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Ausgabe 89-1/2002

"Ich finde private Geschichten einfach spannender zu erzählen"

Gespräch mit Nanni Moretti

(Interview zum Film DAS ZIMMER MEINES SOHNES)

Für "Das Zimmer meines Sohnes", die Geschichte einer Trauerarbeit in einer Familie, bekam Regisseur, Hauptdarsteller, Drehbuch-Koautor und Koproduzent Nanni Moretti die Goldene Palme 2001 in Cannes. Bisher ist dieser von großen Emotionen erzählende besondere Liebesfilm der größte Publikumserfolg des eigensinnigen Italieners.

KJK: Wie schwierig ist es, Emotionen zu filmen, Gefühle darzustellen und zu inszenieren?
Nanni Moretti: "Das Wichtigste ist, den Ton und den Stil der Geschichte festzulegen, sich dafür bereits beim Schreiben des Drehbuchs zu entscheiden. Wenn ich schreibe, denke ich immer auch an die Darstellung und treffe bereits die entsprechenden Entscheidungen. Wenn das Skript dann fertig ist, weiß ich genau, welchen Ton ich für die Erzählung brauche. Das war beim 'Zimmer meines Sohnes' so wie bei meinen früheren Filmen, und doch erlebte ich beim Drehen die Emotionen, den Schmerz und die Trauer so intensiv, dass es für mich eine völlig neue Erfahrung war."

Lieben Sie Psychoanalytiker?
"Giovanni in meinem Film ist Psychoanalytiker, weil es das erste Bild von mir war, das mir einfiel für diesen Film. So wie vor 16 Jahren bei 'Die Messe ist aus', als ich mich als Priester im Talar sah. Von dem Beruf des Psychoanalytikers weiß ich nicht besonders viel, es gibt sicher gute und schlechte wie in jeder Profession. Ich weiß auch nicht, was mit einem Psychoanalytiker passiert nach so einem Schicksalsschlag, wie ihn Giovanni erlebt, der sich daraufhin entscheidet, nicht weiter zu arbeiten. Er kann es nicht, weil er immer wieder an den einen Tag denken muss, an dem er das Unglück hätte verhindern können, wäre er nicht zu einem Patienten gefahren. Es fehlt ihm jetzt die Distanz zu den Leiden jener, die sich ihm hoffnungsvoll anvertrauen und seinen fachlichen Rat erwarten. Übrigens: Ich selbst heiße Giovanni."

Filmemachen ist für Sie eine sehr persönliche Sache?
"Alle Geschichten, die ich in meinen Filmen erzählt habe, sind sehr persönlich, haben mehr oder weniger indirekt mit mir zu tun. Nur einmal habe ich direkt über Politik gesprochen, in 'Wasserball und Kommunismus', aber auch nicht frontal realistisch, sondern durch eine Wasserball-Partie. Ich finde private Geschichten einfach spannender zu erzählen, und in dem Sinne können sie auch politisch sein. Denn ich finde, ein politischer Film sollte vor allem Zeugnis ablegen und nicht versuchen, die Gedanken der Menschen agitatorisch zu verändern. Sicher, ich habe vor sieben Jahren Spots gegen Berlusconi gedreht, aber sie können nicht die Aufgaben der politischen Opposition übernehmen – das müssen jetzt vor allem linke Politiker tun, Demokraten und alle Richtungen. Regisseure sollten Filme machen."

Ihre Filmaktivitäten gehen weit über die Tätigkeit eines Regisseurs hinaus. Sie haben ein Kino in Roms lebendigstem Stadtteil Trastevere, das "Nuovo Sacher", und mit Angelo Barbagallo zusammen die Produktionsfirma Sacher Film. Kürzlich haben Sie in Venedig ein Programm von sieben Kurzfilmen verschiedener italienischer Filmemacher präsentiert unter dem Titel "I Diari della Sacher".
"Die Arbeit mit jungen unabhängigen Filmemachern gefällt mir. Ich denke, man sollte ihnen Chancen geben, wenn man kann. Schließlich kann man dabei auch Entdeckungen machen."

Veranstalten Sie noch jährlich Ihr Kurzfilmfestival?
"Ja, und da melden sich Filmemacher aus vielen Ländern. Es findet immer im Juli im 'Nuovo Sacher' statt und dauert fünf Tage, ein bisschen kurz, so dass ich aus all den vielen Einsendungen eine Auswahl treffen muss."

Wie sieht die Situation des italienischen Filmnachwuchses aus? Sie haben ja auch in früheren Jahren Kollegen wie Mimmo Calopresti und Daniele Luchetti unterstützt, indem Sie deren Filme produziert haben.
"In den letzten zwei, drei Jahren hatten italienische Filme mehr Erfolg im eigenen Land als vorher. Vielleicht sind die Filmemacher jetzt fähiger, von dem Land, in dem sie leben, zu erzählen. Auf jeden Fall bröckelt das negative Vorurteil des Publikums gegenüber italienischen Filmen jetzt allmählich weg. Ich selbst bin im Kontakt mit zwei jungen Regisseuren, deren erste Spielfilme ich eigentlich gern produzieren möchte. Aber irgendwie habe ich gemerkt, dass die beiden zwar nett sind, aber nicht viel zu erzählen haben. Und für mich heißt Filmemachen einfach die Lust Geschichten zu erzählen."

Wann haben Sie wieder Lust?
"Ich habe zwar ein paar Ideen, aber ich bin weit von konkreten Plänen entfernt. Vielleicht fällt mir irgendwann auch mal eine Geschichte ein, bei der ich nicht im Mittelpunkt stehe. Das wäre weniger anstrengend und weniger beängstigend."

Mit Nanni Moretti sprach Frauke Hanck

 

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