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Ausgabe 57-1/1994

BANDE DES HERZENS

XIN XIANG

Produktion: Pearl River Film Studio Guangzhou, VR China 1992 – Regie: Sun Zhou – Buch: Miao Yue – Kamera: Yao Li – Musik: Zhao Ji-Ping – Darsteller: Fei Yang, Wang Yu-Mei, Zhu Xu – Länge: 95 Minuten – Farbe – Weltvertrieb: Era International, Hong Kong (35 mm) – Altersempfehlung: ab 8 J.

Als Jingjing noch klein war, nahm ihn seine Mutter in eine Aufführung der Beijing-Oper mit. Obwohl der Kleine kaum Begeisterung zeigte, musste er Gesang und Tanz lernen, schließlich entstammt die Mutter einer traditionsreichen Künstlerfamilie. Und inzwischen ertappt sich Jingjing dabei, dass Beijing-Oper manchmal doch besser ist als all der Schrott, den ihm das Fernsehen bietet. Jetzt ist er etwa 10. Seine Eltern stehen kurz vor der Scheidung, deshalb schickt die Mutter den Sohn zu ihrem Vater, den alten Meister Li, einst ebenfalls ein berühmter Künstler, der nun in eher ärmlichen Verhältnissen lebt. Dieser ist von seinem Enkel wenig begeistert, hatte er doch seit der Heirat seiner Tochter keinen Kontakt mehr zu ihr, und Jingjing hat er auch noch nie gesehen. Auch Jingjings Theater-Lehrer findet das nicht gut, denn der Junge wird aus seiner Ausbildung gerissen. Talent hat er schon, aber es fehlt ihm einfach der notwendige Enthusiasmus. Die Mutter setzt sich durch und Jingjing kommt zum Opa. Hier trifft der Junge auch Li's langjährige Freundin Lotus, die den beiden hilft, trotz großer Probleme zusammenzukommen. Erst als Jingjing in einer Krise dem Opa gesteht, dass ihn die bevorstehende Scheidung der Eltern stark ängstigt, öffnen sich die beiden füreinander und erkennen, dass sie sich doch nicht so fremd sind. So meistern sie gemeinsam manche Krise (etwa als Madame Lotus stirbt) und nehmen am Ende zwar traurig, aber doch frohen Herzens und in der Gewissheit, einen neuen Freund gefunden zu haben, voneinander Abschied. Und Jingjing ist reifer und selbständiger geworden.

Suns Film ist eine im ruhigen Rhythmus mit langen Einstellungen erzählte Studie einer Annäherung zwischen zweien, die sich ähnlicher sind, als sie zunächst glauben. Dabei dienen die gelegentlichen Beijing-Oper-Sequenzen als Farbtupfer und Actionelement. Nur einmal thematisiert der Film direkt den Mythos der Beijing-Oper, der ja im letzten Jahr Thema mindestens zwei weiterer Filme (allerdings für Erwachsene) war: "M. Butterfly" von David Cronenberg und "Lebewohl meine Konkubine" von Chen Kaige. Als der Großvater seine lange gehütete Geige verkaufen will, um das Begräbnis von Madame Lotus zu finanzieren, wird Jingjing Zeuge der Verhandlungen, worauf er sich spontan entschließt, seinem Opa durch einen Straßenauftritt das Geld zu verschaffen. Auf einmal ertönt seine fast überirdische Stimme und die Leute im Teehaus und auf der Straße lauschen wie gebannt. Wie verzaubert geht Li auf die Straße und entdeckt zu seinem Erstaunen seinen eigenen Enkel als den Künstler, der ihn so fesselt. Denn bis dahin hatte Jingjing Li nie von seiner Ausbildung erzählt; wohl aus Angst, Li würde ihn dann weiter mit Gesang und Tanz behelligen.

Wie bei Zhengs "Schritte ins Leben" / "Ren Zhi Chu" spielt auch hier wieder (wie in der Realität) die Nachbarschaft eine große Rolle. Doch diese Nachbarschaft hat sich verändert: Statt Harmonie und Solidarität herrschen Streit und Zank und jeder versucht, für sich alleine durchzukommen – auch ein Reflex auf die rapiden Veränderungen, die sich in ganz China vollziehen. Der exzellent fotografierte und vor allem vom Hauptdarstellerpaar überzeugend gespielte Film bietet einen langsameren Rhythmus als andere chinesische Kinderfilme und erzählt auch eine etwas andere Geschichte: das Verhältnis der Generationen und das Phänomen, dass die Begegnung mit den Großeltern oft mehr Nähe und Verständnis ermöglicht, als das zwischen Eltern und Kindern möglich zu sein scheint. Konsequenterweise spielen die Eltern kaum eine Rolle. Sie sind im Gespräch oder der Erinnerung präsenter als im Leben von Opa und Enkel.

Lutz Gräfe

Zu diesem Film siehe auch:
KJK 57-1/1994 - Interview - "Zurzeit thematisieren viele Kinderfilme das Verhältnis der Generationen"

 

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Ausgabe 57-1/1994

 

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