung – während der Promotion-Tour für den neuesten abendfüllenden Disney-Film, "Arielle die Meerjungfrau", auch in München Station. KJK-Mitarbeiter Wolfgang J. Fuchs sprach mit ihm.

KJK: Wenn man den Film "Arielle die Meerjungfrau" nach seiner Musik und Inszenierung beurteilt, entdeckt man viel Selbstironie und sogar eine humoristische Verfremdung der enthaltenen Romanze.
Roy E. Disney: "Das ist bei dieser Art Film unbedingt notwendig. Ernsthafte Animations-Storys wären wohl nach einiger Zeit ziemlich langweilig. Trickfilme kommen beim Publikum nur dann an, wenn der dramatische und der humoristische Aspekt einer Geschichte ausgewogen aufeinander abgestimmt sind."

Das ist gegenüber früher für das Disney-Studio ein gewisser Fortschritt.
"Njaaa. Ich finde aber schon, dass dieser Film sehr in der Tradition etwa von 'Schneewittchen' und 'Pinocchio' ist. Die Leute sehen sich diese Filme nicht nur wegen der Geschichten an, sondern auch, weil sie witzig sind. Und aus diesem Grund arbeiten wir sehr hart daran, komisch UND dramatisch zu sein."

Gab es auch den absichtlichen Versuch, "aktuell" zu sein. Etwa in der Art des Humors?
"Nun, mit aktuellem Humor muss man vorsichtig sein. Denn bei Trickfilmen dauert es ja gewöhnlich drei, vier Jahre vom Erzählen des Witzes bis zur ersten Präsentation vor einem Publikum. Und auch die Musik ist in dieser Hinsicht schwierig. Wenn man sich etwa Michael Jackson in unseren Filmen vorstellen würde, wüsste ja niemand, ob den in vier Jahren noch jemand kennt. In puncto Aktualität muss man also sehr vorsichtig sein. Außerdem möchten wir natürlich, dass unsere Filme lange Zeit zeitlos wirken. Daher ist universeller, figurenbezogener Humor viel wichtiger als aktueller."

Andererseits ist aber gerade Arielle eine modernere Figur, als man sie auch in jüngerer Zeit in Disney-Filmen gesehen hat. Dennoch hat sie das Zeug dazu, zeitlos zu werden.
"Na hoffentlich. Arielle ist in der Tat ein sehr modernes Mädchen, sie ist 16 Jahre alt und somit in dem Alter, in dem man seine Unabhängigkeit anstrebt. Nun könnte man aber auch sagen, dass dieser Gedanke bis zu den Höhlenmenschen zurückgeht. Das ist etwas, das alle Eltern der Welt verstehen."

Das Mädchen ist aber auch typisch amerikanisch.
"Möglich. Das ist aber auch irgendwo natürlich. Denn da die Charakteristika der Mitarbeiter in die Geschichte ausstrahlen, kann man noch so sehr versuchen, sie universell zu machen. Letztendlich schlagen aber die Eigenheiten der Macher doch auch durch."

Gab es die Absicht, die Figuren im Film sehr lebensecht aussehen zu lassen und sich sehr wie "echte" Menschen zu verhalten?
"Ja. Und das ist beim Animationsfilm vielleicht der schwierigste Punkt. Es ist wesentlich einfacher, Karikaturen und übertriebene Gestalten zu animieren. Die realistische menschliche Gestalt ist das Schwierigste, das ein Trickzeichner zu bearbeiten hat. Es gibt aber nun einmal Geschichten, die diese Art Realismus erfordern. Das hier war so eine Geschichte. Auch in 'Cinderella' oder 'Schneewittchen' war der gleiche Realismus in der Umsetzung, weil der Kontrast der realen Figuren zur phantasievollen Story an sich wichtig ist, um die Märchenphantasie in einen realistischen Rahmen zu stellen."

Mir sind so einige Szenen aufgefallen, wie etwa, wenn Arielle an ihren Lippen nagt. So etwas ist schon im Realfilm problematisch, aber im Trickfilm ...
"Ja. Gott segne die Animatoren. Denn die setzen so etwas um. Sie sind die Schauspieler im Trickfilm. Sie übertragen die Idee aufs Papier."

Bei den alten Filmen wie "Cinderella" wurden Szenen real gefilmt als Anschauungsmaterial für die Zeichner. Gab es so etwas auch bei "Arielle"?
"Ja, wir hatten eine recht gute Schauspielerin, die zum Beispiel die Szene, in der Arielle die Blumenblätter auszupft, spielte. Sie wissen: 'Er liebt mich, er liebt mich nicht ...' Solche Dinge haben wir auf Video aufgenommen, aber nicht um danach Rotoskop-Zeichnungen anzufertigen, sondern eben als Anschauungsmaterial, damit die Zeichner etwa das Timing dieses Vorgangs und die Bewegungen studieren konnten. Wir haben sie auch ins Wasser geworfen und sie herumschwimmen lassen, weil Glen Keane, der viel von der Animation der Arielle-Figur gemacht hat, daran interessiert war, wie sich das Haar unter Wasser bewegt. Und das ist schon sehr anders als an Land. In der Beziehung war sie wirklich sehr hilfreich für uns. Wir hatten auch einen jungen Mann, der den Eric vorspielte. Aber das ist eine Tradition, die ist so alt wie der Trickfilm."

Kann man heute beim Trickfilm schneller arbeiten als früher?
"Nun, der Computer ist zum Modellieren bestimmter Bildelemente eine große Hilfe. Nicht bei Figuren, aber bei Gegenständen. So wurde etwa letztes Jahr bei 'Oliver & Co.' sehr stark nach dieser Methode gearbeitet. Wir hatten da das Modell eines Autos im Computer. Wir hätten daraus zehn oder hundert beliebige Autos konstruieren können, längere, kürzere, unterschiedlich eingefärbte. Das Bewegen mechanischer Gegenstände ist für Animatoren sehr schwierig, aber auch sehr langweilig. In 'Arielle' waren alle Schiffe Computermodelle. Der Computer realisiert den Bewegungsablauf, dann geht das ganze an eine Zeichenmaschine, die die Konturen auf Papier überträgt. Dann nimmt der Animator diese Zeichnung und animiert vor diesem Hintergrund die menschlichen Figuren. Und dann wird alles auf die traditionelle Weise mit Tusche und Farbe angelegt, so dass man – hoffentlich – gar nicht merkt, dass hier verschiedene Arbeitsmethoden kombiniert wurden."

Spart das sehr viel Zeit?
"Allerdings. Geld jedoch spart das kaum. Leider. Aber diese Methode stellt dem Animator ein neues Handwerkszeug zur Verfügung. Wir werden nach und nach ganze Dekorationen so produzieren können. Ein Zimmer zum Beispiel, in dem die Kamera nach Belieben herumfahren kann. So etwas ist in der traditionellen Animation so gut wie unmöglich. Oder zumindest so unpraktisch und teuer, dass man es gar nicht in Erwägung zieht."

Wird es in Zukunft mehr abendfüllende Trickfilme geben?
"Jedes Jahr wird ein neuer zu sehen sein. Wir haben vor vier Jahren begonnen, darauf hinzuarbeiten, jedes Jahr einen neuen abendfüllenden Trickfilm zu produzieren. Der erste in dieser Reihe war 'Oliver & Co.' – 'Arielle', der in USA letztes Jahr herauskam, war der zweite. 'The Rescures' läuft in USA und kommt 1991 nach Europa. 'Beauty and the Beast' ist gegenwärtig in Produktion mit Musik von Howard Ashman und Alan Menken, die auch die Musik zu 'Arielle' schrieben. Danach 'Aladin' – mit Aladin, dem Flaschengeist, fliegenden Teppichen und so weiter – ebenfalls mit Musik von Ashman und Menken für 1992 in USA und 1993 in Europa. Und wir arbeiten an einer Reihe von Geschichten, weil der nächste Film bald angefangen, das heißt, das Drehbuch geschrieben werden muss. Da jeder Film in der Produktion etwa vier Jahre dauert, überlappen sich die einzelnen Projekte in den Produktionsphasen und man braucht eben viel Vorlauf."

Das ist wie im Verlagswesen, wo man ja auch Vorlauf hat und stets an mehreren Heften gleichzeitig arbeitet. Inwieweit sind Sie mit dem Verlagsgeschäft Ihrer Firma befasst?
"Direkt überhaupt nicht, außer, dass ich weiß, es ist ein wichtiger Teil unseres Geschäfts. Ich bin seit sechs Jahren zu jeder Frankfurter Buchmesse gekommen und habe unsere neuesten Filmprojekte mitgebracht, um zwei, drei Jahre im Voraus den Verlegern unsere neuesten Produktionen vorzuführen und Buchprojekte planen zu können."

In Trickfilmen und Comics der Disney Company gibt es ja all diese Onkel und Neffen. Und nun sind Sie auch der Neffe von Walt Disney. Liegt darin nicht eine gewisse Ironie?
"Ja. Wir sind uns dessen bewusst." (Lacht)

Sind die Disney-Erfolge der jüngeren Zeit auch damit zu erklären, dass sich das Studio wieder mehr an ein älteres Publikum wendet und nicht mehr nur an Kinder?
"Sie meinen den Touchstone Label. Ich bin immer noch überzeugt davon, dass seine wichtigste Wirkung für das Studio war, dass man früher, wenn man eine Geschichte hatte, die man bei Disney wohl nicht machen würde, gar nicht erst zu Disney kam. Also kam auch niemand mit Geschichten und Ideen zu Disney. Touchstone hat für jedermann die Türen geöffnet. Und man kann heute eben jede Art Geschichte zu uns bringen und wir sehen sie uns an. Entweder es ist dann eine Touchstone-Idee oder eine Disney-Idee. Die schöpferischen Kräfte fühlen sich jetzt ermutigt, zu uns zu kommen. Und ich glaube, das war der wichtigste Punkt der ganzen Sache."

Apropos Touchstone. Wer sind denn nun die neben Touchstone immer angeführten "Mitproduzenten" Silver Screen Partners I, II, III und IV?
"Das sind Finanzierungsmodelle. Wir verkaufen Pfandbriefe mit garantierter Verzinsung und einer Beteiligung am Gewinn, wenn Gewinne anfallen. Und bisher haben die Investoren auch eine sehr gute Rendite bekommen. Das hat natürlich zur Folge, dass unsere Gewinnspanne etwas beschnitten wird, andererseits werden dadurch aber denkbare Verluste auch aufgefangen. Bisher lief aber alles sehr erfolgreich."

Interview: Wolfgang J. Fuchs

 

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