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Ausgabe 71-3/1997

IMUHAR "EINE LEGENDE"

IMUHAR "UNE LEGENDE"

Produktion: M. P. Productions; Frankreich 1996 – Regie: Jacques Dubuisson – Buch: Annick Denoyelle, Jacques Dubuisson, Michel Fessler, Jacky Cukier – Kamera: Antoine Roch – Schnitt: Michéle Hollander – Musik: Philippe Eidel – Darsteller: Ibrahim Paris (Khénan), Mohamed Ixa (Najem), Mohamed Ichika (Kénuni), Oumou Algabid (Chadema) u. a. – Länge: 82 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Flach Pyramide International, 5 rue Richepause, F-75008 Paris, Tel. +33-1-42960101, Fax +33-1-42678008 – Altersempfehlung: ab 8 J.

Es gibt sie nur selten, jene Momente der Kinomagie, in denen der Regisseur alle Zeit der Welt zu haben scheint. Der Franzose Jacques Dubuisson, bisher vor allem mit Unterrichts- und Werbefilmen, Dokumentationen sowie Drehbüchern für TV-Serien hervorgetreten, ist so ein Filmemacher: Mit souveräner Gelassenheit erzählt er eine fesselnde Geschichte, ohne viele Worte zu benötigen. In seiner farbigen Chronik einer kulturellen Grenzüberschreitung schildert er, wie der elfjährige Khénan, der in Paris aufgewachsen ist, die afrikanische Heimat seines Vaters kennen lernt. Nach dem Tod der Mutter begleitet Khénan seinen Vater dorthin.

In der Wüste begegnet er erstmals seinem Großvater, der zum Volk der Imuhar gehört, die mit ihren Viehherden als Nomaden von Wasserstelle zu Wasserstelle wandern. In der fremden Umgebung kann der aufgeweckte Großstadtjunge vieles entdecken, zum Beispiel, wie man ein Kamel reitet oder wie man sich auch ohne Worte verständlich machen kann. Seine Verwandten bringen ihm die Regeln der Wüste bei, so dass er sich rasch in das Nomaden-Leben integriert. Umso schmerzlicher ist ein Missgeschick bei einem Wettrennen: Sein Kamel hat sich so schwer verletzt, dass es getötet werden muss. Gepeinigt von Schuldgefühlen, läuft Khénan in die Wüste hinaus, wo er beinahe verdurstet. Gerade noch rechtzeitig findet ihn ein Lastwagenfahrer, der ihn zu einem anderen Stamm bringt. Sobald Khénan wieder bei Kräften ist, bringt ihn ein stattlicher junger Mann zurück zu seinem Vater und sieht Khénans junge Tante, in die er sich verliebt. Was das bedeutet, beginnt Khénan jedoch erst zu verstehen, als er sich immer öfter mit seiner hübschen Cousine Chadèma unterhält.

Wundert sich der Junge anfangs noch über einige sonderbare Gebräuche wie etwa das sehr anstrengende Werben seines Retters um die Tante, so beginnt er – und wir mit ihm – nach und nach zu verstehen, welche Bedeutung die traditionellen Tuareg-Riten haben. Als der Großvater von der Tante verlangt, acht Tage ohne Proviant in der Wüste zu verbringen, weil sie die bereits angebahnte Heirat mit einem anderen Kandidaten verweigert und stattdessen Khénans "Retter" vorzieht, erkennt der Junge den tieferen Sinn dieser harten Prüfung: Um in der lebensfeindlichen Wüste bestehen zu können, muss ein Paar künftig vielen Schwierigkeiten die Stirn bieten.

Seine Erlebnisse während des neunmonatigen Aufenthalts erzählt uns Khénan aus der Perspektive des jungen Erwachsenen, der in Frankreich inzwischen Wasserbauingenieur geworden ist. Sein leicht wehmütiger Off-Kommentar drängt sich jedoch zum Glück nie in den Vordergrund. Stattdessen lassen lange Einstellungen und eine gemächliche Kameraführung dem Betrachter reichlich Zeit, die wind- und hitzegegerbten Gesichter der Tuareg zu erkunden oder die eindrucksvollen Landschaften zu erforschen, in denen sich Mensch und Tier wegen der glühenden Hitze gemächlich bewegen.

Wesentlich schneller geht der Anpassungsprozess bei dem jungen Gast voran, was sich schon äußerlich darin niederschlägt, dass er seine westlichen Klamotten bald gegen die landesübliche praktischere Kleidung tauscht und seine Mähne für eine stammestypische Frisur opfert. Mit Ibrahim Paris in der Rolle des jungen "Helden" hat der 1947 in Grandvillars bei Paris geborene Regisseur eine ausgezeichnete Wahl getroffen. Zur Verstärkung der exotisch wirkenden Stimmung setzt er in seinem Debütspielfilm geschickt arabische Melodien und poetische Volksweisheiten ein. Nicht zuletzt wegen der Kraft der Farben und Intensität des Lichts sollte man sich Dubuissons filmische Legende unbedingt auf der Leinwand ansehen.

Reinhard Kleber

 

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Ausgabe 71-3/1997

 

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