(Interview zum Film PÜNKTCHEN UND ANTON – 1998)
KJK: Wie sind Sie auf Caroline Link gekommen?
Uschi Reich: "Ich war damals in der Jury zur Vergabe des Bayerischen Filmpreises, sah 'Jenseits der Stille', erzählte danach Peter Zenk, ebenfalls Produzent bei der Bavaria, wie gut mir der Film gefallen hat mit seiner Wärme und Menschlichkeit und dass Caroline Link die ideale Kästner-Regisseurin wäre. Mir ist ihr Film nahe gegangen, allein die Auseinandersetzung mit dem Vater, das starke Abhängigkeitsverhältnis – ein Vater, der seine Tochter nicht loslässt, nur über den großen Konflikt, und dann am Ende doch den Schritt auf sie zumacht, das hat mich tief bewegt. Vielleicht deshalb, weil mein Vater nicht so ist. Außerdem fand ich, dass Caroline Link sehr gut mit dem Kind im Film umgegangen ist. Wir trafen sie und trugen ihr unser neues Projekt an. Jetzt empfinde ich unsere Entscheidung als sehr glücklich, weil Caroline Link eine große Humanität hat, wie Erich Kästner. In der Adaption sind ihr wirklich große Momente gelungen."
Wie waren die Dreharbeiten – es ist ja nicht so einfach, mit Kindern zu arbeiten, schon wegen der zeitlichen Einschränkungen?
"Obwohl 'Pünktchen und Anton' ein großer Film ist, an dem wir lange arbeiten mussten, war es meine entspannteste Produktion seit Jahren. Das Team war rund, ein Grundverständnis von Wärme hielt alles zusammen."
Waren die Eltern von Elea Geissler (Pünktchen) und Max Felder (Anton) mit am Drehort?
"Ja, die Eltern waren häufig dabei, aber auf dem Set nicht. Sonst fühlen sich die Kinder nicht frei. Elea ist ein Sonnenschein, es ist eine Freude mit ihr. Nach den Dreharbeiten ließ sie sich ihre Haare schneiden und trägt sie auch wieder glatt. Sie hat sich seitdem verändert, einen richtigen Schub in Richtung Erwachsenwerden gemacht. Wenn der Film im März Premiere hat, kommt viel auf sie zu, kommt sie wieder in die Pünktchen-Phase. Aber für sie ist das kein Problem, weil auf dem Gymnasium seit Herbst sowieso ein neues Leben begonnen hat."
Wie gefällt der Film den jungen Hauptdarstellern?
"Sie haben ihn noch nicht gesehen. Das wird ein unglaubliches Erlebnis für sie werden. Auch für die Eltern ist es bewegend, ihr Kind auf der Leinwand agieren zu sehen."
Der frühe Zeitpunkt für die Verhandlungen mit Caroline Link war sicher günstig, da die Regisseurin mit ihrem Spielfilmdebüt "Jenseits der Stille" noch nicht für den Oscar nominiert und damit in die Schlagzeilen geraten war. Wie gut, dass die inzwischen in der Filmwelt bekannt gewordene Regisseurin sich für einen Kinderfilm entschieden hat ...
"Auch für sie war es gut, diesen Film zu machen, eine Literaturverfilmung zwar und doch hat sie wieder etwas Eigenes geschaffen, einen echten Caroline-Link-Film. Es gibt eben Filme, die haben die Gnade, und andere haben sie nicht. Das war auch klug geplant von ihr für die Zukunft. Caroline Link hat eine Nähe zu Menschen, mag Menschen. Manche Regisseure sind so egozentrisch und egomanisch, dass sie außerhalb ihres Universums nichts wahrnehmen. Die Drehbucharbeit war relativ einfach. Es gab früh ein gutes Gerüst von ihr, und dann war eigentlich nur die Frage: Wie gestaltet man die Figur von Antons Mutter – diese Frage hat uns mit am längsten beschäftigt."
In der Kästner-Vorlage ist Antons Mutter eine Leidende mit Vorwurfshaltung. Besonders krass hierfür ist die Szene im Buch, als Anton vor lauter Arbeit den Geburtstag seiner Mutter vergessen hat und sie ihn deshalb mit Liebesentzug straft. Bei Caroline Link ist Antons Mutter eine Alleinerziehende, zwar auch krank, aber doch vital und kreativ, eine Frau mit Herz und Verstand. Wie kommt der Film mit all seinen Veränderungen bei Kindern an?
"In der ersten internen 'Pünktchen und Anton'-Vorführung mit Kindern Anfang Dezember 98 kam der Film total gut an, sie haben getobt und gelacht. Interessant für uns war, dass die Elternfiguren gleichermaßen gut wegkamen, auch Frau Pogge in ihrer anfänglichen Zickigkeit. Ich glaube, dieses Muster ist Kindern vertraut, eine Mutter, die oft abwesend ist und Eigenes tut. Erst später in der Pubertät wissen die Kinder eine Mutter zu schätzen, die ihnen nicht dauernd hinterher kontrolliert."
Wie reagieren die Kästner-Nachlassverwalter auf den neuen Film?
"Peter Zenk von Lunaris hatte bei dem ersten Remake von Vilsmaier ('Charlie und Louise – Das doppelte Lottchen') noch mit Rechtsanwalt Dr. Konstantin verhandelt. Jetzt ist ein anderer zuständig, der sich mit Kästners Sohn kurzschließt, jener uneheliche Sohn, den Kästner übrigens viele Jahre verheimlicht hatte. Peter Zenk hatte einst alle Rechte gekauft. 'Pünktchen und Anton' haben die Erben noch nicht gesehen. Wir möchten ihnen den Film erst nach der Mischung zeigen. Das Drehbuch von Caroline Link gefiel ihnen von Anfang an, sie waren davon sehr angetan."
Hätten Sie es ändern müssen, wenn Einwände gekommen wären?
"Nein, die Erben müssen nicht zustimmen, aber es ist angenehmer, im guten Einverständnis mit ihnen zu leben. Wir möchten ja auch zum 100. Geburtstag etwas Gutes von Kästner präsentieren und seinen Geist erhalten."
Caroline Link hat den Entwurf gebracht, das Drehbuch mehrmals umgeschrieben – wer hat das Sagen, die Produzenten Uschi Reich und Peter Zenk?
"Im Prinzip die Produzenten. Aber wir waren sehr zurückhaltend – alle waren zurückhaltend. Man wollte Caroline Link auch ihren Film machen lassen. Ich hätte es falsch gefunden, sie in eine Richtung zu lenken. Wenn man spürt, dass Kreativität und Phantasie vorhanden sind, muss man als Produzent die Basis schaffen, dass sich beides gut entfalten kann."
Haben Sie eine besondere Affinität zu Erich Kästner?
"Als Kind habe ich Kästner geliebt und die moralischen Fingerzeige überblättert. Ich wollte einfach die Geschichte weiterlesen. Mich fasziniert an Kästner, dass er neben seiner moralischen Seite einen solchen Spaß hat und sagt: Lacht, dass euch vor Lachen der Bauch weh tut, erinnert euch an eure Kindheit. 'Das fliegende Klassenzimmer' ist mein Lieblingsbuch, ich habe es etwa dreißig Mal gelesen und fand es wunderschön."
Man darf gespannt sein auf das Remake vom 'Fliegenden Klassenzimmer' und auch auf den neuen 'Emil und die Detektive', zwei Projekte, die anstehen – ein schwieriges Unterfangen?
"Emil wird einfacher, denn die Geschichte ist greifbar, ein Kriminalfall mit Struktur. Es ist nachvollziehbar: Ein Kind vom Land kommt in die Metropole Berlin. Das allein schon ist ein Abenteuer. Der Stoff gehört nach Berlin. Daran wird nichts geändert. Allerdings lassen wir Emil von ein bisschen weiter her anreisen. Vielleicht kommt er etwas weiter aus dem Osten."
Wann beginnen die Dreharbeiten, gibt es Produktionstermine?
"'Emil' ist als nächste Kästner-Verfilmung geplant. Wir machen es aber nur dann, wenn wir ein wirklich gutes Drehbuch zusammen haben. Es geht nicht um Verfilmung um jeden Preis. Ich bin ganz ruhig, Kontakte sind hergestellt, Namen kann ich aber noch nicht nennen. Film ist ja ein Medium, wo man Lebenserfahrung braucht. Der Wille zum Erzählen muss vorhanden sein. Und wenn ich noch nichts erlebt habe, kann ich nichts erzählen. Kästner hatte Lebenserfahrung. Ich muss auch sagen, dass meine zwei Jahre bei Constantin Film (1995-1997 als Produzentin der 50er-Jahre-Remakes 'Die Halbstarken', 'Das Mädchen Rosemarie', 'Es geschah am helllichten Tag') eine wirklich gute Schule für mich waren, mit einer gewissen Kompromisslosigkeit an die Dinge heranzugehen. Unsere Vorstellung ist es, 'Emil und die Detektive' in diesem Jahr zu realisieren und 'Das fliegende Klassenzimmer' ein Jahr später. Aber Projekte haben ihre eigene Dynamik. Man soll nicht drängen, sondern es selbst entstehen lassen. Ebenso wichtig ist ja ein guter Regisseur. Wir wissen, dass wir mit diesen beiden Projekten einen Schatz in der Hand halten und viele Lust haben, daran mitzuarbeiten. Es werden die richtigen Leute zusammenkommen. Dann wird man reden, etwas ausprobieren. Und wenn das fliegende Klassenzimmer eher funktioniert als Emil, dann wird es eben umgekehrt realisiert."
Gute Voraussetzungen zum Filmemachen, ein kluges Vorgehen – unter Produzenten nicht gerade üblich?
"Ich habe einmal etwas unter Druck drehen lassen, das möchte ich nicht wieder. Bei Fernsehproduktionen ist es noch mal etwas anderes. Da hat man einen Plan und sieht zu, dass man alles auf die Reihe kriegt. Aber bei Spielfilmen hat man eine andere Verantwortung. Da geht es auch um mehr Geld. 'Pünktchen und Anton' zum Beispiel hat 7,5 Millionen Mark gekostet (BMI, FFF, FFA) und 'Emil' wird teurer. Ich denke, dass Anspruch und Erfolg einander nicht ausschließen, dass die Intelligenz des Publikums wächst. Die Schüler heutzutage sind gut ausgebildet. 'Der englische Patient' zum Beispiel, ein Film, dem man wenige Erfolgschancen gegeben hat, oder 'Die Truman Show', ein intelligentes Kunstprodukt mit komplizierten Erzählstrukturen – sie werden verstanden, weil junge Menschen mit den neuen Medien anders aufwachsen. Star-Namen allein sind kein Garant mehr für Erfolg in den USA. Es geht wieder um Inhalte und Erzählstrukturen. Mir ist es recht."
Mit Uschi Reich sprachen Gudrun Lukasz-Aden / Christel Strobel
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