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Ausgabe 82-2/2000

28 TAGE

28 DAYS

Produktion: Tall Trees Productions; USA 1999 – Regie: Betty Thomas – Buch: Susannah Grant – Kamera: Declan Quinn – Schnitt: Peter Teschner – Musik: Richard Gibbs – Darsteller: Sandra Bullock ((Gwen), Viggo Mortensen (Eddie), Dominic West (Jasper) u. a. – Länge: 105 Min. – Farbe – FSK: ab 6 – Verleih: Columbia TriStar – Altersempfehlung: ab 12 J.

Gwen genießt das Leben, koste es was es wolle. Und Geld hat sie, die junge New Yorker Schriftstellerin. Es ist anzunehmen, dass sie schreibt wie sie lebt: grell, schnell, schrill. In Jasper hat sie einen idealen Partner gefunden. Sie trinken, werfen Pillen ein, wollen Spaß haben. Bloß nicht spießig sein, immer cool und hip. Bei der Hochzeit ihrer Schwester gerät erst das Fest aus den Fugen – dann Gwen. Nachdem sie betrunken in die Hochzeitstorte gefallen ist, setzt sie sich ins Auto, um eine neue zu besorgen. Die verwegene Fahrt endet im Vorgarten eines schmucken Hauses, wobei Gwen auch noch einen Gartenzwerg ummäht. Der hätte ebenso ein vierjähriges Kind sein können, wie das Gericht ausführt. Gwens spöttischer Kommentar: "Es war aber nur ein vierjähriger Gartenzwerg." Sie hat die Wahl: Gefängnis oder Zwangstherapie. Also begibt sie sich widerwillig in die Klinik. Den dort herrschenden Regeln und Riten verweigert sie sich, findet absurd, was da abläuft, vor allem die fröhlichen Gesänge, die die Schönheit eines Lebens ohne Alkohol und Drogen preisen. Wie jeder Suchtkranke ist auch sie der Meinung, nicht abhängig zu sein und jederzeit damit aufhören zu können. Bis ihr Körper etwas anderes zeigt. Jasper schmuggelt den heiß begehrten Stoff in die Klinik. Das kommt raus, Gwen droht die Überweisung ins Gefängnis.

Erst jetzt begreift sie, dass es um ihr Leben geht. Fortan nimmt sie an den Gruppensitzungen teil und erfüllt Pflichten. Zum obligatorischen Familiengespräch reist die Schwester an – und verzeiht nichts. Die zweite Begegnung ist für beide folgenreich: Sind sie doch beide Opfer, beide gleichermaßen von dem Leben mit einer alkoholabhängigen Mutter geprägt. Wenn auch auf gegensätzliche Weise.

Nur 28 Tage ist Gwen in der Klinik und doch geht eine große Veränderung in ihr vor. Sie denkt über ihr Leben nach, über ihre Beziehung zu Jasper, der gar nicht einsehen will, dass sich etwas ändern muss. Er liebt Gwen, weil sie ist wie sie ist, ein wildes Mädchen, das auf alle Konventionen pfeift. In der Klinik trifft Gwen das Baseball-Idol – ein Mann, zu dem sie sich hingezogen fühlt. Beide sind geschädigt, beide wagen es nicht, ihre Gefühle füreinander auszusprechen. Trauen sich nicht zu, einander lieben zu können. Beim Abschied bietet er Gwen seine Freundschaft und warnt vor Jasper, den er als eifersüchtigen Typen bei einem Besuch kennen gelernt hat: "Er ist nicht der Richtige, er ist gefährlich für dich." Das merkt Gwen am ersten Abend in Freiheit und macht das, was die Anonymen Alkoholiker raten: Sie entfernt sich von ihm.

Die amerikanische Regisseurin Betty Thomas erzählt diese Geschichte mit großer Sympathie für ihre Protagonistin und zeigt all die anderen Kranken mit ihren skurrilen Ausformungen. Das ist tragisch und lustig, doch nicht diskriminierend. Eine Gratwanderung, die ihr gelingt. Der psychologische Hintergrund für Gwens Sucht wird in Rückblenden ausgeleuchtet: zwei kleine Mädchen, eine fröhliche Trinkerin, die umfällt und bewusstlos liegen bleibt oder auch total gut drauf mit ihren Töchtern lebensgefährliche Schlittenfahrten unternimmt. Gwen, die Kleine, lacht, die Größere ist ernst und traurig. Ein Beispiel wie aus einem Lehrbuch über die Ursachen der Sucht. Überhaupt ist der Film einfach und klar strukturiert: erst das ausschweifende Leben in vermeintlicher Freiheit, dann die Freiheit im vermeintlichen Therapie-Gefängnis, zum Schluss die Freiheit, die Jasper ihr bietet und die aus der Sicht Gwens – die auch zur Sicht des Zuschauers geworden ist – wie eine Zwangsjacke aussieht. Die Szenen mit der Schwester sind berührend, großes Mitgefühl entsteht. Andere schliddern am Kitsch vorbei. Aber alles in allem ist "28 Tage" ein Plädoyer für ein Leben ohne Alkohol und Drogen. Mit Sandra Bullock ("Speed", "Während du schliefst") als Gwen hat Betty Thomas eine überzeugende Hauptdarstellerin gefunden. Ihr glaubt man das Exzessive genauso wie die Verzweiflung und die Kraft, ihr Leben in den Griff zu bekommen.

Gudrun Lukasz-Aden

 

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Ausgabe 82-2/2000

 

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