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Ausgabe 126-2/2011

DER ALBANER

Produktion: Neue Schönhauser Filmproduktion GmbH (Berlin) / On Film Production (Tirana) / SWR / Arte; Deutschland / Albanien 2010 – Regie: Johannes Naber – Buch: Johannes Naber, Christoph Silber, Alexander Steimle, Andeta Spahivogli – Kamera: Sten Mende – Schnitt: Ben von Grafenstein – Musik: Oli Biehler – Darsteller: Nik Xhelilaj (Arben Shehu), Xhejlane Terbunia (Etleva), Ivan Shvedoff (Slatko), Amos Zaharia (Ilir Shehu), Stipe Erceg (Damir) u. a. – Länge: 104 Min. – Farbe – FSK: ab 12 – Verleih: Kinowelt – Altersempfehlung: ab 14 J.

Erst in der Schule, deren Besuch für die Schüler der umliegenden Bergdörfer zur organisatorischen und finanziellen Herausforderung wird, erfährt Arbens jüngerer Bruder Ilir, dass Albanien das ärmste Land in Europa sei. Daran hat sich auch knapp 20 Jahre nach dem stalinistischen Enver-Hodscha-Regime beziehungsweise dessen Erben noch nicht allzu viel geändert. Zum Geldverdienen reist der 19-jährige Arben daher mit seinem Vater regelmäßig nach Griechenland. Reich werden sie nach Abzug der Visagebühren damit nicht, es reicht gerade zum Überleben der Familie. Arben ist in Etleva verliebt, der Tochter eines Bergbauern, und macht ihr ein Kind. In der einem strengen Sittenkodex folgenden patriarchalisch geprägten Bergregion gilt dies als Schande. Sie kann nur getilgt werden, wenn Arben sofort heiratet. Dafür verlangt Etlevas Vater 10.000 Euro, eine für Arben unvorstellbare Summe. Die einzige Chance, die ihm bleibt, ist illegal nach Deutschland zu gehen, um dort das Geld zu verdienen, bevor das Baby geboren wird. Andernfalls droht Etleva die Verstoßung.

Deutschland erweist sich als ganz anders, als Arben es sich vorgestellt hatte. Seine Arbeitschancen als Illegaler sind denkbar gering. Ein Bekannter, an den er sich hilfesuchend wendet, möchte gar eine schwule Ehe mit einem Deutschen eingehen, nur um im Land bleiben zu können. Arben findet in einer leer stehenden kalten Fabrikhalle Unterschlupf und muss tagsüber für einen Hungerlohn schwer schuften. Auf diese Weise wird er das Geld niemals zusammenbekommen. Daher nimmt er gemeinsam mit einem Kollegen, den er vor dem sicheren Tod gerettet hatte, das Angebot an, als Schlepper Illegale über die polnische Grenze zu bringen. Er gerät dabei zwischen die Fronten eines Bandenkrieges, verliert ein Auge und steht wieder mit leeren Händen da. Sein Bruder hatte obendrein das bisher geschickte Geld nicht der Familie der Braut gegeben, sondern es verwendet, um selbst nach Deutschland zu gelangen. Als Arben schließlich mit Diebesbeute nach Albanien zurückkehrt, ist das Baby bereits geboren und Etleva verstoßen worden. Sie kann nicht verstehen, warum Arben sein Versprechen nicht gehalten hat.

Für seinen mit dem SWR und albanischen Kooperationspartnern produzierten Debütfilm hat sich der junge deutsche Filmemacher Johannes Naber ein ungewöhnliches Thema ausgesucht: Das Dilemma vieler junger Albaner zwischen archaischer Tradition und hereinbrechender Moderne, das ihnen weder in der Heimat noch in der Fremde beruflichen Erfolg verspricht und nicht einmal privates Glück zulässt. Arben, der schon in einem freien Albanien geboren ist, entwickelt sich zum tragischen Helden dieser Geschichte. Er will immer nur das Beste für sich und die anderen und wird doch zum Kriminellen und zum Verräter an der Liebe. Handwerklich sauber inszeniert, gelingt es dem Film, von dessen Titel bereits eine Verallgemeinerung sich ableiten lässt, emotional bewegend etwas von der Tragik vieler dieser Menschen zu vermitteln, über deren Land hierzulande nur wenig bekannt ist. Dabei werden auch typische Klischees, etwa die von kriminellen Albanern, aufgebrochen und relativiert. Albanien ist im Winter vom Klima her mindestens so kalt wie Deutschland und menschliche Wärme beziehungsweise Kälte findet sich ebenfalls in beiden Ländern. Beim 32. Internationalen Filmfestival in Moskau 2010 erhielt der Film gleich zwei Preise, den Spezialpreis der Jury und den für Nik Xhelilaj als bester Darsteller. Das Max-Ophüls-Festival 2011 in Saarbrücken zeichnete ihn mit dem Hauptpreis aus.

Holger Twele

 

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Ausgabe 126-2/2011

 

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