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Ausgabe 78-2/1999

"Man muss Kinderfilme mehr als Filme sehen ..."

Gespräch mit Margret Albers, Leiterin des Deutschen Kinder-Film&Fernseh-Festivals 'Goldener Spatz'

Interview

KJK: Fernsehfilm und Kinofilm standen auf diesem Festival immer auch in Konkurrenz. Hat sich ihr Verhältnis zueinander in den letzten Jahren verändert?
Margret Albers: "Ich denke, diese Rivalität – große Leinwand versus Mattscheibe – wird nicht mehr so verbissen und verkniffen geführt wie einstmals. Es ist einfach ein Faktum geworden, dass Kinderkino ohne Fernsehen eigentlich gar nicht mehr geht. Wenn sich die Macher beider Medien zusammentun, ist es nur im Interesse der Sache, dass mehr Programme und Filme für Kinder entstehen. Dass Fernsehproduktionen auf unserem Festival gezeigt werden, ist nicht nur einzigartig, es bedeutet auch, dass wir diese Chance nutzen müssen, denn das Fernsehen ist der Alltag für die Kinder. Darum ist es wichtig herauszufinden, welche Besonderheiten sich in dieser Alltagskost verstecken und wie die Bandbreite dieses Angebotes ist. Die Grenzen sind ja auch fließend geworden, was man an unserem Eröffnungsfilm sehen kann. 'Kidnapping Mom & Dad' ist eine TV-Produktion von Pro Sieben, die konzipiert als Familienfilm am Abend lief. Für das Festival wurde extra eine Kinokopie hergestellt, nun wird man sehen, was mit dieser Kopie passiert."

Wie steht es um die Situation des deutschen Kinderfilms und des Kinderfernsehens?
"Wir konnten in diesem Jahr einen Einreichrekord verzeichnen, besonders was die Fernsehproduktionen betrifft. Das Jahr 1997 war ein Boomjahr gerade für das Kinderfernsehen in Deutschland, weil der Kinderkanal auf Sendung gegangen ist und man natürlich dabei sehr ambitioniert zu Werke gegangen ist. Hinzu kam, dass der Kinderkanal mit Nickelodeon einen direkten Konkurrenten hatte, und Konkurrenz belebt ja nun einmal das Geschäft. Davon hat unser Festival in diesem Jahr auf jeden Fall profitiert. Seit Mitte letzten Jahres haben wir allerdings eine ganz andere Situation und ich bin gespannt, wie sich das bei unserem nächsten Festival bemerkbar macht. Nickelodeon wurde eingestellt, und es gab eine Reihe von Umstrukturierungen bei den öffentlich-rechtlichen wie bei den privaten Sendern, die sich darin bemerkbar machen, dass das Angebot für Kinder in der Woche reduziert bzw. bei einigen privaten Anbietern ganz eingestellt wurde. Ich finde es bedauerlich, dass man, wenn man wochentags um 16 Uhr den Fernseher einschaltet, nur noch selten Kinderprogramm zu sehen bekommt. Da müssen die Sender in den nächsten Jahren wieder gute und verlässliche Programmplätze für Kinder schaffen. Es kann einem auch zu denken geben, dass z. B. Super-RTL ausgezeichnete Quoten durch kinderrelevante Programme noch im frühen Abendprogramm erlangt. Es scheint also eine Chance zu geben, die genutzt werden muss. Erfreulicherweise begeistert sich der Regie- und Autorennachwuchs von den Filmhochschulen tendenziell verstärkt für den Kinderfilm. Das liegt zum Teil auch daran, dass einzelne Sender auf die Filmhochschulen zugehen und gemeinsam mit Studenten Projekte entwickeln. Das tut beiden Seiten, glaube ich, sehr gut."

Ist es noch haltbar, wenn man sagt, anspruchsvolles Kinderprogramm mit Bildungsinhalten finden wir bei den öffentlich-rechtlichen Sendern, unterhaltsames bei den privaten. Hält diese Einteilung überhaupt den heutigen Angeboten im Kinderfernsehen stand?
"Insofern noch, dass das Kinderprogramm bei den öffentlich-rechtlichen Sendern eine größere Bandbreite hat als bei den privaten. Was Informations-, Magazin- und Nachrichtensendungen betrifft, da haben die öffentlich-rechtlichen die Nase vorn. Auch, was an Eigenproduktionen gemacht wird. Allerdings sind dieses Jahr in unserem Wettbewerbsprogramm in der Kategorie Information/Dokumentation auch einige Beiträge von privaten Anbietern dabei, und man kann feststellen, dass in den Unterhaltungssparten, für die die privaten ja bekannt sind, die Qualität gestiegen ist und vermehrt Eigenproduktionen vertreten sind. Nach wie vor ist es aber ein Problem, dass die privaten Anbieter mit ihrem Programm Geld verdienen müssen und die Werberichtlinien ziemlich streng sind. Es darf ja keine Unterbrecherwerbung im Kinderprogramm geben, und das schließt das Ausstrahlen von Langmetragefilmen für Kinder aus. Der Wille und das Interesse, die Kinder an sich zu binden, ist schon da – aus welchen Gründen auch immer – und es wird versucht, ihnen nicht nur Massenware anzubieten, sondern den Sendungen einen eigenen Touch, ein eigenes Profil zu geben."

Die Kriterien für einen Kinderfilm werden immer wieder diskutiert, weil sich gerade bei den 9- bis 13-Jährigen die Ansprüche verändern. Sie sind viel erwachsener geworden, als das vor vielleicht 20 Jahren der Fall war. Was ist für Sie ein Kinderfilm?
"Das ist eine der Gretchenfragen. Wir haben auch wieder Filme im Programm, wo heiß darüber diskutiert werden wird, ist das nun ein Film für Kinder oder über Kinder oder mit Kindern. Bei uns werden auch wieder Fernsehproduktionen laufen, die nur im Abendprogramm ausgestrahlt wurden. Einige davon, denen man den Vorwurf machen könnte, dass die Kinder nur Alibikinder sind, um eine Geschichte interessanter zu machen, werden wir im Informationsprogramm präsentieren, ganz einfach um die gesamte Bandbreite zu zeigen.
Es gibt aber auch eine Reihe von Filmen, besonders Dokumentarfilme, wo ich mich frage, warum die so späte Sendeplätze wie 21.30 oder 22.30 Uhr hatten, obwohl sie für ältere Kinder gut geeignet sind. Ich denke da z. B. an 'Kein Zuhaus in Kurdistan'. Warum bringt man diese Filme nicht am Nachmittag oder am früheren Abend?"

Im Kinobereich versucht man die Einteilung Kinderfilm – Film für Erwachsene durch den aus den USA importierten Begriff Familienfilm aufzuweichen. Ist das der Weg oder sollte man nicht lieber dieses Vorurteil, dass Kinderfilme nur Kinder ansprechen, versuchen abzubauen?
"Der Familienfilm hat in den USA eine Tradition und ist von vornherein auf mehreren Ebenen angelegt, so dass wirklich jede Altersgruppe ein Vergnügen dabei empfindet. Erwachsene gehen in solche Filme auch, weil sie selbst daran ein genuines Interesse haben und nicht nur, weil man den Kindern damit einen Gefallen tun will. Mit dem Begriff deutscher Kinderfilm wird immer noch assoziiert, das ist ein Film für die Kleinen und nichts für die Großen. In Wirklichkeit ist es aber so, dass ein gut gemachter Kinderfilm für Erwachsene genauso interessant ist wie für Kinder. Man muss Kinderfilme mehr als Filme sehen und auch mal die Einteilung in Altersgruppen rauslassen, sie als Kunstwerk beurteilen. Niemand würde auf die Idee kommen, bei einer guten Produktion zu sagen, das ist ein toller Film für 30-Jährige oder für Rentner. Nur bei Kindern macht man diese Alterseinteilung und dabei auch noch so grobschlächtig, dass sie oft an deren realen Bedürfnissen vorbeigeht. In dieser Hinsicht muss sich noch einiges verändern, und da ist auch publizistisch noch viel zu tun.
Die Debatte um den Familienfilm ist ja im Grunde genommen ein Etikettenschwindel. Man versucht damit, andere Sendeplätze bzw. andere Schienen im Kino zu belegen, um diesen Film für ein breiteres Publikum zu öffnen. Es steckt ja vor allem ein wirtschaftliches Interesse dahinter, weil ein Film, der nur am Nachmittag gespielt wird, nicht genügend Einnahmen bringt. Für eine Produktion, wie 'Pünktchen und Anton', die im Budget höher liegt als viele andere Kinderfilme, ist es nicht unerheblich, wie er im Kino platziert wird. Das ist also völlig legitim, aber trotzdem nicht der heilige Gral, dem man hinterher jagen sollte. Es ist nach wie vor wichtig, dass es Filme gibt, wo Eltern ihre Kinder im Kino abliefern können oder wo Kinder allein hingehen, weil sie sich in diesem Film wiederfinden. Und es ist wichtig, dass man Filme, die für Erwachsene wie für Kinder gleichermaßen interessant und anregend sind, wie z. B. 'Pauls Reise', als solche ohne das Etikett 'Familienfilm' ins Kino kommen und in den Abendvorstellungen gezeigt werden. Aber da muss sich noch einiges in unseren Köpfen verändern."

Mit Margret Albers sprach Barbara Felsmann

 

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Ausgabe 78-2/1999

 

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