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Ausgabe 66-2/1996

"Ich will zuerst die Herzen der Zuschauer, nicht ihren Kopf"

Gespräch mit Lars Hesselholdt, Regisseur des Films "Belma"

(Interview zum Film BELMA)

Der Jugendfilm "Belma" ist eine Liebesgeschichte, die laut Regisseur Lars Hesselholdt "den Ernst des Lebens in sich trägt, es ist ja eine Geschichte aus der Wirklichkeit". Der ambitionierte Film lief – nach seiner deutschen Premiere bei den Nordischen Filmtagen in Lübeck 1995 – beim diesjährigen Internationalen Kinderfilmfest in Berlin.

KJK: Ihr Film "Belma" ist mehr ein Jugendfilm, gezeigt wird er aber beim Kinderfilmfest: Sehen Sie das problematisch?
Lars Hesselholdt: "Es war nicht meine Wahl, den Film im Kinderfilmfest zu zeigen, er ist für diese Kategorie ausgewählt worden. Ich möchte auch nicht unbedingt Filme nur für eine bestimmte Altersgruppe drehen. Ob es wirklich ein Problem ist, weiß ich nicht, denn wir haben den Film Zehn- bis Zwölfjährigen gezeigt und sie haben ihn sehr gemocht. Prinzipiell halte ich nichts von solchen Kategorisierungen."

Ihr Film mischt eine Love-Story mit den Problemen von Krieg und Hass: Was hat Sie an der Geschichte besonders gereizt?
"Das ist eine schwierige Frage. Schon im Buch war die Liebesgeschichte mit der Problematik des Krieges vermischt. Mir ging es aktuell um die Frage, was veranlasst Menschen dazu, in den Krieg zu ziehen, und wie kommt der Krieg plötzlich in ihren Alltag, so dass er kein Spiel mehr ist. Die Hauptfigur Belma ist ein sensibles Mädchen, das Krieg und Flucht erlebt hat. Gleiches trifft übrigens auch auf die Darstellerin Emina Isovic zu: Sie ist selber Flüchtling aus Bosnien und erst letzten Sommer nach Dänemark gekommen. Emina spielt einen Teil ihrer Lebensgeschichte."

Das Drehbuch hat Pascal Lonhay aus Belgien geschrieben: Wie war die Zusammenarbeit, und was haben Sie noch verändert?
"Die Zusammenarbeit war sehr gut, über die Veränderungen am Drehbuch zu sprechen, ist nicht so leicht. Ursprünglich war die Geschichte in französischer Sprache verfasst, wurde dann ins Englische übersetzt und danach noch einmal in Dänisch – auf diesem Weg mag es zu Änderungen gekommen sein. Doch viel wichtigere Veränderungen haben sich während der Arbeit am Film ergeben: Die meisten Schauspieler im Film stammen aus dem ehemaligen Jugoslawien und sie wussten ganz genau Bescheid, auch über Details, das war mir eine große Hilfe. Und der kroatische Schauspieler Rade Serbedzija ist schon lange im Geschäft und konnte mir Dinge sagen, die ich nicht wusste – und es wäre falsch, auf solche Erfahrungen eines Schauspielers nicht zurückzugreifen. Auch bei der Grundidee habe ich immer auf ihn gehört: Wie verändert der Krieg die Natur des Menschen. Und ich hoffe, dass mein Film dies deutlich machen und eine Stimmung vermitteln kann."

In Ihrem Film sind die Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien auf einem Schiff mit fensterlosen Kabinen untergebracht: Gab es dieses Schiff in Kopenhagen wirklich?
"Ja, es existiert in Wirklichkeit, und vor zwei Jahren ist es auch zum Einsatz gekommen. In fünf Ebenen übereinander sind Container gestapelt, und die äußeren haben ein Fenster. Ursprünglich ist das Hotelschiff in Hamburg gebaut worden."

Für die Liebesgeschichte gibt es kein Happy End, aber Sie setzen ein Zeichen der Hoffnung – die Hoffnung auf eine Welt ohne Krieg und Hass ...
"Ich hoffe, dass ich die Zuschauer in ihren Herzen bewegen kann, es geht mir nicht darum, sie zu erziehen. Sie sollen viel eher ein wenig irritiert oder verwirrt sein und so zum Nachdenken kommen. Aber Filme, die erziehen wollen, sind mir ein Gräuel. Ich will zuerst die Herzen der Zuschauer, nicht ihren Kopf: Wenn es über das Herz zum Kopf geht, finde ich das in Ordnung."

Wie schätzen Sie nach dem Friedensabkommen von Dayton die Lage im ehemaligen Jugoslawien ein?
"Ich denke, dass die Chancen für einen Frieden nur gering sind, trotzdem hoffe ich natürlich, dass der Krieg gestoppt werden kann. Aber die Schwierigkeiten sind doch der Hass und die Gewaltbereitschaft der Erwachsenen, die schon so fest gefügt sind und sich nicht mehr ändern. Deshalb hoffe ich auch, dass die jungen Leute die Situation ändern können, nur sie haben wirklich eine Chance, sie sind noch offen genug. Die Politiker machen es sich zu einfach: Sie unterzeichnen ein Friedensabkommen in Dayton und meinen, damit kommt auch der Frieden, dem ist aber nicht so. Der Krieg in Ex-Jugoslawien ist kein Krieg wie zu Napoleons Zeiten mit klaren Fronten, sondern es ist ein Krieg mit vielen Waffen, mit verwirrten Kindern, mit Flucht und Bomben. Es ist ein durch und durch dreckiger Krieg, deshalb bin ich wenig optimistisch, was den Friedensschluss von Dayton angeht."

Das Gespräch mit Lars Hesselholdt führte Manfred Hobsch

 

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Ausgabe 66-2/1996

 

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