Produktion: Rasanee-e Ama, Mohammad Mehdi Dadgo, Heidar Ali Omrani; Iran 1992/98 – Regie und Buch: Abolfazl Jalili – Kamera: Ataollah Hayati – Schnitt: Abolfazl Jalili – Musik / Ton: Nesamaddin Kia'ie – Darsteller: Mahmud Khosrawi, Limua Mahabadi u. a.- Länge: 88 / 73 Min. – Farbe – z. Zt. noch kein Verleih – Altersempfehlung: ab 12 J.
Der 1957 geborene Abolfazl Jalili zählt im Iran seit den späten 80er-Jahren zu den bedeutendsten Filmautoren. Im Gegensatz zu etlichen seiner Kollegen und Kolleginnen ist Jalili im Ausland so gut wie unbekannt geblieben. Das liegt sicher auch daran, dass mehrere seiner Filme über Jahre hinweg nicht freigegeben wurden. Dazu zählt "Der Tanz des Sandes", 1992 fertig gestellt, indes erst am Filmfestival von Locarno 1998 international uraufgeführt.
Knapp fünf Jahre vor der Islamischen Revolution begann Jalili mit Super-8-Filmen. Ab 1979 drehte er fürs iranische Fernsehen Dokumentarfilme, 1987 folgte der Spielfilm "Gal" ("Die Krätze"), der Jalilis Fähigkeiten als Regisseur wie auch seine sensible Aufmerksamkeit für Geschichten über wortarme Unterprivilegierte belegt. "Die Krätze" zeichnet den Alltag eines straffälligen Jugendlichen, der sich den Regeln in der Besserungsanstalt fügt, im Strafprozess aber unbeugsam bleibt.
Klare Positionen bezog Jalili auch in seinen weiteren Spielfilmen: "Det yani dochtar" ("Det heisst Mädchen", 1994) verknüpft die Geschichte eines gelähmten Mädchens mit einer Zustandsbeschreibung der iranischen Republik. In "Yek dastan-e Waghe'i" ("Eine wahre Geschichte", 1996) erkennt ein Filmregisseur die Alltagssorgen eines Kindes, das er für seinen Film ausgewählt hat. Und "Dan" erzählt von einem Kind, das Arbeit sucht, aber erfolglos bleibt, weil es keinen Geburtsschein vorweisen kann.
Am Ende der Kindheit steht der elfjährige Llia in Jalilis "Tanz des Sandes". Er arbeitet in einem ländlichen Betrieb, wo von Hand und ohne Dach über dem Kopf Lehmziegel geformt und gebrannt werden. Seine ganze Aufmerksamkeit gilt Limua, einem gleichaltrigen Mädchen, das sich zusammen mit seiner Mutter als Saisonarbeiterin durchs Leben schlägt. In kleinen Schritten nähern sich Llia und Limua, suchen und finden eigene Formen von Kommunikation und hinterlassen Zeichen und Spuren. Der einsetzende Regen bedeutet das Ende der Jahreszeit der Lehmziegelherstellung. Limua und ihre Mutter ziehen weiter.
Abolfazl Jalili legt keine dramatisierte Geschichte vor, sondern erzählt in Episoden, die Momente im Leben der beiden Hauptfiguren einfangen. "Tanz des Sandes" ist ein ausgesprochen visueller Film, in dem es keine Hierarchie zwischen der Handlung und dem Raum im Hintergrund gibt. In jeder Einstellung fügen sich die Menschen, die Räume und die Töne zu homogenen Kompositionen, die das Lebensgefühl skizzieren. "Die Idee, dass es immer eine Melodie des Windes gibt, die ich höre und empfinde, begleitet mich seit jeher", umschreibt Jalili seine Suche als Filmautor: "Diese Melodie tut mir weh. Ein Schmerz, der mich zum Verstummen bringt, der mir manchmal aber auch eine solche Freude bereitet, dass ich zu rennen beginne, um den Wind zu verfolgen." In "Tanz des Sandes" haben die Geräusche des Windes und der Elemente jenen Platz eingenommen, die in Kinofilmen den Dialogen, den Worten zufällt. Hier wird nicht argumentiert und erklärt, sondern in farbenreichen Tönen und in klingenden Farben audiovisuelle Lyrik komponiert.
Atemberaubend, wie Abolfazl Jalili sein minimalistisches Handlungsgerüst in Bilder fasst, die dokumentarische Authentizität erreichen. Diese Bilder der rudimentären Steppenlandschaft erinnern manchmal etwas sehr an die Meisterwerke "Dawandee" ("Der Läufer") und "Ab, bad, chak" ("Wasser, Wind, Sand"), die Amir Naderi vor seiner Emigration in die USA drehte.
Wie bei Naderi und seinem Kameramann Reza Pakzad funktionieren die Bilder von Jalilis Kameramann Ataollah Hayati stets auf zwei Ebenen: Sie sind einerseits erzählende Abbilder einer Realität, andererseits sind sie Bild gewordenes Lebensgefühl. Und sie geben der simplen Geschichte Tiefe, etwa wenn das konkrete Geschehen zusammenfällt mit islamisch-persischen Symbolen wie jenes der weiblichen Hand. So drückt Limua ihre Hand in einen noch feuchten Lehmziegel und lässt ihren Handabdruck als Geste und Geschenk zurück. Das visuelle Zeichen verweist auf die in anderer Gestalt mehrmals im Film auftauchende Hand Fatimas, der Tochter des Religionsstifters Mohamed, die den von den Schiiten verehrten Ali heiratete und deren Abkömmlinge zu den ersten Imams zählen.
Abolfazl Jalili rückt Armut, Kinderarbeit und die nicht erfüllte Hoffnung an die Religion ins Bild. Das zentrale Thema aber bleibt der Weg hin zu Mündigkeit, die Suche nach der eigenen Identität. Und dies inmitten einer aus verschiedenen Ethnien zusammengewürfelten Gemeinschaft von Arbeitern und Arbeiterinnen. Jeden und jede von ihnen lässt Jalili eine andere Sprache oder einen anderen Dialekt sprechen und eine andere Alltagskultur leben. Und in diesem bunten Nebeneinander taucht als Leitmotiv nicht die Religion als Ganzes, sondern ihr weiblicher Anteil auf. Haben die Zensoren daran Anstoß genommen?
Robert Richter
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