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Ausgabe 89-1/2002

"Die kleinen Momente sind für mich das, was die große Geschichte ausmacht"

Gespräch mit Caroline Link

(Interview zum Film NIRGENDWO IN AFRIKA)

Großes episches Erzählkino ist der Münchner Regisseurin und Autorin Caroline Link gelungen mit der Verfilmung von Stefanie Zweigs Bestseller "Nirgendwo in Afrika". Nach ihrem fulminanten, Oscar-nominierten Debüt "Jenseits der Stille" über eine junge Klarinettistin, die sich aus der Welt ihrer taubstummen Eltern emanzipiert, und der Kästner-Verfilmung "Pünktchen und Anton" erzählt sie jetzt vom Schicksal einer deutsch-jüdischen Familie, die 1938 ins Exil nach Afrika geht.

KJK: Wie haben Sie es geschafft, den großen Erzähl-Bogen der ereignisreichen und komplexen Handlung zu spannen und bis zum Schluss emotional zu halten?
Caroline Link: "Die kleinen Momente sind für mich das, was die große Geschichte ausmacht. Schon in der Vorarbeit, bei den Recherchen für einen Film, interessieren mich immer die kleinen Ereignisse. Auch wenn ich Filme sehe, sind es immer die Nebenhandlungen, die für mich die Faszination ausmachen. Bei 'Nirgendwo in Afrika' wusste ich, dass der Film anfängt, wenn sie aus Deutschland weggehen, und endet, wenn sie wieder nach Hause kommen, was ja kein Zuhause mehr ist, aber sie kehren nach Deutschland zurück. Dazwischen liegen viele kleine Geschichten, die zusammenwirken."

Das Verhältnis Kinder und Eltern war Thema Ihrer beiden ersten Filme. "Nirgendwo in Afrika" hat ebenfalls die Konstellation Vater, Mutter, kleine Tochter, doch Sie konzentrieren sich diesmal mehr auf Szenen einer Ehe.
"Ich wollte nicht mehr von Kindern als Schlüssel zur Weisheit erzählen und hatte auch das Bedürfnis, aus meiner eigenen Lebenssituation heraus etwas einfließen zu lassen. Als Autorin machte ich mir Gedanken darüber, wie man es schafft, eine Beziehung zu retten über eine lange Zeit und immer wieder neue Ansatzpunkte zu finden. Mich interessierte außerdem, wie sich eine bestimmte Lebenssituation auf die Liebe auswirkt: Dass man sich unter guten, fröhlichen, entspannten Umständen durchaus lieben kann. Doch unter Druck in Krisenmomenten, wenn der andere kein Held mehr ist oder keine Heldin – wo bleibt dann die Liebe? Auch: Was hat Liebe mit Respekt zu tun, mit Achtung? Und wo geht sie hin, wenn die Achtung verloren ist? Das fand ich spannender als diese Kindheit in Kenia zu beschreiben, wie es Stefanie Zweig in ihrem Buch tut, weil es schließlich ihre eigene Geschichte ist."

Was sagt Stefanie Zweig zu Ihrem Film?
"Sie mag ihn sehr. Und sie akzeptiert meine Änderungen gegenüber ihrem Buch. Sie respektiert den Unterschied – das eine ist ein Buch, das andere ein Film. Für mich und uns alle, die wir den Film gemacht haben, war es eine große Erleichterung, als sie nach der Vorführung so positiv urteilte."

Sie haben vor Ort in Kenia gedreht und ersparen uns erfreulicherweise die sonst üblichen und längst überstrapazierten tierischen Safari-Bilder und goldenen Sonnenuntergänge.
"Kameramann Gernot Roll und ich haben uns lange vor Drehbeginn getroffen und ich habe ihm mein Konzept erklärt, Afrika unspektakulär zu zeigen, weil ich eine andere Qualität herstellen wollte: die der Wahrhaftigkeit. Diese Flüchtlingsgeschichte hat nämlich nichts zu tun mit dem kolonialen Blick auf Afrika. Diese Emigranten haben eine ganz andere Not erlebt als ein britisches Millionärspaar oder ein Baron, der sich mal zum Zeitvertreib eine Kaffeeplantage kauft."

Die ersten Bilder von Afrika in Ihrem Film wirken auch für den Zuschauer fremd, er kann das Fremdsein der Flüchtlingsfamilie mit vollziehen. Im Laufe der Handlung aber wird die Landschaft vertrauter.
"Wenn uns das gelungen ist, finde ich das prima. Wir haben versucht, das Lebensgefühl auch visuell spürbar zu machen. Wir wollten, dass beispielsweise das Heuschrecken-Essen dann gar nicht mehr so exotisch ist. Natürlich braucht man auch dafür Zeit – doch ich glaube, es gibt ein Publikum für emotionale große Dramen, es muss nicht alles clippig schnell sein. Ich denke, eins hat neben dem anderen Platz im Kino – die Story muss halt gut sein und die Leute interessieren."

Eigentlich erzählt Ihr Film die Geschichte, die beginnt, wenn in anderen Filmen üblicherweise das Wort Ende auf der Leinwand erscheint.
"Das ist halt keine sehr romantische Story, die Liebesgeschichte zwischen den Beiden, eine Ehe eben, kein erster Kuss. Ich finde es spannend, wie man das in der Realität am besten hinkriegt. Die romantische Liebe, der erste Kuss, so schön das ist, ist ja nicht wirklich das, womit wir uns auseinander setzen. Man empfindet in langen Beziehungsgeschichten ja immer wieder Glücksmomente ebenso wie Momente, in denen man weit auseinander ist, sich aber auch wieder nähert. Ich finde, es ist nicht weniger romantisch, wenn man mit jemandem, mit dem man schon lange zusammen ist, auf einmal in einzelnen kleinen Momenten, in denen man gar nicht damit rechnet, beobachtet und denkt: das ist der Mann, den ich liebe, mit dem bin ich zusammen und da bin ich eigentlich glücklich. So wie die Jettel auf diesem Maisfeld sieht, wie Walter wieder zurückgekommen ist und kämpft, sich bemüht und einsetzt für seine Familie und für das, wofür sie jahrelang gearbeitet haben. In diesem Moment sieht sie, dass sie ihn liebt und nicht verlieren möchte. Das ist, glaube ich, nicht nur ein Kino-Klischee."

Wie haben Sie es gegenüber Produktion und Verleih geschafft, Untertitel durchzusetzen für die Szenen im Film, in denen Kisuaheli gesprochen wird? Dadurch, dass hier nicht synchronisiert wurde, wirkt die Atmosphäre, die ganze Stimmung, die Situation der Emigranten viel authentischer.
"Ich hatte ja schon gute Erfahrungen mit Untertiteln bei 'Jenseits der Stille' gemacht: Wenn die Zuschauer nach der Vorführung gefragt wurden, wie sie denn die Gebärdensprache verstanden hätten, wussten sie gar nicht mehr wie, haben es einfach hingenommen, dass sie die Untertitel gelesen hatten. Mir war es diesmal auch so wichtig, weil das Gefühl für Fremdheit in Afrika auch sehr viel mit Sprache zu tun hat. Genauso mit den Stimmen, die bei den Afrikanern wirklich anders sind als bei den Europäern. Die Annäherung über die Sprache war mir deshalb so wichtig – auch, dass der schwarze Koch Owuor nicht deutsch lernt, sondern auf seiner Sprache beharrt. Dass die Weißen seine Sprache lernen, um mit ihm zu sprechen und nicht umgekehrt. Und dass die Familie weder Englisch, die Sprache der Kolonialherren, noch die Sprache der Afrikaner beherrschte, ist ja ein entscheidender Teil der Geschichte – sie können sich eigentlich mit niemandem unterhalten, nur miteinander."

In Ihren drei bisherigen Spielfilmen geht es mehr oder weniger immer um Familien-Themen. Gibt es da eine gewisse Affinität bei Ihnen?
"Offensichtlich interessiert mich das Thema Familie. Der Dialog zwischen den Generationen ist ein Brunnen, aus dem ich schöpfen kann. Ich habe meine eigene Familie als gute Basis fürs Leben empfunden. Dabei sind wir, die wunderbaren Eltern und die Schwester mit eigener Familie, gar nicht so eine harmonische Familie – wir haben viele Auseinandersetzungen, aber hängen trotzdem alle sehr aneinander. Ich finde, das Leben in so einer Gemeinschaft gibt immer etwas her für Geschichten, es berührt mich, wenn andere darüber schreiben und davon erzählen. Und weil es in dieser Familie Redlich in 'Nirgendwo in Afrika' nicht gerade harmonisch zugeht, interessiert mich deren Geschichte vielleicht besonders."

Mit Caroline Link sprach Frauke Hanck

 

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