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Ausgabe 78-2/1999

Filmgeschichtliche Wiederentdeckung: Der Regisseur Karel Zeman

Der Regisseur Karel Zeman (1910 – 1989)

(Hintergrund zum Film AUF DEM KOMETEN, zum Film CHRONIK EINES HOFNARREN / DIE HOFNARRENCHRONIK und zum Film DAS GESTOHLENE LUFTSCHIFF)

Beim diesjährigen Kinderfilmfest / Filmfest München stehen Karel Zemans Verfilmungen der Science-Fiction-Bücher von Jules Verne (1828-1905) – "Die Erfindung des Verderbens" (1958), "Chronik eines Hofnarren" (1964), "Das gestohlene Luftschiff" (1966), "Auf dem Kometen" (1970) – im Mittelpunkt des Sonderprogramms. Ergänzt wird die Werkschau mit den Animationsfilmen "Krabat" und "Das Märchen von Hans und Marie". Mit dem Filmkünstler Karel Zeman, der in der Filmwelt als Erbe von Georges Melies gilt, hat der tschechoslowakische Film Weltruf erlangt. Er gehört neben Jiri Trnka und Hermina Tyrlova zu den bedeutendsten und bekanntesten tschechischen Filmemachern. Karel Zemans Filmwerk ist nach seinen eigenen Worten "der Jugend und den Kindern gewidmet ... Dabei vergesse ich allerdings nicht, an die erwachsenen Zuschauer zu denken, zumindest an jene, die Kinderaugen behalten haben. Man sagt, dass ein guter Kinderfilm auch für die Eltern gut ist."

Seit 1930 arbeitete Karel Zeman als Werbegrafiker und Bühnenbildner und begann, ab 1943 Drehbücher zu schreiben. Im 'Bata'-Filmstudio Zlín entstand 1945 sein erster Film, "Weihnachtstraum", eine Kombination aus Spielfilm- und Puppentrickteilen, beim Filmfestival in Cannes als bester Animationsfilm ausgezeichnet. In dem Werk Zemans verbinden sich schöpferische Phantasie und Experimentierfreudigkeit, technisches Interesse und Poesie. Zeman nützte alle Gestaltungsmöglichkeiten des Filmtricks. Er verstand, Real- und Trickfilm, Puppen- und Zeichentrickfilm kreativ zu verbinden und ließ auch noch leibhaftige Darsteller auftreten und agieren. "Technische und poetische Phantasie bedeuten keinen Widerspruch. Das Primäre aber ist die poetische Phantasie." (Karel Zeman) Dazu eignen sich vorzüglich die Romane des französischen Schriftstellers Jules Verne. Er war fasziniert von den Möglichkeiten, die vom Fortschritt der Technik in unserer Zeit ausgehen, aber er versuchte stets, beide Welten – das Phantastische der Technik und das Phantastische der Poesie – kritisch als eine Einheit zu sehen.

AUF DEM KOMETEN (NA KOMETA / ARCHA PANA SERVADACA)

Produktion: Filmstudio Barrandov, CSSR 1969/70 – Regie und Drehbuch: Karel Zeman nach dem Roman von Jules Verne – Kamera: Rudolf Stahl – Spezialeffekte: Arnost Kupcik, Frantisek Krcmár, Josef Zeman, Jaroslav Barinka, Bohuslav Pikhart – Musik: Lubos Fiser – Darsteller: Emil Horváth jr. (Kapitän Servadac), Magda Vásáryová (Angelika), Frantisek Filipovsky, Josef Vétrovec – Länge: 77 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: AV-Film (16mm) – Altersempfehlung: ab 6 J.

Sinnierend betrachtet ein ehemaliger französischer Kolonialoffizier eine alte Postkarte, die eine schöne junge Frau zeigt: Die Frau seiner Träume. Dann erzählt er uns seine Geschichte: Einst war er in Nordafrika stationiert, wo er beim Landvermessen ins Meer stürzte und von der schönen Angelika vor dem Ertrinken gerettet wurde. Die war gerade einem spanischen Agenten entkommen, der sich als Waffen- und Mädchenhändler betätigt. Sein Abnehmer ist ein arabischer Fürst, der weniger die Befreiung seines Landes von den Franzosen und mehr die Ausweitung seiner persönlichen Macht zu erreichen sucht. Dabei soll ihm der Spanier helfen, der als Gesandter in die französische Garnison kommt, wo er ein Geschenk mit einer Bombe drin überbringt, deren Explosion zugleich das Zeichen für den Angriff des Fürsten darstellen soll. Doch eigentlich steht schon ein ganz anderes Zeichen am Himmel: Ein riesenhafter Komet (eigentlich sogar ein ausgewachsener Planet) erscheint und schleudert Blitz und Donner. Just im Moment der Explosion werden alle Beteiligten samt des Stückes Erde, auf dem sie sich befinden, vom Kometen mitgerissen und auf eine unfreiwillige Odyssee im Weltraum verschleppt.

Zunächst geht dort alles seinen gewohnten Gang. Franzosen, Spanier und Araber kämpfen und intrigieren nach einer kurzen Phase der Verwirrung weiter, als sei nichts geschehen; schließlich gibt's für alles Heeresvorschriften. Doch bald schon droht erstes Unheil in Gestalt von Dinosauriern, die sich auch durch Waffen nicht vertreiben lassen. Allein das Geschepper eines Wagens voller Blechtöpfe jagt sie in die Flucht. Flugs werfen die Franzosen ihre Waffen weg und ersetzen sie durch Vorrichtungen, mittels deren man diesen Lärm erzeugen kann. Diese helfen jedoch nicht gegen die Araber, die sich die abgelegten Waffen aneignen. Unser Offizier verfolgt derweil seine zarte Liebe mit Angelika, wobei ihm deren Brüder in die Quere kommen, die die Verschleppte retten wollen.

Da naht eine neue Katastrophe: Der Komet droht auf den Mars zu stürzen. Erst im Zuge des drohenden Weltuntergangs sind die kämpfenden Parteien bereit, das zu tun, was sie zuvor als unrealistische Utopie verlachten: In Frieden und Harmonie miteinander zu leben und ihr letztes Stündlein gemeinsam zu genießen. Doch als die Gefahr vorbei ist, beginnen Streit und Kampf von neuem und nehmen auch dann kein Ende, als alle wieder heil auf der Erde ankommen. Am Schluss wird der Offizier von seinem Untergebenen aus dem Wasser gerettet. War alles nur die Phantasterei eines Todgeweihten? Wer weiß.

War der Stil von Zemans Jules-Verne-Adaption "Die Erfindung des Verderbens" (1958) geprägt von alten Stahlstichen, die schon die Romanausgaben illustrierten, so sind es hier Postkarten alten Stils, die das visuelle Konzept bestimmen. Bereits der Vorspann findet auf derartigen Ansichten statt und auch Bauten und Landschaft wirken über weite Strecken wie Postkartenidyllen. Dazu passt auch die gelbstichige Colorierung, die dem Film den Look einer vergilbten Postkarte gibt. In diesem Film steigert Zeman seinen Stil der Mischung verschiedener Filmtricks mit Realfilm und eindrucksvollen Dokumentarsequenzen zur Perfektion. Seine Stop-Motion-Dinos können sich durchaus mit denen Ray Harryhausens messen und dienen ganz nebenbei der Ironisierung militaristischer Rituale: Denn wenn die Franzosen nach ihrem Erlebnis mit den Dinos Kanonen und Gewehre durch Blechtöpfe ersetzen, mit denen sie aber genauso salutieren müssen, wirkt das ungemein komisch.

Zeman bleibt auch hier seiner konsequent antimilitaristischen Haltung treu und illustriert in einer Sequenz geradezu meisterhaft kurz und ohne Worte, was Kolonialismus bedeutet: Da reist ein französischer Offizier im Ballon über Nordafrika, wirft seine abgebrannte Zigarre weg, die auf einen Teppich vor ein Kind fällt. Dieses betrachtet zunächst neugierig das Entstehen des Brandes, um dann schreiend in die Wüste zu laufen. Kommentar überflüssig. Getragen von feiner Ironie, wirkt diese Parabel über den Irrsinn des Kriegs auch heute noch höchst unterhaltsam und mancher Gag ist komischer als vieles, was das Mainstream-Kino heutiger Tage zu bieten hat.

Lutz Gräfe

 

CHRONIK EINES HOFNARREN / DIE HOFNARRENCHRONIK (BLAZNOVA KRONIKA)

Produktion: Filmstudio Barrandov, CSSR 1964 – Regie: Karel Zeman – Drehbuch: Karel Zeman, Pavel Jurácek – Kamera: Václav Hanus – Schnitt: Jan Chaloupek – Musik: Jan Novák – Darsteller: Petr Kostka (Peter), Miroslav Holub (Matthias), Emiliana Vásáryová (Lenchen), Eduard Kohout (Graf Pinkles), Valentina Thielová (Vroni) – Länge: 90 Min. – s/w – Altersempfehlung: ab 6 J.

"Die Wahrheit ist verhext", heißt es gleich zu Beginn dieser Mär aus dem 30-jährigen Krieg, bei der Grimmelshausens "Simplicissimus" Pate gestanden haben könnte:

Der ebenso junge wie naiv-ahnungslose böhmische Bauer Peter wird vom Söldner Matthias in die Dienste einer der beiden Seiten dieses irrwitzigen Krieges gepresst. Doch trotz aller Anleitung bleibt Peter im Grunde seines Herzens Zivilist und Bauer und nutzt die erstbeste Gelegenheit zur Flucht, was ihn der anderen Seite in die Hände spielt. Nach einer erneuten Flucht trifft er Matthias wieder, der sich inzwischen vom Acker gemacht hat. Beide erbeuten eine Karosse voller Schätze und Peter begegnet Lenchen, der Liebe seines Lebens. Zu dritt geraten sie in Gefangenschaft, wobei Peter für einen bedeutenden Adligen gehalten wird. Als sich der Wind des Krieges zu drehen droht, werden aus Gefangenen plötzlich fürstlich bewirtete Gäste und man bietet Peter sogar die Hand der Tochter des Schlossherren an. Der gerät kurzzeitig in Versuchung, hat er sich doch unsterblich in ein Bildnis der Schönen verliebt. Die Zuneigung zu seinem Lenchen aber ist größer, und nachdem sich der Wind des Krieges diverse Male gedreht hat und Peter sich zudem der Nachstellungen eines eifersüchtigen Rivalen erwehrte, können sie vom Schloss entkommen; nur um aufgrund ihr naiven Gutherzigkeit gleich wieder einem Werber ins Netz zu gehen. Doch wieder ist ihnen das Glück hold und wenn sie nicht gestorben sind ...

In dem für ihn typischen Stil der Montage von Animation, Zeichentrick und Realfilm schuf Zeman hier eine Parabel gegen den Krieg und die Arroganz der Herrschenden. Naturgemäß kommen diese dabei nicht gut weg. Schon ihre Wappentiere werden Hohn und Spott preisgegeben und illustrieren zudem das sich wandelnde Kriegsglück: Da schleichen nach Niederlagen prächtige Adler gerupft von dannen und stolze Wölfe werden zu lahmen Kötern. Und manchmal werden aus geflügelten Worten einfache, aber klare Bilder: Der Wind des Krieges tritt hier tatsächlich in Erscheinung, bläst vom Himmel hoch die Heerscharen auseinander und lässt die Wappenfähnchen auf dem Schloss sich nach dem Winde drehen, wobei sie das gerade siegreiche Abzeichen zeigen. Der ehemalige Kulissenmaler Zeman versucht gar nicht erst, seine Kulissen zu verbergen. Im Gegenteil: Er macht aus der Not beschränkter Mittel eine Tugend. Die bewusste Künstlichkeit seiner Hintergründe sorgt für Stilisierung und Verfremdung und schafft so einen ganz eigenen Zauber, der sich auch noch im Zeitalter digitaler Bildbearbeitung zu entfalten vermag.

Das besondere Plus der Arbeiten des Regisseurs bestand immer in seinem feinen Sinn für Ironie, der sich mitunter zu beißendem Spott gegen die Herrschenden steigern konnte. So auch hier: Adel und Kriegsherren sind nicht mehr als machtgierige Opportunisten, die ihr Fähnchen im Sinne des Wortes nach dem Winde hängen. Da wird selbst Söldner Matthias zu einer sympathischen Figur; ist er doch wenigstens offen auf seinen Vorteil bedacht und dennoch zu solidarischem Handeln fähig. Zudem bietet Zeman in einigen Sequenzen hübsch-ironisch kommentierende Paraphrasen auf den Mantel-und-Degen-Film. Begleitet vom ironischen Off-Kommentar des Hofnarren entstand zeitlose antimilitaristische Unterhaltung.

PS: Wer sich Zemans Animationssequenzen genau ansieht, weiß, wovon sich die Herren Terry Gilliam & Co. bei "Monty Python's Flying Circus" inspirieren ließen.

Lutz Gräfe

 

DAS GESTOHLENE LUFTSCHIFF (UKRADENA VZDUCHOLOD)

Produktion: Filmstudio Barrandov/Filmstudio Gotwaldow (heute Zlín), CSSR 1966 – Regie: Karel Zeman – Drehbuch: Karel Zeman, Radovan Krátky, nach Motiven von Jules Verne – Kamera: Josef Novotny – Schnitt: Jan Chaloupek – Musik: Jan Novák – Darsteller: Michal Pospísil (Jakoubek Kurka), Hanus Bor (Tomás Dufek), Jan Cícek (Martin), Josef Stráník (Pavel), Jan Malát (Petr) – Laufzeit: 88 Min. – Altersempfehlung: ab 6 J.

Was ist der rote Faden, der sich durch die Menschheitsgeschichte zieht? Nein nicht das, was Sie jetzt denken. Es ist der erhobene Zeigefinger, die stete Reaktion auf Dumme-Jungen-Streiche und Ärgeres. Das zumindest macht der Vorspann dieses Films deutlich.

Und ein Dummer-Jungen-Streich bringt unsere fünf kleinen Helden zusammen, die nun mit einem Luftschiff eine Weltreise unternehmen, die sie schließlich auf Kapitän Nemos Insel verschlägt, von der sie sich erst retten können, nachdem sie einen Haufen Finsterbolde ausgetrickst haben, die direkt aus dem Wilden Westen zu kommen scheinen. Außerdem mit von der Partie: Die Staatsmacht, die hinter diesem Streich Hochverrat wittert; die Sensationspresse, die den Eltern der Kinder die Hölle heiß macht; der Hersteller des Luftschiffes, der mit dem angeblich nicht brennbaren Gas im Ballon das große Aktiengeschäft machen will; und, last but not least, Agent 13, der im Auftrag einer fremden Macht – die stark an das wilhelminische Deutschland erinnert – die Formel eben jenes Gases zu stehlen beabsichtigt.

Dieses ist sicherlich nicht die stärkste Arbeit des tschechischen Filmemachers. Über weite Strecken wirkt der Film eher wie eine etwas disparate Sammlung diverser Motive aus dem Werk des großen französischen Science-Fiction-Autors Jules Verne denn wie ein zusammenhängender Film: "In 80 Tagen um die Welt", "Die geheimnisvolle Insel" und "Fünf Wochen im Ballon" sind nur einige der Motivlieferanten. Insofern ist das sicherlich ein hübscher Spaß für alle Jules-Verne-Fans, die sich hinterher erzählen können, was sie alles entdeckt haben. Dem Rest bleibt ein Film, der in manchen Aspekten – etwa den Spitzen gegen die Sensations-Journaille – nichts von seiner Aktualität verloren hat, aber ansonsten eher wie eine Spielwiese denn wie ein dramaturgisch geschlossenes Werk wirkt. Auch das sonst so geschlossen erscheinende Zusammenspiel von Trick-, Real- und Dokumentarfilm macht hier eher den Eindruck von "work in progress", wenn auch so manches recht eindrucksvoll ist. Auch Zemans Spitzen gegen Autoritäten aller Art, die schon im Vorspann mit dem Zeigefinger beginnen, sind durchaus vergnüglich anzuschauen. Interessant ist der Film allein als Ergänzung zu Zemans großen Jules-Verne-Adaptionen "Die Erfindung des Verderbens" und "Auf dem Kometen". Aber auch ein Filmemacher wie Zeman kann nicht immer nur Meisterwerke drehen.

Lutz Gräfe

 

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