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Ausgabe 74-2/1998

"Ich habe einfach nach einem wahrhaftigen Ende gesucht"

Gespräch mit dem Regisseur und Schauspieler Mark Lowenthal, dessen Film "Where the elephant sits" von der Kinderjury des 21. KinderFilmfestes in Berlin mit dem Gläsernen Bären ausgezeichnet wurde

(Interview zum Film WO DER ELEFANT SITZT)

KJK: Mark, Sie sind von Beruf Schauspieler und haben nun mit "Where the elephant sits" Ihren ersten Film gedreht, zu dem Sie auch das Buch geschrieben haben. Was bewog Sie, sich mit dem Thema "Schule" zu beschäftigen?
Mark Lowenthal: "Es ist ein sehr aktuelles Thema in den Vereinigten Staaten, worüber man im Moment am meisten spricht. Außerdem habe ich selbst als Lehrer gearbeitet und meine Erfahrungen gemacht."

Haben Sie in der Schule unterrichtet, um zu recherchieren?
"Nein, ich habe unabhängig davon als Lehrer gearbeitet. Schauspieler haben bei uns häufig mehrere Berufe, und so war ich zwei Jahre als Lehrer an einer Schule tätig, von 1987 bis 1989. Aus diesem Erlebnis heraus entstand dann die Idee zu diesem Film."

Sieht die Realität an den amerikanischen Schulen wirklich so aus oder haben Sie da einiges überspitzt?
"Natürlich spitzt man in 100 Minuten einiges zu, um deutlich zu machen, um welches Problem es hier geht. Es ist also eine fiktive Darstellung. Ich habe Erlebnisse von verschiedenen Leuten an verschiedenen Orten zusammengetragen, um diesen Film zu verdichten. Dennoch ist es so, dass Kindern solche Dinge passieren und noch viel schlimmere, viel härtere, die ich nicht wagen würde, in einem Film zu beschreiben."

Zum Beispiel?
"In Los Angeles, wo ich lebe, stirbt in der Tat jeden Tag ein Kind bei irgendeinem Gewaltakt. Und das ist eine Realität, mit der man nicht nur in Los Angeles, sondern in verschiedenen Städten der Vereinigten Staaten konfrontiert ist. Das wollte ich zeigen. Es ist natürlich leicht unter solchen Umständen, die dramatischen Begebenheiten zu nehmen und daraus etwas zu machen, ähnlich wie die yellow-press. Aber mich hat mehr interessiert, was passiert in solchen Situationen mit den anderen, mit denen, die nicht direkt zu den Opfern zählen, das aber alles miterleben müssen. Darauf hat sich mein Blick gerichtet."

Der Ratgeber des Lehrers in Ihrem Film ist ein Elefant, genau genommen eine Elefantenfrau. Warum haben Sie sich gerade für dieses Tier entschieden?
"Also, Elefant deswegen, weil er ein wahnsinnig großes Tier ist, das man nicht übersehen kann. Selbst wenn es unsichtbar ist. Warum eine Frau? Es gibt eine mütterliche Ruhe, eine Geduld und Weisheit, die man mit Frauen verbindet und die gerade in dieser gewalttätigen Schulsituation völlig fehlt. Und genau dieses Element wollte ich mit der Elefantenfrau reinbringen."

Ich hatte Schwierigkeiten mit dem Rat der Elefantenfrau, dass der Lehrer sich allein auf die Schule konzentrieren soll.
"Das war vielleicht eine etwas fehlerhafte Übersetzung. Es geht bei dem Rat nicht darum, dass der Lehrer alles, was außerhalb der Schule passiert, ignorieren soll, sondern eher darum, dass sein Bereich die Schule ist und dass er dort durchaus etwas bewirken kann und sich darauf konzentrieren soll. Es geht nicht darum, dass die Situation außerhalb nicht verändert werden muss."

Aber Ben Falk schafft es ja letztendlich doch nicht. Er verlässt die Schule, obwohl er versucht hat, den Rat der Elefantenfrau zu befolgen.
"Ich befürchte, dass das die tragische Wahrheit der Lehrer in solchen Situationen ist. Im Durchschnitt halten Lehrer in den Vereinigten Staaten diese Belastung an den Schulen drei Jahre aus und nicht länger. Das ist der Punkt, an dem auch Ben Falk angelangt ist, dass er nicht mehr in die Schule kann, dass er diesen Beruf nicht mehr weitermachen kann. Es ist schon wahr, dass ein guter und engagierter Lehrer viel bewirken kann. Aber ich wollte eben kein Statement abgeben, dass ein Lehrer die ganze Welt verändern kann. Ich habe einfach nach einem wahrhaftigen Ende gesucht."

Meinen Sie, dass Kinder dieses traurige offene Ende aushalten können?
"Es gibt durchaus Beispiele auch im deutschen Märchen, zum Beispiel bei den Gebrüdern Grimm, die nicht glücklich ausgehen. Der Psychologe Bruno Bettelheim hat viel darüber geschrieben. Ich habe diesen Film zunächst auch nicht als Kinderfilm gemacht, sondern ich wollte einfach diese Geschichte erzählen. Ich freue mich, dass er hier zum Festival eingeladen worden ist und dieses Publikum gefunden hat. Sicher ist meine Geschichte nicht geeignet für ganz kleine Kinder, dafür ist sie auch zu kompliziert, aber sie ist gut aufgenommen worden von 12- und 13-Jährigen. Ich denke, dass mein Film diesen Schluss verlangt hat."

Wird der Film in die Kinos kommen?
"'Where the elephant sits' ist gerade erst fertig gestellt worden, hier in Berlin hatte er seine Weltpremiere. Nun werde ich ihn in Los Angeles ein paar Mal zeigen in der Hoffnung, einen Verleih zu finden, der dafür sorgt, dass er in die Kinos kommt. Ich glaube aber nicht, dass der Film in den Vereinigten Staaten als Kinderfilm angenommen wird, eher als Film für Erwachsene und wahrscheinlich auf Off-Kinos einen Eindruck machen wird. Ich denke nicht, dass er flächendeckend im ganzen Land gezeigt wird."

Wie wurde der Film finanziert?
"Ich habe ihn hauptsächlich selbst finanziert. Meine Partner waren Mastercard und Visa – ich habe mein Konto einfach soweit überzogen, wie es ging."

Haben Sie schon einen neuen Film im Kopf?
"Ich hoffe, im August mit dem Drehen beginnen zu können. Ich habe wieder das Buch geschrieben und werde auch die Regie führen, nur spielen werde ich diesmal nicht. Worum es bei meinem neuen Projekt geht, möchte ich nicht verraten, aber es wäre schön, den Film in zwei Jahren wieder auf der Berlinale zeigen zu können."

Mit Mark Lowenthal sprach Barbara Felsmann

 

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