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Ausgabe 94-2/2003

MISS ENTEBBE

Produktion: Aspamia Films Ltd.; Israel 2002 – Regie: Omri Levy – Buch: Dana Shatz, Omri Levy – Kamera: Gabriel Wagon – Schnitt: Amit Azaz, Ayelet Ofarim – Musik: Alon Oleartchik – Darsteller: Merav Abrahami (Noa), Meyrav Gruber (Nurit), Igal Naor (Avram), Aliyah Yakin (Dany), Adi Otman (Naim) u. a. – Länge: 75 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Cinephil Ltd., Tel Aviv, Fax: 3 5601436, e-mail: info@cinephil.co.il – Altersempfehlung: ab 12 J.

Das Mädchen Noa, zwölf Jahre alt, lässt sich von der Mutter nichts mehr sagen. Immer wieder kommt es zum Streit wegen Kleinigkeiten, so zum Beispiel als sie Noas ausgefranstes Lieblings-T-Shirt aussortiert. Die ganze Sympathie des Mädchens liegt beim Vater, der seiner Tochter nichts abschlagen kann. Noa liebt das Risiko, auch wenn sie sich Schrammen dabei holt, ein starkes Mädchen, das sich des Respekts der Jungen im Haus sicher sein kann.

Ein Ereignis, das in der ganzen Welt Aufsehen erregt, verändert den Alltag der Kinder auf traumatische Weise. Vor dem Hintergrund der Entführung einer Air-France Maschine auf dem Flug von Tel Aviv nach Paris am 27. Juni 1976 erzählt der 33-jährige Regisseur Omri Levy seine Geschichte. Unter den nach Entebbe entführten Passagieren befindet sich auch die Mutter von Noas Freund Dany. Entsetzt verfolgen Kinder und Erwachsene die aktuellen Radioberichte. Noa und ihr Freund Yoav lassen Dany nicht allein. Als sie zufällig im Hausflur Naim, den Sohn des palästinensischen Hausmeisters, mit Noas verschwundenem T-Shirt sehen, kommt es zum Zusammenstoß, der unversehens eskaliert. Naim bleibt mit einer schweren Kopfverletzung auf der Treppe liegen. Die Kinder handeln spontan, tragen den verletzten Jungen in Danys Wohnung und entwickeln einen gefährlichen Plan. Der notdürftig verbundene Junge wird geknebelt und gefesselt in den Kleiderschrank gesperrt – rund um die Uhr bewacht mit einer Waffe in der Hand, die Noa ihrem Vater geklaut hat. Sie sind der naiven Ansicht, mit ihrer Geiselnahme die Flugzeugentführung beenden zu können.

Ihre Versuche, die Öffentlichkeit zu informieren, scheitern auf mehreren Ebenen. Unterdessen suchen der palästinensische Vater und die jüdischen Hausbewohner nach dem verschwundenen Kind. Für die jugendlichen Entführer wird die Lage so brenzlig, dass sie ihre Geisel in ein anderes Versteck bringen. Noa gerät zunehmend in den Widerstreit ihrer Gefühle, einmal weil sie ihren geliebten Vater mit einer anderen Frau entdeckt, zum anderen weil ihr der palästinensische Junge, eigentlich ein Feind, immer sympathischer wird. Als Noas Mutter in der verlassenen Wohnung Beweisfotos von dem malträtierten Jungen entdeckt, begreift sie blitzschnell das Geschehen und tut das Richtige. Nach vier Tagen endet die Geiselnahme, auf der nahen wie auf der fernen Ebene. Dany hat seine Mutter wieder, Naim seinen Vater – und Noa sieht ihre Mutter mit anderen Augen. Jetzt stört es sie nicht mehr, von ihr liebevoll "Nush-Nush" genannt zu werden.

Omri Levy vermittelt in seinem realistischen Film das Alltagsleben in einem ganz normalen Wohnviertel einer israelischen Großstadt und geht zugleich der Frage nach, wie Kinder auf politische Ereignisse reagieren. Noa und ihre Freunde verstören die Erwachsenen in ihrer Kompromisslosigkeit. Irgendetwas ist schief gelaufen in ihrem Leben, was sich in der Eskalation der von ihnen angezettelten Ereignisse zeigt. Sie scheinen das Maß für Gut und Böse, für Richtig und Falsch verloren zu haben und kopieren doch nur die Welt der Erwachsenen. Doch Noa und ihre Freunde sind nicht verloren. Der Regisseur gibt den Kindern die Chance, zu Nächstenliebe und Menschlichkeit zurückzufinden. Merav Abrahami als Noa überzeugt als ein Mädchen auf der Suche nach sich selbst und seinem Platz in einer komplizierten Welt.

"Miss Entebbe" beeindruckte auch die Kinderjury des Kinderfilmfestes bei den 53. Internationalen Filmfestspielen in Berlin, die dem Film eine lobende Erwähnung aussprach mit folgenden Worten: "Fast jeden Tag hören wir in den Nachrichten: Neuer Anschlag in Israel, es gab mehrere Tote ... Solche Meldungen sind schon normal für uns geworden. Doch dieser Film hat uns das Thema auf eine besondere Weise näher gebracht. Wir waren berührt. Der Film hat uns zum Nachdenken angeregt. Durch die herausragende Leistung der Darsteller hat man sich in die Lage der Kinder, die sich in solchen Situationen befinden, versetzen können."

Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 94-2/2003 - Interview - "Wir sitzen im selben Boot – und das Boot sinkt"

 

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