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Ausgabe 89-1/2002

VERRÜCKT/SCHÖN

CRAZY/BEAUTIFUL

Produktion: Touchstone; USA 2001 – Regie: John Stockwell – Buch: Phil Hay, Matt Manfredi – Kamera: Shane Hurlbut – Schnitt: Melissa Kent – Musik: Paul Haslinger – Darsteller: Kirsten Dunst (Nicole Oakley), Jay Hernandez (Carlos Nunez), Bruce Davison (Tom Oakley), Herman Osorio (Luis) u. a. – Länge: 99 Min. – Farbe – FSK: ab 12 – Verleih: Buena Vista – Altersempfehlung: ab 14 J.

"Boy meets Girl"-Geschichten, die an einer US-amerikanischen Highschool spielen, zählen nicht gerade zu den vielversprechendsten Filmen, die uns Hollywood beschert. Und wenn sie dann auch noch mit einem Teenie-Schwarm wie Kirsten Dunst besetzt sind, ist man als Kritiker zunächst mehr als misstrauisch. Doch was John Stockwell hier in seinem Kinodebüt präsentiert, fällt durchaus aus dem Rahmen der üblichen Teenie-Highschool-Filme:

Carlos Nunez stammt aus einem der ärmeren, vornehmlich von Latinos bewohnten Viertel am Rande von Los Angeles. Und doch hat er es geschafft, auf der exklusiven Pacific High School im Nobelviertel Pacific Palisades aufgenommen zu werden. Allein die Busfahrt zur Schule und zurück kostet ihn täglich an die vier Stunden. Als er mit seinen Kumpels am Strand von Santa Monica abhängt, fällt ihm inmitten einer Gruppe von Jugendlichen ein junges weißes Mädchen auf, das ebenfalls auf die Pacific High School geht: Nicole. Sie könnten unterschiedlicher nicht sein: er ein zielstrebiger Latino aus den Armenvierteln, sie die chaotische, stets am Rand des Abgrunds balancierende Tochter eines Kongressabgeordneten.

Gleich ihr erstes "Rendezvous" auf dem Schulhof bringt ihn in die Bredouille: Wegen angeblichen Alkoholkonsums muss er mit ihr und ihrer Freundin Maddy nachsitzen: Dadurch verpasst er nicht nur den Bus, sondern auch sein Boxtraining. Die Mädels bieten ihm an, ihn quer durch die Stadt nach Hause zu fahren und an diesem Abend kommen sich Carlos und Nicole erstmals näher. Doch zu Hause angekommen gibt's für Carlos Streit mit seiner Mutter: Sie mag diese weiße Chaotin nicht und hat Angst, Nicole könne ihren Sohn von seinem hart erkämpften Weg abbringen. Wie generell die Umwelt auf die aufkeimende Romanze der beiden mit Ablehnung reagiert: Schüler wie Lehrer und auch Nicoles Vater betrachten das Paar mit Misstrauen. Doch das kümmert sie nicht, schweißt sie eher noch mehr zusammen. Sie verleben eine wundervolle Zeit, die jedoch nicht von Dauer ist.

Er vernachlässigt die Schule, seine Noten sinken ab und er verpasst einen wichtigen Termin mit Nicoles Vater, der ihm die wichtige Empfehlung besorgen will, die Carlos braucht, um an der renommierten Naval Academy Marinepilot werden zu können. Bei einem erneuten Termin schenkt Tom Oakley dem Jungen reinen Wein ein: Seit dem Tod der Mutter (Nicole hatte Carlos immer erzählt, dass ihre Eltern geschieden seien) hat sich die damals Zwölfjährige in einer Art und Weise entwickelt, dass er manchmal beinahe Angst vor ihr hat. Und er schlägt Carlos einen Deal vor: Er bekommt die Empfehlung, aber nur, wenn er Nicole nie wieder sieht. Als diese davon erfährt, rastet sie total aus. Schließlich hat ihr Vater ihr den einzigen Menschen genommen, den sie auf dieser Welt wirklich liebt. Denn zwischen Vater und Tochter findet schon lange keine Kommunikation mehr statt und Toms neue Ehefrau ist viel zu sehr mit dem gemeinsamen Baby beschäftigt.

Carlos hält sich an sein Versprechen und verlässt Nicole. Als er merkt, dass er einen großen Fehler gemacht hat, ist es fast zu spät. Er holt sie aus einer Party und fährt sie nach Hause, wobei sie von der Polizei angehalten werden: Die sehen nur einen jungen Latino mit einer vollkommen betrunkenen und unter Drogen stehenden höheren weißen Tochter, bringen die zwei zu Nicoles Vater, der Carlos wegschickt und beschließt, Nicole in eines der berüchtigten Boot Camps zu schaffen, wo den Kids mit militärischem Drill ihre Flausen ausgetrieben werden sollen. Als Carlos davon erfährt, haut er spontan mit Nicole ab. Doch sie erkennen, dass das auf Dauer keine Lösung sein kann und kehren nach Hause zurück, wo Nicole und ihr Vater nachholen, was sie schon vor Jahren hätten machen sollen: Sie reden miteinander.

Es ist erstaunlich, wie geschickt Stockwells Film nahe liegende Stolpersteine umgeht und aus einer Geschichte, die in Klischees hätte ersaufen können, ein psychologisch durchdachtes Liebesdrama macht. Dankbar registriert man, dass er klischeehafte Konstellationen wie reich/arm oder Latino/Weiße bestenfalls am Rande streift und sich stattdessen auf das Wesentliche konzentriert. Die – von außen betrachtet – unmögliche Liebe zwischen einer aus der Bahn geworfenen verwöhnten Göre und einem zielstrebigen jungen Mann. Dabei sind die Konflikte in und zwischen den Figuren durchaus nachvollziehbar: Nicole ist so durcheinander, weil man ihr keine Möglichkeit gab, zu trauern, weil der eigene Vater nie mit ihr darüber gesprochen hat und sich stattdessen in seine Arbeit und die neue Ehe stürzte. Dass die Stiefmutter dabei eher wie eine klassische Märchenfigur denn wie eine reale Gestalt wirkt, ist vielleicht das einzige Manko des Films.

Die Liebesgeschichte zwischen Carlos und Nicole funktioniert gleichermaßen auch und vor allem über Bilder: Wenn sie ihm ihr erstes großes Geschenk (einen Flug mit einem Kleinflugzeug) macht oder die beiden fast ausgeflippt miteinander feiern. Unter maßvoller Verwendung den Teenies bekannter Stilmittel wie rasante Schnitte und schnelle Schwenks schafft Stockwell eine Atmosphäre, die uns die Gefühle des jungen Paares mitfühlen lässt. Im Zentrum des Ganzen steht die großartige gerade mal 19-jährige Kirsten Dunst, die hier fernab allen Glamours Mut zur Hässlichkeit beweist. Dass Newcomer Jay Hernandez neben ihr bestehen kann, spricht für seine Qualitäten. Unterstützt von einem poppigen Soundtrack entstand ein ernst zu nehmender Teenie-Film, der auch ein erwachsenes Publikum überzeugen kann und die Teenies nicht für dumm verkauft, sondern ihnen eine Geschichte erzählt, die sie so oder ähnlich selbst erleben könnten.

Lutz Gräfe

 

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