(Interview zum Film BESCHKEMPIR)
Mit "Beschkempir", einer autobiografisch geprägten Studie über den schmerzhaften Abschied von der Kindheit, ist dem kirgisischen Regisseur Aktan Abdikalow ein viel gelobtes Debüt gelungen. Die französisch-kirgisische Koproduktion wurde auf dem Filmfestival von Locarno 1998 mit dem Silbernen Leoparden und im gleichen Jahr auf dem Filmfestival in Cottbus mit dem Hauptpreis ausgezeichnet. In einer asketischen Bildsprache, die in ihrer Reduktion aufs Wesentliche an Robert Bresson und den frühen François Truffaut erinnert, schildert der 1957 geborene Filmemacher die Erkundungszüge eines Jungen und seiner Freunde. Die kontrastreichen Schwarz-Weiß-Bilder der poetischen Erzählung werden jedoch durch den behutsamen Einsatz farbiger Sequenzen überhöht, die in der Regel dramatische Höhepunkte hervorheben, so etwa die tastende Unsicherheit der ersten erotischen Empfindungen. Über die poetischen Aufnahmen einer archaisch anmutenden Landschaft hinaus fasziniert vor allem, wie der junge Hauptdarsteller, Abdikalikows Sohn Mirlan, den Entwicklungssprung vom unbekümmerten Knaben zum ernsthaften Familienvorstand darzustellen versteht. Inzwischen plant der Regisseur eine Fortschreibung des sensiblen Jugendporträts.
KJK: Die Beschreibung des Dorflebens wirkt sehr lebensecht. Beruht der Film auf eigenen Erlebnissen?
Aktan Abdikalikow: "Es ist ein absolut autobiografischer Film. Die dargestellten Gefühle basieren auf Erlebnissen in meiner Kindheit. Aber natürlich ist nicht alles autobiografisch. Das ist nicht nur beim Film, sondern auch bei jeder anderen Kunst so, dass man eine autobiografische Geschichte ergänzt mit erdachten Szenen. In den Film sind auch Erinnerungen und Kinderspiele der Team-Mitglieder eingeflossen. Es stimmt jedoch, dass die Grundemotionen des Films meine eigenen Erlebnisse sind. Wie der Filmheld bin auch ich ein Adoptivsohn."
Einen großen Teil seiner Wirkung verdankt der Film dem jungen Hauptdarsteller. In Kirgisien gibt es ja sicher keine Agenturen für Kinderdarsteller. Wie haben Sie den kleinen Helden gefunden?
"Ganz einfach, es ist mein Sohn Mirlan. Er hat großes Vertrauen zu mir, wahrscheinlich kommt es daher, dass er sich so frei bewegen konnte vor der Kamera. Grundsätzlich arbeite ich auch sonst nicht mit professionellen Schauspielern, sondern mit Bekannten. Ich mache autobiografische Filme und lege großen Wert auf die Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit der Geschichte. Schon beim Schreiben des Drehbuchs hatte ich an Mirlan gedacht, weil ich auch von der Gefühlsebene her mit ihm auf der gleichen Ebene stehe."
Hat er denn schon vorher gedreht?
"Ja, er hat in meinem Kurzspielfilm 'Karussell' mitgespielt. Das war ein 48-Minuten-Film. Da konnte er schon Erfahrungen sammeln mit dem Drehen und wie er vor der Kamera agieren soll."
Für westliche Kinobesucher ist der Wechsel zwischen schwarzweiß und Farbe sehr ungewöhnlich. Warum haben Sie das gemacht?
"Das war eine künstlerische Entscheidung. Schwarzweiß-Aufnahmen haben für mich etwas mit Erinnerung zu tun. Die Farbsequenzen sind auch Erinnerungen, aber ein bisschen erhoben über die Masse der Erinnerungen durch die Gefühlsebene."
Sind die Farbsequenzen also besonders starke Erinnerungen?
"Das stimmt, sie haben eine stärkere Emotionalität. Für mich wird zum Beispiel mein erster Kinobesuch immer farbig sein, obwohl ich den Film schwarzweiß gesehen habe. Und der Vogel, der im Film ins Zimmer hinein fliegt und den der Junge dann das erste Mal in der Hand hält, das ist für mich auch eine farbige Erinnerung."
Ein französischer Journalist hat geschrieben, dass Ihr Film zu einer "Nouvelle Vague des mittelasiatischen Kinos" zählt. Gibt es überhaupt eine solche Nouvelle Vague?
"Das ist nicht nur eine journalistische Konstruktion, sondern es gibt tatsächlich so etwas bei uns in den zentralasiatischen Ländern. In Kirgisien bin ich leider der Einzige, der sich in dieser Richtung entwickelt. Aber in Kasachstan ist das mehr der Fall, da ist auch dieser Begriff 'Nouvelle Vague' gebräuchlich. Da gibt es mehrere Regisseure, deren Namen immer wieder auftauchen."
Sehen Sie sich als Mitglied dieser Gruppierung?
"Mein Land erlebt zwar zurzeit einen Filmaufschwung, ich würde mich aber nicht zu dieser Nouvelle Vague-Gruppe zählen. Es gibt natürlich Ähnlichkeiten. Aber ich würde das nicht so interpretieren, dass es die Fortsetzung der französischen Nouvelle Vague der 60er-Jahre ist. Zwischen den einzelnen Ländern bestehen auch deutliche Unterschiede. Kasachische Filme sind zum Beispiel eher orientalische Filme, während kirgisische Filme sich eher am Westen orientieren."
Hätten Sie den Film ohne die Unterstützung Frankreichs drehen können?
"Nein. Der Film wäre ohne die französische Beteiligung nie entstanden. Leider ist das die Realität – wir sind zu sehr von Geld abhängig. Kirgisien ist ein kleines Land, das nicht viel Geld für das Filmwesen bereitstellen kann. Deswegen sind wir angewiesen auf ausländische Partner."
"Beschkempir" ist ja auf vielen internationalen Festivals gezeigt worden. Haben Sie denn außer für Deutschland auch Verleihe in anderen europäischen Ländern gefunden?
"Wir bemühen uns weiter darum. In Frankreich, den Niederlanden, der Schweiz und Belgien ist der Film schon im Kino gelaufen. Dann gibt es ein Verleihangebot aus Italien. Zu meinem Erstaunen hat es sich ergeben, dass die Nachfrage nach meinem Film ziemlich groß ist. Ich wollte es zunächst nicht glauben, dass der Film im Ausland überhaupt einen Verleih findet. Ich habe auch beim Drehen nicht daran gedacht, weil unsere Filme Autorenfilme sind, die nur auf regionales Interesse stoßen."
Arbeiten Sie schon an einem neuen Projekt?
"Vor 'Beschkempir' habe ich den Film 'Karussell' gedreht, der auch autobiografisch war und auf meinen Kindheitserinnerungen beruht. Mein Vorhaben ist eine Trilogie zu machen, um die Sache abzuschließen. Ich arbeite gerade an einem Drehbuch mit dem Titel 'Affe', es ist eine Geschichte einer etwas reiferen Jugend. Das ist gewissermaßen eine Selbstanalyse. Ich halte es für sehr wichtig, sich selbst verstehen zu können."
Ist der 'Affe' wörtlich oder metaphorisch gemeint?
"Es geht um einen unschönen Jungen, der sich hässlich findet, aber schön sein möchte."
Wollen Sie wieder mit französischen Produzenten kooperieren?
"Ja, es soll wieder eine Koproduktion mit Frankreich werden, mit den gleichen Produzenten wie bei 'Beschkempir'. Die Zusammenarbeit hat funktioniert und gute Ergebnisse hervorgebracht. Wenn alles glatt geht, können die Dreharbeiten im Sommer in Kirgisien beginnen."
Interview: Reinhard Kleber
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