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Ausgabe 89-1/2002

"Um die Zukunft des Kinderkinos ist mir nicht bange"

Interview mit Horst Schäfer

Interview

Horst Schäfer (Jg. 1942), seit 1982 Leiter des Kinder- und Jugendfilmzentrums in Deutschland, engagiert sich u. a. in der Filmförderung. Zum Ende seiner Amtszeit als Vorsitzender der Kommission C / Kinder- und Jugendfilmförderung des Bundes, die er seit 1993 innehatte, gibt er der KJK Auskunft über die Entwicklung während dieses Zeitraums und über seine Tätigkeit in diesem für den Kinder- und Jugendfilm wichtigen Gremium.

KJK: Sie sind seit 1993 Vorsitzender der Kommission C / Kinder- und Jugendfilmförderung des BMI bzw. BKM. Welche Rolle spielte die kulturelle Filmförderung des Bundes für die Entwicklung des qualitativen Kinder- und Jugendfilms in Deutschland?
Horst Schäfer: "Ohne allzu weit in die Geschichte des neuen deutschen Kinderfilms zurückzublicken möchte ich im Hinblick auf Ihre Frage den Zustand der 80er-Jahre beschreiben. Von den Filmen, die zwischen 1979 bis 1988 gefördert wurden, sind einige Titel als erfolgreich in Erinnerung; beispielsweise 'Der rote Strumpf', 'Konrad aus der Konservenbüchse', 'Flussfahrt mit Huhn', 'Lisa und die Riesen' oder 'Der Sommer des Falken'. Mehr auch nicht. Wichtig ist dabei, dass diese Filme ihren eigentlichen Stellenwert erst in der nichtgewerblichen Auswertung erhielten, da ihnen – auch dort, wo eine zusätzliche Verleihförderung gewährt wurde – der große Kinoerfolg versagt blieb. Etliche der vom BMI geförderten Projekte wurden gar nicht erst realisiert; das Geld ging an den Finanzminister zurück.
Auch die Neufassung der Richtlinien im Jahre 1992 brachte zunächst keinen grundsätzlichen Wandel. Der Kinder- und Jugendfilm wurde – zumindest in der Höhe der Prämien zur Produktionsförderung – anderen Spielfilmvorhaben gleichgestellt. Er war somit nicht 'billiger' zu haben als andere Spielfilme. Grundsätzlich aber änderte sich nicht viel. Von den zwischen 1989 bis 1992 geförderten zwölf Projekten sind nur 'Die Lok', 'Die Distel' und 'Karakum' in das Repertoire eingegangen, auch in diesen Jahren wurden viele geförderte Projekte nicht realisiert. Ab 1993 wurde verstärkt darauf geachtet, dass der Kinder- und Jugendfilm – im Sinne der Richtlinien für die kulturelle Filmförderung des Bundes – auch ein 'Kinofilm für die Große Leinwand' sein soll, da er 'gegenüber anderen Formen der Wiedergabe (Fernsehen, Video u. a.) besondere ästhetische Qualitäten aufweist; er ist von größerer visueller und künstlerischer Eindringlichkeit'. Und von da an wurde dem deutschen Kinderfilm der Weg ins Kino bereitet."

Wie viele Filme wurden seit 1990 gefördert und auch fertig gestellt und wie viele Filme davon haben eine Kinoaufführung erlebt?
"Eine 1996 vorgenommene Bilanz der ersten Jahre der 90er verdeutlicht, dass nicht nur hinsichtlich der Mittelerhöhung für den Kinder- und Jugendfilm ein Aufwärtstrend zu verzeichnen war, sondern sich eine energischere Haltung unseres Gremiums im Hinblick auf die Realisierungschancen von Projekten im allgemeinen und in ihrer spezifischen Qualität für die "Große Leinwand" im besonderen durchsetzte.
In den Jahren 1993 bis 1996 wurden insgesamt neun Vorhaben gefördert, lediglich in einem Falle ('Mr. Schokolaus' von Thomas Draeger) kam die Finanzierung nicht zustande. Von 1997 bis 2000 wurden zwölf Projekte gefördert, fast alle wurden realisiert, nur in einem Falle gibt es noch Probleme. Mit der Förderung des Films 'Rennschwein Rudi Rüssel' (1993) zeichnete sich eine leichte Trendwende hin zum 'Familienfilm' ab; kein Wunder, dass dieser Film dann auch in der Besucherresonanz – also in der Akzeptanz des Publikums vor der Großen Leinwand – neue Maßstäbe setzte. Um ein paar weitere Erfolgstitel zu nennen: 'Die Story von Monty Spinneratz', 'Pünktchen und Anton', 'Der kleine Vampir', 'Käpt'n Blaubär', 'Emil und die Detektive' und 'Der kleine Eisbär'".

Sind Veränderungen in Qualität und Quantität des Kinder- und Jugendfilms feststellbar?
"Der Verband der Filmverleiher geht davon aus, dass das Jahr 2001 zum Rekordjahr für die deutschen Kinos werden könnte. Nach Ansicht des Geschäftsführers Johannes Klingsporn haben zu diesem Boom Filme wie 'Harry Potter und der Stein der Weisen', 'Die wunderbare Welt der Amélie' sowie der deutsche Überraschungserfolg 'Der Schuh des Manitu', aber auch Kinderfilme wie 'Das Sams' oder 'Der kleine Eisbär' beigetragen. So jedenfalls eine dpa-Meldung vom 4.12.2001. Also: zwei deutsche Kinderfilme von unbestrittener Qualität, die in einem Atemzug mit den ganz großen Titeln genannt werden, weil sie zum 'Boom des deutschen Kinos' beigetragen haben – das hat es bislang noch nicht gegeben!"

Wird das jährliche Fördervolumen von derzeit 1,7 Millionen Mark bei der Förderung der Kommission C dem Bedarf der eingereichten Projekte gerecht?
"Bislang hat es jedenfalls gereicht. Wenn wir Projekte abgelehnt haben, dann nicht aus Gründen fehlender Förderungsmittel. Aber die Szene hat sich zwischenzeitlich ja auch verändert. Es werden in Zukunft mehr Produktionen zur Förderung eingereicht werden als in den vergangenen Jahren. Insofern ist eine Anhebung der Mittel auf ca. 1,1 Mio. Euro wünschenswert. Nach wie vor sollte es möglich sein, Kinder- und Jugendfilmprojekte auch bei der 'allgemeinen' Produktionsförderung einzureichen.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch auf einen anderen Punkt hinweisen. Vom Jahre 2000 an wird explizit ein Deutscher Filmpreis für Kinder- und Jugendfilme vergeben: In Gold und mit einer Prämie von bis zu 500.000 DM ausgestattet. Von den Richtlinien her war es immer schon möglich, auch solche Filme auszuzeichnen, aber das gelang eigentlich nur ein paar Filmen für Jugendliche bzw. junge Erwachsene. Arend Agthe errang immerhin mit seiner Nominierung für 'Der Sommer des Falken' einen Achtungserfolg.
2000 erhielt 'Käpt'n Blaubär' den Deutschen Filmpreis. Alternativen dazu gab es nicht. 2001 konkurrierten immerhin 'Der kleine Vampir' (Sieger!) und 'Emil und die Detektive' gegeneinander. Nominierungen gab es noch nicht. Ab 2002 ist vorgesehen, dass zwei Kinderfilme mit je 125.000 Euro nominiert werden. Der mit dem Filmpreis in Gold ausgezeichnete Film erhält zusätzlich zu der Nominierungsprämie weitere 125.000 Euro. Damit wird der Filmpreis inhaltlich erweitert und zugleich eine Gleichbehandlung des Kinderfilms mit dem Spiel- und Dokumentarfilm erreicht.
Mit dieser Entwicklung bin ich natürlich mehr als zufrieden. Ein sehr schönes Fazit zum Ende meiner Amtsperiode – da ich nicht mehr berufen werden kann und es auch nicht mehr möchte."

Die Filmbranche klagt seit Jahren darüber, dass zu wenige brauchbare Stoffe und Drehbücher für Kinderfilme vorgelegt werden. Ist das tatsächlich so und wenn ja, worin liegen die größten Hemmnisse?
"Die Drehbuchförderung des Kinder- und Jugendfilms war Anfang bis Mitte der 90er-Jahre noch das Sorgenkind der Szene. Zahlreiche gut gemeinte Vorhaben fanden oft gut gemeinte Gremien, aber leider keine Produzenten. Erst durch die Verpflichtung der Autoren, ihre Exposés in der Kooperation mit den Produktionsfirmen einzureichen, stieg zumindest die Qualität der einzelnen Stoffe an. 1996 lagen der Kommission C nur zwei Anträge auf Drehbuchförderung vor. Die Zahl stieg in den folgenden Jahren auf 10, 12 und 2 x 20 an. In diesem Jahr lagen insgesamt 47 Anträge vor. Die Fördersummen stiegen in diesem Zeitraum von 20.000 auf 280.000 DM an.
Nicht zuletzt ist das wohl eine Resonanz auf die von der Kommission C des BKM initiierte 'Sommerakademie Drehbuchschreiben für Kinderfilme'. Sie wurde 2000 erstmals an der Hochschule für Film und Fernsehen 'Konrad Wolf' in Potsdam-Babelsberg und dann 2001 an der deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin durchgeführt. 2002 ist die Internationale Filmschule Köln der veranstaltende Partner. Es hat sich also ungemein viel getan und es kann nur noch besser werden."

Wie schätzen Sie die Zukunft des Kinderfilms in Deutschland ein? Brauchen Kinder ein differenziertes Angebot von deutschen Filmen?
"Um die Zukunft des deutschen Kinderfilms ist mir nicht bange. Da bin ich ein grenzenloser Optimist und möchte auch diejenigen, die immer noch vom "arg gebeutelten deutschen Kinderfilm" reden oder schreiben, zu mehr Selbstwertgefühl und Zuversicht raten.
Was mich bedrückt, ist mehr eine Entwicklung, die sich in den letzten Jahren abzeichnet: der Trend hin zum Animationsfilm. Ungeachtet der Tatsache, dass diese Filme auch weiterhin zum Boom der deutschen Filmwirtschaft beitragen sollen, möchte ich doch auch ein paar Filme sehen, die mehr mit der Lebenswirklichkeit der Kinder in unserem Lande zu tun haben. Vielen Autorinnen und Autoren fehlt bei den realitätsbezogenen Stoffen der Mut oder die Phantasie zu originellen oder originären Stoffen jenseits der gebräuchlichen Klischees: fast immer sind es Kinder aus gescheiterten Ehen, alleinerziehende Elternteile. Es wird viel hin und her gezogen; die Ost/West-Beziehungen spielen dabei ebenso eine Rolle wie die Stadt/Land-Thematik. Und dann dazu noch die gütigen Großeltern, die etwas verrückte Tante (neuerdings kann sie auch zaubern), der kleine, schmale Junge mit der großen Brille, der als Computerfreak gilt etc. Irgendwo stehen dann noch vergiftete Ölfässer herum oder ein dickbäuchiger, fieser Unternehmer treibt sein Unwesen. Das kann doch nicht alles sein!"

Was sollte bei der anstehenden Novellierung des Filmförderungsgesetzes aus Sicht der Kommission C im Bereich Kinder- und Jugendfilm berücksichtigt bzw. neu eingeführt werden?
"Mit den verantwortlichen Leuten des BKM für die Kinder- und Jugendfilmförderung gibt es eine intensive, partnerschaftliche Zusammenarbeit. (Jedenfalls war es bislang so.) Wir haben uns zu der anstehenden Novellierung mehrmals getroffen, in größeren und kleineren Runden, und Vorschläge eingebracht. Und ich bin sicher, dass sie dort ernst genommen, erwogen und realisiert werden – vielleicht nicht in allen Punkten.
Manche Entwicklungen brauchen auch ihre Zeit. Am Ende meiner Amtszeit jedenfalls kann ich auf drei positive Punkte zurückblicken: Der deutsche Kinderfilms trägt zum Boom des deutschen Kinos bei, der deutsche Kinderfilm ist voll in den Deutschen Filmpreis integriert und der Markt für brauchbare Kinder- und Jugendfilmstoffe hat sich ungemein belebt.

Interview: KJK-Redaktion

 

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