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Ausgabe 129-1/2012

LEA & DARIJA

Produktion: Ars Septima; Kroatien 2011 – Regie: Branko Ivanda – Buch: Branko Ivanda, Drago Kekanovic – Kamera: Mirko Pivcevic – Schnitt: Marin Juranic – Musik: Alfi Kabiljo – Darsteller: Klara Naka (Lea), Tamy Zajec (Darija), Zrinka Cvitešic, Linda Begonja, Sebastian Cavazza, Vedran Živolic u. a. – Länge: 100 Min. – Farbe – Vertrieb: Ars Septima, Svacicev trg 10, 10 000 Zagreb, Tel. und Fax: +385 1 48 56 510, e-mail: lidija@ars7.hr – Altersempfehlung: ab 12 J.

Zwei begnadete junge Mädchen bilden den Mittelpunkt einer ebenso berührenden wie wahren Geschichte und werden von zwei nicht minder talentierten 13-Jährigen verkörpert. Die einen, Lea Deutsch und Darija Gasteiger, lebten vor dem Hintergrund des Einmarsches der Wehrmacht ins damalige Königreich Jugoslawien und der Etablierung des von Deutschland abhängigen Vasallenstaates "Unabhängiges Kroatien" in Zagreb um das Jahr 1941; die anderen beiden, Klara Naka und Tamy Zajec, lernen und arbeiten heute in einem wirklich unabhängigen Kroatien, durchleben bereits erfolgreiche internationale Karrieren. Die heutige Existenz von Klara und Tamy exakt in diesem Alter war gewiss ein außerordentlicher Glücksumstand für Regisseur Branko Ivanda, denn nur mit diesen zwei und zu diesem Zeitpunkt konnte er das Schicksal von Lea und Darija auf die Leinwand bringen.

Dieses wird präzise und linear geschildert – beginnend beim einsetzenden Erfolg der dunkelhaarigen Lea Deutsch, die im behüteten Elternhaus eines erfolgreichen jüdischen Rechtsanwaltes aufwächst. Bereits als Kinderstar in ihrer Heimatstadt bekannt, erobert sie sich nun als junge Aktrice, Sängerin und anmutige Stepptänzerin die Herzen nicht nur des Theaterpublikums von Zagreb, sondern wird auf dem Balkan sowie in Teilen Westeuropas als "kroatische Shirley Temple" gefeiert. Alsbald tritt die gleichaltrige Darija Gasteiger in ihr Leben – mit dem gleichen Bonus an Talent ausgestattet, dafür auffallend blond und von "volksdeutscher" Herkunft. Beide freunden sich an und arbeiten zusammen mit zunächst wachsendem Erfolg – in normalen Zeiten durch ihre Gemeinsamkeiten und gleichzeitigen Gegensätze ein ideales Bühnenpaar. Nicht aber so in der Ära der auch in Kroatien einsetzenden Rassenverfolgungen. Lea und ihre Familie müssen nun das diskriminierende "Ž" für "Židov" (=Jude) auf der Brust tragen, wenig später wird sie der Schule verwiesen und darf nicht mehr öffentlich auftreten. Die Freundschaft beider erhält Risse, das schon immer schwelende Konkurrenzgebaren vor allem Darijas wird durch deren Fahrt nach Berlin "ins Reich" voll ausgelebt.

Alle Versuche von Angehörigen und Freunden, das Leben von Lea und deren Familie zu retten, schlagen fehl: Weder gelingt die Flucht in die Schweiz oder nach Palästina, noch bewirken die Konversion des Mädchens und ihres jüngeren Bruders Saša zum katholischen Glauben, die Lea angebotene Scheinhochzeit durch einen im Hause wohnenden jungen Ustascha-Anhänger oder gar die versuchte Kontaktnahme zur Partisanenbewegung Rettung. Während der Vater in einer christlichen Augenklinik untertaucht und dort den Völkermord überlebt, wird der andere Teil der Familie in Richtung Auschwitz deportiert. Am Schluss erfährt der Zuschauer durch Textinserts, dass Lea bereits auf dem Transport den Strapazen erlag, Mutter und Bruder jedoch im Lager umgebracht wurden.

Überlebt hatte ebenfalls Leas Freundin Darija. Auch ihre Familie musste fliehen – nun aber vor den heranrückenden, kommunistisch orientierten Partisanen. Sie findet im österreichischen Innsbruck ein neues Zuhause und wird als alte Frau gewissermaßen mit dem „Geist“ Leas konfrontiert. Der Regisseur wendet diesen Kunstgriff an, um der sich nicht mehr erinnernden Darija und damit dem Zuschauer Leas Leben und Tod zu erzählen, ohne zu beschönigen, aber auch ohne zu richten und zu verurteilen. Leas Sterben im Eisenbahn-Waggon gerinnt dabei zu einem – wie es der Regisseur nannte – "Happy Dans Macabre", einer ausgelassenen Musical-Szene, in der die Wände des Wagens auseinanderfallen und die todgeweihten Gestalten – allen voran die leidenschaftlich steppende Lea – einen Hymnus auf das Leben darbringen, erinnernd an die nicht minder paradoxen Szenen aus Roberto Benignis "La vita è bella" (Das Leben ist schön) und Radu Mihaileanus "Train de vie" (Zug des Lebens).

Volker Petzold

 

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