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Ausgabe 113-1/2008

HINTER DEN WOLKEN

ATRÁS DAS NUVENS

Produktion: Filmes do Tejo II; Portugal 2006 – Regie: Jorge Queiroga – Buch: Jennifer Field – Kamera: Amilcar Carrajola – Schnitt: Joáo Braz – Musik: Nuno Malo – Darsteller: Nicolau Breyner, Ruben Leonardo, Sofia Grillo, Graciano Dias – Länge: 85 Min. – Farbe – Weltvertrieb: Filmes do Tejo II, Av. da Liberdade, 85 – 3°, 1250-140 Lisboa, Portugal, Fax. +351-213 471087, e-mail: filmesdotejo@filmesdotejo.pt – Altersempfehlung: ab 10 J.

Der zehnjährige Paulo lebt mit seiner Mutter Teresa in Lissabon. Seinen Großvater Miguel hat er nie kennen gelernt, denn Teresa hat den Kontakt zu ihm nach dem Tod ihres Mannes Carlos vor vielen Jahren abgebrochen. Hin und wieder schaut sich Paulo alte Fotos seines Vaters und seines Großvaters an, die seine Mutter in einer Schuhschachtel im Schrank versteckt hat. Als Miguel dem Jungen eines Tages auf einem Foto zuzwinkert, beschließt Paolo, nicht ins geplante Ferienlager zu fahren, sondern heimlich den großen Unbekannten zu besuchen. Miguel erweist sich als alter Eigenbrötler, der Paulo nur widerstrebend in seinem abgelegenen Haus in der Region Alentejo aufnimmt.

Schon bald weckt ein altes rotes Auto, das auf dem Hof des Großvaters herumsteht, Paulos Interesse. Angeblich kann man in dem stillgelegten Citroen DS mit Hilfe der Vorstellungskraft überallhin fahren. Der Junge glaubt das erst nicht, dann erlebt er aber selbst, wie um das Auto plötzlich Wolken aufsteigen und die beiden in die Vergangenheit der Familie reisen. Sogar seinem verstorbenen Vater Carlos begegnet Paulo dabei. Natürlich ist er begeistert und will mehr über seine Familie erfahren. Doch für den Großvater sind die Erinnerungen zu schmerzlich, ist doch damit ein altes Familiengeheimnis verbunden. Miguel setzt den Jungen in einen Bus, der ihn zurück nach Lissabon bringen soll, aber der kehrt auf eigene Faust in Miguels Dorf zurück.

"Hinter den Wolken" wurde auf dem 30. Kinderfilmfestival in Frankfurt 2007 mit einem "Lucas" und dem Preis des Internationalen Kinderfilmzentrums CIFEJ ausgezeichnet. Im Jury-Statement heißt es dazu: "Poetische Bilder, stimmungsvolle Musik und eindringliche Landschaftsaufnahmen vermitteln eine zauberhafte Atmosphäre mit vielschichtiger Darstellung im Wechsel von Phantasie und Realität."

Kinder wünschen sich häufig, groß und stark zu sein, sie reisen in ihren Phantasien bevorzugt zu Abenteuern in ferne Welten, vor allem aber träumen sie gerne davon, von den Erwachsenen ernst genommen zu werden und ihnen endlich Paroli bieten zu können. Diese Sehnsüchte und Bestrebungen bilden die Fundamente und Eckpfeiler der Kinderliteratur und des Kinderfilms. Wie stabil diese Konstanten sind, zeigt sich einmal mehr am Kinodebüt des portugiesischen Regisseurs Jorge Queiroga, der zuvor etliche TV-Filme, Sitcoms, Comedy-Serien, Dokumentar- und Kurzfilme realisiert hat.

Mit "Hinter den Wolken" ist ihm ein warmherziger Film gelungen, der mit sonnigen Bildern in warmen Farben zeigt, wie ein einsamer Junge über sich hinauswachsen kann, wenn es vonnöten ist, wobei die von vielen Fragen überschattete Ausgangskonstellation zwischen Enkel und Großvater, die sich nach anfänglichem Zögern annähern und schließlich Vertrauen fassen, in ruhigen, unprätentiösen Bildern geschildert wird. Es sind jedoch vor allem die sparsam, gleichwohl effektiv eingesetzten phantastischen Sequenzen, in denen Paulo mit seinem Großvater dank magischer Kräfte – die wie selbstverständlich im Alltag verankert sind – in die Vergangenheit oder eine fiktive Welt reist, die ihm schließlich helfen, ein tiefes familiäres Zerwürfnis zu verstehen und an seinem elften Geburtstag Versöhnung zu stiften. Zugleich hilft Paulo seinem Großvater, endlich die Albträume loszuwerden, die ihn schon seit langem quälen.

Queiroga erzählt bis kurz vor Schluss konsequent aus der Perspektive des zehnjährigen Jungen, nimmt auch die Erwachsenenfiguren ernst und räumt ihnen genug Raum zur Entfaltung ein. So ebnet er den Weg für ein tieferes Verständnis der Handlungsmotive der Familienmitglieder, die sich teils aus Sturheit, teils aufgrund falscher Annahmen oder Missverständnissen selbst schon viel zu lange das Leben schwer gemacht haben. Beschrieben wird eine Welt, "in der ältere Generationen auch einiges von der jüngeren Generation lernen können", wie die CIFEJ-Jury in ihrer Begründung schrieb. Filmverleiher, hier wartet ein kleines Kinojuwel auf Euch!

Reinhard Kleber

 

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Ausgabe 113-1/2008

 

Inhalt der Print-Ausgabe 113-1/2008|

Filmbesprechungen

BLINDSIGHT| COMRADES IN DREAMS – LEINWANDFIEBER| DER FUCHS UND DAS MÄDCHEN| DER GOLDENE KOMPASS| DER GROSSE MARKT| HERR FIGO UND DAS GEHEIMNIS DER PERLENFABRIK| HINTER DEN WOLKEN| HOLUNDERBLÜTE| KLEINER DODO| MAN IN THE CHAIR| MONDKALB| PERSEPOLIS| DIE ROTE ZORA| VERWÜNSCHT|

Interviews

Barnsteiner, Eduard - "Nur selten finde ich einen Film, den ich ins Kino bringen will"| Dillmann, Claudia - "Wir wollen nicht nur Geschichte vermitteln"| Enders, Sylke - "Die Zuschauer sollen sich in den Film verlieben"| Koepp, volker - "Wir mussten uns mit der Kamera niemals verstecken"| Næss, Petter - "Damit kann sich jedes Kind identifizieren"| Rothkirch, Thilo Graf - "Wir können stringenter produzieren, wenn alles in einer Hand bleibt"| Wolpert, Bernd - "Kinder und Jugendliche sind unser wichtigste Zielgruppe"|


KJK-Ausgabe 113/2008

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