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Ausgabe 49-1/1992

ICH BIN MARIA

JAG AR MARIA

ICH BIN MARIA

Produktion: Svenska Filminstitutet / DrakfiIm AB / Treklövern HB / Wedel-Film, Schweden 1979 – Regie: Karsten Wedel – Drehbuch: Karsten Wedel, Göran Setterberg, nach den Büchern von Hans-Eric Hellberg – Kamera: Rune Ericsson – Schnitt: Karsten Wedel – Musik: Thomas Holéwa, Martin Kjellberg – Darsteller: Lise-Lotte Hjelm (Maria), Peter Lindgren (Jon), Claire Wikholm (Mutter), Helena Brodin (Maj-Britt) u. a. – Laufzeit: 100 Min. – Farbe – Verleih: Matthias (16mm) – Altersempfehlung: ab 8 J.

Ein alter Mann lebt in einem Dorf, allein in einem abseits gelegenen Haus, ausgestoßen von der Dorfgemeinschaft. Seine Verschlossenheit wird ihm als Unfreundlichkeit ausgelegt und überhaupt werden auf ihn gern allerlei Untugenden projiziert. Daher wird er von jung und alt oft gehänselt. Die Einsamkeit dieses Mannes wird durchbrochen, als er ein junges Mädchen kennen lernt, das ihm vorurteilsfrei begegnet, ohne Angst, aber neugierig und fasziniert von dem Menschen, den es hinter der verschrobenen Fassade entdeckt.

Freundschaft zwischen einem (meist) alten Menschen in einer Außenseiterrolle und einem Kind ist ein Motiv, das uns aus der Literatur- und Filmgeschichte vertraut ist. In dem Film "Ich bin Maria" von Karsten Wedel wird dieses Motiv so glaubhaft durchgespielt, dass man meinen könnte, etwas Ähnliches schon miterlebt zu haben. In diesem Film sind es sogar zwei "Ausgestoßene", die sich begegnen: der alte, verwahrlost wirkende Maler Jon und die zwölfjährige Maria, deren Mutter Ordnung in ihr Privatleben zu bringen versucht und daher die Tochter aus Stockholm gegen deren Wunsch zu Verwandten auf ein Dorf schickt.

Maria lernt Jon durch einen Unfall kennen. Als Jon von einem Auto angefahren wird und ins Krankenhaus kommt, bringt sie ihm sein Fahrrad nach Hause. Dort entdeckt sie die Welt, in der Jon lebt – eine Welt aus phantasievollen, an naive Malerei erinnernden, bunten Bildern, von denen sich Maria stark angezogen fühlt. Damit beginnt die Freundschaft zu Jon, aber auch der Konflikt mit den Pflegeeltern, die ihr den Umgang mit dem Maler verbieten. Eines Tages schenkt Jon Maria ein Bild. Ein Medienspektakel setzt ein. Die Zeitungen überschlagen sich vor Begeisterung. Die Dorfbewohner entdecken, dass Bilder, die sie bisher achtlos behandelt hatten, von Jon, dem berühmten Maler sind.

Das wohlwollende Urteil eines Museumsdirektors versieht den allgemeinen Jubel mit Autorität. Da darf das Fernsehen natürlich nicht fehlen. Man spricht plötzlich über Jon, aber niemand gibt sich wirklich Mühe, diesen Menschen kennen zu lernen. Die Drehvorbereitung des Fernsehteams gleicht einer Hausdurchsuchung. Die ganze Wohnung wird auf den Kopf gestellt ohne Rücksicht auf die Privatsphäre. Jon sieht scheinbar regungslos zu, dann platzt er vor Wut. Er wirft sie alle hinaus. Inmitten dieser Turbulenzen erscheint vor dem Haus ein Arzt, vermutlich ein Psychiater, der Jon in ein Heim bringen will. Maria wirkt beruhigend auf Jon ein und begleitet ihn zum Wagen des Arztes. Sie selbst kehrt nach Stockholm zu ihrer Mutter zurück, die vom eigenständigen Handeln ihrer Tochter zunächst überrascht ist, es dann aber akzeptiert.

"Ich bin Maria" ist ein Film über Freundschaft, Gefühle, und über Verletzungen. Zunächst ist es Maria, die enttäuscht wird: von der Mutter, die die Tochter an die zweite Stelle setzt, von der Pflegemutter, die an ihren starren Normen festhält, von deren Mann, der zwar etwas freier ist, aber sich gegen seine Frau nicht durchsetzt. Jons Leben ist gekennzeichnet durch eine Reihe von Verletzungen: Sein Anderssein wird im Dorf nicht geduldet, seine Würde von den Journalisten nicht geachtet. Am traurigsten aber für ihn ist, dass Marias Gehorsam gegenüber den Pflegeeltern die Freundschaft zu ihm überschattet. Nachdem er an Marias Geburtstag ein kleines Fest für sie vorbereitet hat, wartet er bei Kerzenlicht vergeblich auf sie, weil Maria es nicht schafft, sich den Erwartungen der Pflegeltern zu widersetzen und Jon zu besuchen. Und am Ende werden sogar die Zuschauer enttäuscht. Jons Einweisung in ein Heim ist unverständlich. Die Invasion der Journalisten bedeutet eine massive Grenzüberschreitung in seinen Privatbereich. Jon ist der einzige Mensch in dem Film, der sich auch gegenüber Autoritäten konsequent zur Wehr setzt. Und muss nun therapiert werden?

Bereits der Titel des Films macht deutlich, dass der Akzent nicht auf der Figur des Malers, sondern auf der des jungen Mädchens liegt. Die Beziehung zwischen Jon und Maria treibt die Entwicklung Marias zur Selbstständigkeit voran. Am Ende deutet sich an, dass Maria Konflikten nicht mehr aus dem Weg gehen wird. Die Erlebnisse haben sie reifen lassen.

"Ich bin Maria" ist ein Film für alle Altersstufen. Lise-Lotte Hjelm als Maria und Peter Lindgren als Jon spielen ihre Rollen behutsam und lebendig und bieten Kindern und Erwachsenen gleichermaßen Identifikationsmöglichkeiten.

Justine Schuchardt

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 49-1/1992 - Interview - Eine neue Erfahrung

 

Bundesverband Jugend und Film e.V.ICH BIN MARIA im Katalog der BJF-Clubfilmothek unseres Online-Partners Bundesverband Jugend und Film e.V.

 

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