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Ausgabe 78-2/1999

MADELINE

Produktion: Jaffilms Production / Pancho Kohner/Saul Cooper Production; USA 1998 – Regie: Daisy von Scherler-Mayer – Drehbuch: Mark Levin und Jennifer Flackett, nach den gleichnamigen Kinderbüchern von Ludwig Bemelman – Kamera: Pierre Aim – Schnitt: Jeffrey Wolf – Musik: Michel Legrand – Darsteller: Hatty Jones (Madeline), Frances McDormand (Miss Clavel), Stephane Audran (Lady Covington), Nigel Hawthorne (Lord Covington), Ben Daniels (Privatlehrer Leopold), Chantal Neuwirth (Köchin Helene), Kristian de la Osa (Pepito) u. a. – Länge: 89 Min. – Farbe – FSK: o. A. – Verleih: Columbia Tristar (35 mm) – Altersempfehlung: ab 6 J.

Zwölf Mädchen leben mit ihrer Lehrerin und Betreuerin Miss Clavel in einem kleinen Internat in Paris. Madeline ist eine der Schülerinnen, das einzige Waisenkind unter ihnen. Ein vorwitziges Mädchen, das voller Ideen steckt. Die alte Privatschule gehört Lady Covington, einer alten Dame, die als Kind hier selbst zur Schule ging. Lady Covington unterstützt das Internat großzügig, doch sie ist krank und es steht schlecht um sie. Eines Tages ist die alte Dame nicht mehr da – zur Trauer um die verstorbene Gönnerin gesellt sich bei Miss Clavel die Sorge um die Schule, denn der Lord, dem nun das Haus gehört, macht ihr und den Mädchen unmissverständlich klar, dass er das Anwesen zu verkaufen gedenkt. Ihm war das Internat schon lange ein Dorn im Auge.

Der spanische Botschafter zieht mit seiner Frau und dem Sohn Pepito ins Nachbarhaus. Und weil die Eltern keine Zeit für Pepito haben, engagieren sie den Privatlehrer Leopold. Der ist allerdings weniger Lehrer als Hochstapler und Gauner. Er lässt Pepito also machen, was der will, und Pepito nervt in seiner Langeweile die Mädchen des Internats nebenan. Lord Covington beschließt, das Haus ebenfalls an Botschafter zu verkaufen und führt potenzielle Kunden durch das Internat. Madeline entwickelt viel Phantasie, um möglichen Käufern das Interesse an dem Anwesen zu vermiesen. Aber das alles scheint sinnlos, der Lord lässt sich nicht beirren. Die anderen Mädchen können zu ihren Familien zurück – doch Madeline hat keine Familie, wo also soll sie hin? Sie beschließt, wegzulaufen. Bei einen Zirkus verschwindet Madeline, und läuft Privatlehrer Leopold in die Arme, der just die Entführung Pepitos organisiert. Kurzerhand wird sie von den Gaunern mitgenommen. Doch Madeline gelingt die Flucht mit Pepito – eine halsbrecherische Verfolgungsjagd durch die umliegenden Wälder beginnt. Natürlich geht alles gut aus, das Internat bleibt eine Schule.

"Madeline" entstand nach Kinderbüchern, die Ludwig Bemelman 1939 schrieb und illustrierte. Vier der sechs Bücher wurden für den Film geschickt verknüpft und vermitteln trotz ihres episodenhaften Charakters eine stimmige Einheit mit dramaturgischem rotem Faden. Kernstück der Handlung ist der Protest gegen den Verkauf des Hauses. Aus den 30er-Jahren in die 50er-Jahre verlegt, mischt der Film die leicht altmodische Anmutung der Geschichte mit 50er-Jahre-Musik und einer vorsichtigen Respektlosigkeit, die die Aufbruchstimmung dieser Zeit aufgreift. Die Idee, Bemelmans Bücher zu verfilmen, entstand (laut Presseheft), nachdem Produzentin Allyn Stewart mit ihren Pflegekindern in einem Kinderfilm war. Der war ihrer Meinung nach so furchtbar, dass sie spontan beschloss, einen geeigneten Kinderfilmstoff zu suchen und selbst einen Film für Kinder zu produzieren. Jemand schlug "Madeline" vor und sie erinnerte sich daran, die Bücher als Kind verschlungen zu haben. Sowohl Stab als auch Schauspieler sind hochkarätig besetzt, und man merkt dem Film an, dass jedes Detail sorgfältig bedacht und umgesetzt wurde.

Entstanden ist ein Film, der den altmodischen Charme französischer Filme und das federleichte Flair der Pariser Originalschauplätze stimmungsvoll verbindet. Die Einstimmung auf die 50er-Jahre erfolgt bereits im Vorspann mit seiner französischen Musik und den gezeichneten Bildern. Die Mädchen spielen ihre Rollen erfrischend natürlich, und auch die Frauenrollen sind nicht nur gut besetzt, sondern zeigen starke (und differenzierte) Charaktere, gegen die die Männer und der Junge Pepito stark abfallen und klischeehaft wirken. Miss Clavel beispielsweise ist zwar katholische Nonne, doch das hindert sie nicht, die Köchin beim Kartenspiel zu betrügen oder ihren Mädchen zuliebe ihre Glaubensgrenzen zu überschreiten. Die Köchin bildet als lebensfrohe (nicht mehr ganz junge) Burschikose den Kontrapunkt, kann kräftig fluchen und herzerfrischend tanzen. Der Botschafter als farbloser Anzugträger, der Lord als steifer, miesepetriger Brite und Pepito als aufgeblasener spanischer Möchtegern-Macho haben dagegen wenig Bandbreite in den Rollen und ihre Veränderungen am Ende des Films wirken aufgesetzt und gewollt. Das ist schade, denn hier verschenkt der Film den Bonus, den die Leichtigkeit der Mädchengruppe und ihr phantasievoller Widerstand trotz aller unzeitgemäßen Verhaltensweisen erschaffen. Und so verlässt man das Kino zwar gutgelaunt und angenehm unterhalten, jedoch mit dem Gefühl, dass man nichts verpasst hätte, hätte man ihn nicht gesehen.

Rotraut Greune

 

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Ausgabe 78-2/1999

 

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