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Ausgabe 89-1/2002

NICHTS BEREUEN

Produktion: Filmakademie Baden-Württemberg / Arri / WDR; Deutschland 2001 – Regie: Benjamin Quabeck – Drehbuch: Hendrik Hölzemann, nach einem Roman von Benjamin Quabeck – Kamera: David Schultz – Schnitt: Tobias Haas – Musik: Lee Buddah – Darsteller: Daniel Brühl (Daniel), Dennis Moschitto (Dennis), Jessica Schwarz (Luca), Marie-Lou Sellem (Schwester Anna) u. a. – Laufzeit: 104 Min. – Farbe – FSK: ab 12 – Verleih: Ottfilm über UIP (35mm) – Altersempfehlung: ab 14 J.

Daniel ist 19, hat sein Abi geschafft und kommt fröhlich aus dem Urlaub mit seinem besten Kumpel Dennis zurück. Doch zu Hause hat sich nichts verändert. Die von ihm angebetete Luca gibt sich ihm nur in seinen Träumen hin und sein Vater hat seine glorreiche Zukunft bereits geregelt: Zivildienst in einer Kirche. Doch Daniel ödet das an und als er sich aus Liebe zu Luca in der Kirche kreuzigen lässt, bekommt er seine Liebste zwar nicht – die ist nämlich inzwischen in die USA gereist – aber er wird dafür endlich den Job los und findet einen neuen bei einem mobilen Altenpflegedienst. Dort trifft er nicht nur seltsame Alte. Vor allem die traurige Schwester Anna hat es ihm angetan: Sie ist der Traum aller Jungs. Älter und erfahrener und nicht abgeneigt, mit der "Jungfrau" Daniel ins Bett zu gehen. Doch dann kehrt Luca zurück. Er versetzt seine Anna, muss jedoch erkennen, dass er bei Luca nie landen wird und steigt mit einer ins Bett, die ihn schon lange will. Aber für ihn ist es nur ein schaler Abklatsch und er lässt sie liegen. Auch im Beruf geht einiges schief. Am Ende steht er allein da, doch an Erfahrungen reicher und vielleicht auch ein wenig gereift. Und er weiß: Es gibt nichts zu bereuen.

Authentische Jugendfilme sind selten in diesem Lande. Umso erstaunlicher kommt diese Abschlussarbeit daher. Keine Mätzchen, wie man sie allzu oft bei studentischen Arbeiten sieht, kein falscher Ton und zudem noch eine Menge (Selbst-)Ironie prägen das Porträt eines Jungen zwischen Kind und Mann. Und das alles in einer ausgereiften Inszenierung, die den Zuschauer auch schon mal an der Nase rumführt: So etwa bei der Sexszene zwischen Luca und Daniel, die sich erst im Nachhinein als Wunschvorstellung unseres Helden entpuppt. Zudem überzeugt Quabecks Film auch durch Bilder, die eben nicht besseres TV sind, sondern Kino. Der junge Filmemacher vertraut auf die Kraft seiner Bilder, zeigt die Gefühle der Figuren in Bildern anstatt sie in Dialogen erzählen zu lassen. Dankbar registriert man auch, dass dieser Film eben nicht in den Scheinwelten der Werbe- und/oder Medienfuzzis von Berlin, Hamburg oder München spielt, sondern unter echten Menschen in der Provinz; nämlich in Wuppertal. In zuweilen recht düsteren Bildern schildert Quabeck Alltag in Deutschland ohne dabei in Gejammer zu verfallen. Und auch wenn die ersten zwanzig Minuten etwas zäh und hölzern gespielt sind, gewinnt der Film danach deutlich an Fahrt, die Darsteller wirken natürlicher und auch Daniels anfänglich etwas nervige On-Camera-Kommentare werden zurückgenommen, gewinnen an Griffigkeit und geben dem Film eine angenehm selbstironische Note.

Quabeck beweist ein sicheres Gespür für die Seelenlage seiner Figuren und findet dafür zuweilen recht witzige und dann wieder eher traurige Bilder. Dabei fängt er die Männerfreundschaft zwischen Dennis und Daniel so stilsicher ein wie ihm etwas durchaus Seltenes gelingt: Gute Sexszenen. Denn wenn Daniel und Anna es in der Schwebebahn vor den Augen des Kontrolleurs miteinander treiben, dann ist das ebenso komisch wie auch erotisch um nicht zu sagen geil.

Das Ergebnis ist ein Film zwischen jugendlichem Überschwang und Weltschmerz, ganz wie sich seine Figuren eben fühlen. Deutsches Kino, das etwas aus der Wirklichkeit erzählt, ohne den Zeigefinger zu heben und das vor allem eines macht: Spaß. Ein Film für "alle, die schon mal mit dem Erwachsenwerden in Berührung gekommen sind. Sowohl diejenigen, die meinen es bereits überstanden zu haben, als auch diejenigen, die meinen, dass sie es nie überstehen werden." Da hat ein Presseheft ausnahmsweise mal den Film auf den Punkt gebracht.

PS: Auf keinen Fall rausgehen, bevor der Film zu Ende ist. Denn hier erfahren wir, wer eigentlich die ganze Arbeit gemacht hat: Daniel natürlich.

Lutz Gräfe

 

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Ausgabe 89-1/2002

 

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