Produktion: Olga Film, Bundesrepublik Deutschland 1991 – Regie: Sönke Wortmann – Buch: Jürgen Egger, Sönke Wortmann – Kamera: Gernot Roll – Schnitt: Ueli Christen – Musik: Torsten Breuer – Darsteller: Jürgen Vogel (Ingo), Kai Wiesinger (Johannes), Gedeon Burkhard (Ali), Meret Becker (Herta), Armin Rhode (Bierchen) – Länge: 87 Min. – Farbe – Verleih: Scotia (35mm) – FSK: ab 6, ffr. – Altersempfehlung: ab 12 J.
Sönke Wortmann scheint zurzeit das einzige Regietalent zu sein, das außer der Perfektion des Handwerks auch über die Gabe verfügt, deutsche Komödien mit Pfiff, Witz und Sensibilität zu inszenieren. Schon sein Erstlingsfilm "Allein unter Frauen" war mit über eine Million Besucher ein Erfolg an der Kinokasse, seinem zweiten Werk "Kleine Haie" ist ähnliche Resonanz zu wünschen. Diesmal nimmt er sich einen Traum vor, den viele träumen, aber nur wenige realisieren können: die Prüfung an einer renommierten Schauspielschule zu bestehen. "Kleine Haie" nennt er die jungen Männer und Frauen, die sich alljährlich aufmachen, die Bretter, die die Welt bedeuten, zu erobern. Er erzählt von drei Typen auf Achse: Johannes, der durch Nervosität beim Vorsprechen immer wieder versagt, Ingo, der nur durch Zufall dazu stößt, und Ali, ein Früh-Yuppie, dem der Erfolg in die Wiege gelegt zu sein scheint.
Die drei machen sich vom Ruhrgebiet auf den Weg nach München mit vielen Illusionen im Kopf, aber wenig Geld in der Tasche. Also wird getrampt. Erst gibt es Schwierigkeiten mit ein paar Rüpeln, aber dann nimmt "Bierchen", ein sogenannter Kampftrinker, das Trio mit und setzt sie trotz exzessiven Alkoholkonsums während der Fahrt sicher in der bayerischen Metropole ab. Um ein Nachtlager zu bekommen, lässt Ali seinen Charme spielen, er darf zur Dame des Hauses ins Bett, während Ingo und Johannes mit dem Küchenboden vorlieb nehmen müssen. Am nächsten Tag treffen sie eine junge Instrumentalistin, Typ Rotzgöre aus Berlin, die mit einer singenden Säge ihre Brötchen verdient und in die sich Johannes Hals über Kopf verliebt. In deren Auto dürfen er und Ingo nächtens das Haupt niederlegen, während Ali sich bei einer Discomieze erholt. Als Blutspender und Modell schlagen sie sich durch, mal schlafen sie in der Nobelherberge "Bayerischer Hof" (mit "dubios" erworbenem Geld von Ali), mal in einer Wohnung der Mitwohnzentrale. Es gelingt ihnen sogar, den nicht angemeldeten Ingo mit Überredungskunst in die Prüfung zu lotsen. Bis unter die letzten dreißig schafft es das Trio, da erhält Ingo die Nachricht, dass er in der Folkwang-Schule einen Studienplatz erhält, Ali besteht die Prüfung und Johannes ist mal wieder durchgefallen. Ihre Wege trennen sich, am letzten Abend erfahren sie, dass Ali nicht ein armer Student, sondern ein reicher Adliger ist. Jeder wird sein Schicksal in die Hand nehmen ... Ratschlag: Auf keinen Fall das Kino vor dem Abspann verlassen, denn was die drei aus ihrem Leben machen, wird da erst verraten.
Die Odyssee zwischen Essen und München beginnt schon mit einem Clou. Denn Ingo, ein gefeuerter Spüler, wollte eigentlich nur einen Hocker in der Folkwang-Schule abliefern. Sein Wutausbruch wegen der langen Warterei wird von den Prüfern irrtümlich als das Vorsprechen gewertet, und sie begeistern sich an seiner "Natürlichkeit". Dass er dann sogar angenommen wird, ist ein netter Seitenhieb auf die Strukturen des Kulturgeschäfts, der dann noch ausgebaut wird, wenn die Auswahlkommission in München und ihre Rituale mit der Kamera ganz nah beobachtet und persifliert werden. Mit nur wenigen Details gelingt es Wortmann, die drei Charaktere treffend zu zeichnen, ohne sie bloßzustellen oder der Lächerlichkeit preiszugeben. Die Dialoge glänzen immer wieder durch trockenen Humor (hervorragend der etwas mundfaule "Bierchen" mit seiner Philosophie), und vor allem Jürgen Vogel als "Normalo" mit naiv gesundem Menschenverstand überzeugt in seiner Darstellung.
Die Kamera-Arbeit von Gernot Roll sorgt dafür, dass "Kleine Haie" nicht einer der üblichen Fernsehfilme geworden ist, sondern ein "richtiger" Kinofilm. Sönke Wortmann, der eigentlich Produktionsleiter werden wollte und mit beiden Beinen auf der Erde steht, entwickelt in subtilen Zwischentönen kleine Milieuskizzen, die Freundschaft zwischen potenziellen Konkurrenten, die eine wichtige Entwicklungsphase gemeinsam meistern. Eine liebenswerte, warmherzige Mischung aus Komik und Ernst, Witz und Wahrheit. Eine in sich stimmige Geschichte, die das Lebensgefühl einer Generation heiter und melancholisch "rüberbringt", den Nerv der Zeit trifft.
Margret Köhler
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