(Interview zum Film DER FLOH)
KJK: "Der Floh" ist Ihr erster Spielfilm. Welche Gründe gab es für Sie, als erstes einen Kinderfilm zu drehen?
Dimitris Spyrou: "Weil ich glaube, dass in Griechenland die Kinder nur durchs Fernsehen Filme kennen lernen, und sie bekommen dort kein gutes Programm zu sehen; und weil die Regierung überhaupt denkt, dass die Kinder Menschen zweiter Klasse sind und daher nicht auf ihre Programme achten. Auf der anderen Seite denke ich, dass auch das Schulsystem in Griechenland überholt ist. Sie haben immer noch altmodische Methoden. Es sind nur ganz wenige Schritte gemacht worden, zu wenig für das, was die Kinder eigentlich heute in der Schule brauchen. Aber viele ältere Leute glauben, das sei richtig. Diese Leute können nicht glauben, dass die Kinder auch ihre eigenen Ideen haben."
Ihr Film soll also auch einen Anstoß zur Verbesserung geben?
"Ich habe den Film gemacht, damit die Kinder die Wahrheit über das Schulsystem in Griechenland sehen und auch, damit man dieses griechische System der Schulmethoden aufgibt. Und als ich vor fünf Jahren einen Jungen kennen lernte, den Christos Zigouris, der wirkliche Junge, der die Zeitung geschrieben hat, und seine Zeitung las, hatte ich schon mein Filmthema. Christos Zigouris war 14 Jahre alt. Heute ist er 19 und studiert Journalistik in Athen. Das Dorf, wo er gelebt hat, heißt Andritzena, das ist in der Nähe von Olympia. Wir drehten damals einen Dokumentarfilm in der Nähe dieses Dorfes, und am Abend sind wir in eine Taverne nach Andritzena gegangen. Dort lernten wir diesen Jungen kennen, er war der Sohn des Tavernenbesitzers. Er hat mir erzählt, dass er die Zeitung schreibt, ich habe abends die Blätter angeschaut und an diesem Abend habe ich fest beschlossen, den Film zu machen."
Sie selbst sind in der Nähe von Olympia geboren, inwieweit gibt es autobiografische Bezüge in Ihrem Film?
"Ja, ich bin in dem Dorf geboren, wo wir den Film gedreht haben, und die Hälfte von dem Film sind meine eigenen Kindheitserfahrungen."
Wie fanden Sie den Darsteller des Ilias, den Jungen mit dem außergewöhnlichen Ausdruck?
"Für ein Jahr war das meine Beschäftigung! Ich habe überall geschaut, ob ich einen Jungen für die Rolle finde, in der Schule meines Sohnes, auf der Strasse, und sprach mit den Lehrern in der ganzen Umgebung. Ich wollte nicht, dass der Junge, der die Hauptrolle spielt, schön aussieht – alle Kinder sind schön – sondern, dass er einen besonderen Ausdruck hat. Eine Bekannte aus einem kleinen Ort in der Nähe von Pyrgos sagte mir dann, guck' dir mal diesen Jungen an. Und als ich ihn sah, bemerkte ich, dass er einen tiefen Blick hat und einen Ausdruck in seiner Stimme, was Jungen seines Alters sonst nicht haben. Nachdem ich entschieden hatte, dass er äußerlich für diese Rolle passt, versuchte ich herauszufinden, ob er auch innerlich, von seinem psychischen Kosmos, dazu passt. Ich erfuhr, dass dieser kleine Junge schon sehr, sehr schwierige Situationen in seinem Leben erfahren hatte. Weil er selber vieles erlebt hat, haben wir eine gemeinsame Sprache gefunden und versucht, dies in den Film einzubringen. Zum Beispiel hat der Ilias im Film immer Schwierigkeiten, die Zeitung herauszubringen; der Pantelis, der kleine Darsteller, hat Schwierigkeiten in seinem Leben, und das habe ich versucht, zusammenzubringen. Und Pantelis hat diese Rolle geliebt, deswegen hat das auch geklappt."
Ist "Der Floh" in Griechenland im Kino gelaufen?
"Der Film ist vor kurzem in Chalkisa im Kino gezeigt worden. Erst haben sie vier Vorstellungen geplant, dann sind aber 5000 Kinder zusammengekommen, um den Film zu sehen. Die Kinder und Lehrer von den Dörfern haben einen Bus gemietet, um extra ins Kino zu gehen und den Film anzusehen, weil die anderen so begeistert waren. Es gab eine Mundpropaganda; das heißt, wenn 5000 Leute in einer kleinen Stadt in Griechenland einen Film im Kino sehen, ist das ein großer Erfolg."
Wird der Film in Griechenland in den Verleih kommen?
"Es gibt schon Angebote von Verleihern, diesen Film ins Kino zu schicken, aber ich bin nicht einverstanden, wie sie den Film präsentieren wollen. Sie machen keine gute Reklame, und sie wollen auch kein Geld ausgeben für die Werbung, wie sie es z. B. mit amerikanischen Filmen machen würden. (Mehr als 70 Prozent der Filme sind amerikanische Produktionen.) Ich habe mit den Verleihern verhandelt und ihnen angeboten, dass ich einen großen Teil des Geldes für die Filmreklame geben würde, wenn sie sich ebenso beteiligen. Aber die sind damit nicht einverstanden, deshalb arbeite ich im Moment nicht mit denen zusammen. Weil ich jetzt keine Kontakte zu den Verleihern habe, versuche ich selber in Kontakt zu kommen mit Schulen, mit Elternorganisationen, mit Kulturzentren, und versuche, durch niedrige Eintrittspreise vielen Kindern die Möglichkeit zu schaffen, den Film zu sehen. Das organisiere ich jetzt selbst."
Erfahren Sie von Reaktionen auf Ihren Film?
"Als ich den Film vor Schulkindern zeigte, gaben viele Lehrer nachher in der Klasse das Thema 'Wie habt Ihr den 'Floh' gesehen?' Ich selbst habe diese Arbeiten noch nicht gelesen, aber eine Lehrerin rief mich an und sagte, dass interessante Ergebnisse herausgekommen seien. Zum Beispiel hat ein Junge geschrieben: Nach diesem Film habe ich fest beschlossen, das zu machen, woran ich glaube und nicht das, was meine Eltern wollen. Ein anderer Junge hat gesagt: Vielleicht sind in unserem Leben viele Dinge sehr schwierig zu machen, aber wenn wir kämpfen, dann gelingen sie uns, dann schaffen wir das."
Mit welchen Mitteln ist "Der Floh" produziert worden?
"Dieser Film ist meine Produktion, er ist mit ganz wenig Geld gemacht worden, das heißt, ohne dass man meine Arbeit rechnet und das Drehbuch, dann hat die Produktion umgerechnet 250.000 DM gekostet. Natürlich haben viele Freunde geholfen. Viele Leute im Team arbeiteten für wenig Geld, und bestimmte Freunde haben gar keines genommen. Bevor wir anfingen zu drehen, gab es öfter Diskussionen über diesen Film, weil wir eben kein Geld hatten, doch haben sie alle mitgemacht. Sie haben den Film geliebt und an ihn geglaubt, deswegen haben sie sehr intensiv gearbeitet, ohne sich Gedanken um die Bezahlung zu machen. Ich arbeite seit 15 Jahren beim Film als Schauspieler und als Regieassistent, schreibe Drehbücher für andere Regisseure. Aber ich sah nie eine so gute Zusammenarbeit wie bei unserem Film. Und diese Liebe, die das ganze Team gegeben hat, um den Film zu machen, die – glaube ich – sieht man auch dem Film an."
Gibt es in Griechenland keine Filmförderung?
"Leider gibt es keine Filmförderung für Kinderfilm. Jetzt habe ich einen Artikel für die Zeitschrift des Filmemacherverbands geschrieben. Ich kritisiere das Kulturministerium und das Griechische Filmzentrum. So wie das aussieht, haben die wahrscheinlich nie daran gedacht, Kinderfilme zu unterstützen. Nach den Schwierigkeiten mit dem 'Floh' hat sich eine kleine Gruppe entschieden, selber eine Organisation zu gründen. Wir versuchen, griechische Filme ins Kino für Kinder zu bringen, und auch gute Kinderfilme aus dem Ausland."
Gilt dieses Projekt nur für die Auswertung oder auch für die Produktion?
"Beides. Dass wir vielleicht auch Kinderfilme produzieren, aber unser wichtiger Punkt ist, die Filme zu zeigen. Vielleicht schaffen wir selber ein Kino für Kinder. Wir wollen in diesem Punkt auch mit den Schulen in ganz Griechenland und mit mehreren Kinos zusammenarbeiten.
Das Wichtigste von allem, was wir bisher geschafft haben, ist der Kontakt zum Bürgermeister von Olympia und noch ein paar Leuten. Unsere Idee ist ein Kinderfilmfestival in Olympia: Wir wollen alle vier Jahre, immer wenn die Olympischen Spiele stattfinden, dort unser Filmfestival machen, zu Ehren der Kinder, das Motto soll sein: 'Für den Frieden und die Kinder'. Ich glaube, das wird eine interessante Geschichte werden. Früher haben die Leute, die an den Olympischen Spielen teilgenommen haben, nur einen Kranz aus Lorbeerblättern bekommen und nichts anderes. Das war eine einfache Geschichte, es war aber die Liebe zu den Olympischen Spielen. Und so wollen wir auch das Kinderfilmfestival machen, nicht um Wettbewerb, um Preise, sondern nur wegen der Idee. Kunst soll die Leute zusammenbringen und nicht trennen, und die Idee der Olympischen Spiele ist Frieden und nicht Kampf. So wie der große griechische, im vergangenen Jahr verstorbene Poet Yannis Ritsous sagt: Der Traum der Kinder ist der Frieden."
Mit Dimitris Spyrou sprach Christel Strobel
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