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Ausgabe 113-1/2008

"Damit kann sich jedes Kind identifizieren"

Ein Gespräch mit Petter Næss, Regisseur des Films "Hoppet"

(Interview zum Film HOPPET)

"Hoppet" (Hoffnung) handelt von den Brüdern Azad und Tigris, die von ihren politisch verfolgten Eltern aus einem umkämpften kurdischen Gebiet nach Deutschland geschickt werden, in der Hoffnung, dann leichter nachkommen zu können. Von der Schlepperbande betrogen, finden sich die beiden Jungen jedoch in Schweden in der Illegalität wieder und versuchen, im fremden Land zurechtzukommen. Der Film bezieht eindeutig Stellung gegen Intoleranz und den rein verwaltungstechnischen Umgang mit Menschen, die fern ihrer Heimat eine neue Existenz aufbauen. Die schwedisch-deutsch-norwegische Koproduktion wurde mehrfach ausgezeichnet, u. a. auf dem Internationalen Kinderfilmfestival in Frankfurt/Main 2007 mit dem "Lucas" und mit dem Preis der FICC-Jury "Don Quijote".

KJK: Was hat Sie an der Thematik des Films interessiert?
Petter Næss: "Der Film beruht teilweise auf wirklichen Ereignissen. Ähnliche Geschichten ereignen sich ständig auf der Welt und eine davon wollte ich erzählen. Die Idee dazu kam allerdings nicht von mir: Die schwedische Drehbuchautorin Moni Nilsson-Brännström hatte meinen Film 'Elling' gesehen und wollte, dass ich bei 'Hoppet' die Regie übernehme."

Warum spielt der Film überwiegend in Schweden und nicht in Ihrem Heimatland Norwegen?
"Das lag an der schwedischen Drehbuchautorin. Es ist ein schwedischer Film und auch alle Darsteller sind aus Schweden, selbst die kurdischen Darsteller. Wir drehten den Film auch in Schweden, wo viele kurdische Flüchtlinge leben, weit mehr als in Norwegen. Die Idee kam aus Schweden, die Geschichte spielt dort, so war es klar, sie auch dort zu belassen."

Hat sich in den letzten Jahren in Schweden die Einstellung der Bevölkerung zu Migranten verändert?
"Meinem Eindruck nach findet eine Entwicklung auf zwei Ebenen statt. Insgesamt stehen die Schweden den Immigranten positiv gegenüber, aber durch die hohe Zahl von Flüchtlingen haben sich natürlich auch einige Vorurteile ihnen gegenüber verstärkt, das ist in Norwegen ähnlich."

Was war der Grund, dass sich Ihr Protagonist Azad ausgerechnet für den Hochsprung begeistert?
"Ursprünglich war es nicht der Hochsprung, sondern der Fußball. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie es zur Idee für den Hochsprung kam. Es ist jedenfalls eine seltene Sportart, die sich dieser Junge aus Kurdistan ausgesucht und noch dazu eine Frau zum Vorbild genommen hat. Er möchte so fliegen können wie diese Frau und verfolgt sein Ziel, ohne auf die Meinung der anderen zu hören. Das gewinnt eine symbolische Dimension, die der 'normale' Fußball nicht haben kann. Auch Kajsa Bergqvist (erfolgreiche schwedische Hochspringerin) fand die Idee gut. Sie war sehr offen bei den Dreharbeiten, auch wenn es für sie nicht einfach war, sich im Film selbst spielen zu müssen."

Warum wurde die reale Kurden-Problematik zugunsten von Azads Perspektive ausgeblendet?
"Ganz einfach, weil es ein Kinderfilm ist. Er handelt nicht von den politischen Ereignissen, sondern von den Konflikten, die von den Erwachsenen verursacht wurden und Kindern das Leben zur Hölle machen. Ich wollte nicht Partei für eine Seite ergreifen, weiß aber, dass das kurdische Volk viel Leid ertragen musste und es im Irak und der Osttürkei erst kürzlich wieder zu Aufständen kam. Mich hat vor allem interessiert, wie sich solche Konflikte auf das Leben von Kindern und anderen unschuldigen Menschen auswirken."

Lässt sich "Hoppet" als modernes Märchen bezeichnen?
"Nicht ganz, denn was ich erzähle, kann wirklich passieren. Der Mensch hat die besondere Fähigkeit, selbst in hoffnungslos scheinenden Situationen noch Lösungswege zu finden. Das geschieht wirklich, nicht nur im Märchen. Bei Kindern vermischen sich allerdings häufig Märchen und Realität. Der von Peter Stormare gespielte Hot-Dog-Verkäufer beispielsweise ist eine solche Mischung, die durch die Einbildungskraft der Kinder entsteht. Manchmal endet das gut, manchmal aber auch nicht. Ich finde es wichtig, Kindern Geschichten zu erzählen, die ihnen Hoffnung machen, selbst in ausweglos erscheinenden Situationen. Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie nicht wahr sind."

Ist "Hoppet" ein schwieriges Thema für Kinder?
"Das glaube ich nicht. Jeder Mensch hat im Leben mindestens einmal das Gefühl, vollkommen alleine und verlassen zu sein, das habe ich selbst schon mehrfach erlebt. So etwas passiert Kindern beispielsweise, wenn sie mit den Eltern einkaufen gehen, sie plötzlich aus den Augen verlieren und nicht wissen, wohin sie sich wenden sollen. Solche Angstmomente und Verlassenheitsgefühle hat also jeder. Ich konnte bei Filmvorführungen immer wieder beobachten, dass sich Kinder davon persönlich berührt fühlen. Es geht um einen Helden, der sich gegen die anderen behaupten muss. Der Konflikt ist klar, Azad fühlt sich isoliert und versucht, seine Eltern zu finden. Damit kann sich jedes Kind identifizieren. Und Azad kämpft wirklich schwer um das, woran er glaubt."

Waren die Dreharbeiten mit Kindern schwieriger als mit Erwachsenen?
"Nein! Die Probleme und Kämpfe, aber auch die positiven Dinge sind im Prinzip gleich. Ich bin immer wieder überrascht, was die erwachsenen Darsteller mitunter für seltsame Fragen stellen. Bei Kindern funktioniert die Intuition noch viel besser, sie haben ein gutes Gespür, sind offen und wagemutig. Kinder stellen also andere Fragen und haben andere Bedürfnisse als die Erwachsenen, aber sonst gibt es keine Unterschiede bei der gemeinsamen Arbeit."

Was bedeutet "Hoffnung" für Sie?
"In meinem Leben habe ich schon viele Höhen und Tiefen erlebt und es gab Situationen, in denen ich mich so weit unten fühlte, dass außer der Hoffnung nichts blieb. Ich finde es sehr traurig, wenn jemand die Hoffnung aufgibt. Immerhin leben wir in einem reichen Land mit einem guten Gesundheits- und Sozialsystem. Selbst bei psychischen Problemen gibt es einen Ausweg. Nach meinem Film 'Elling' erhielt ich zahlreiche Briefe von Menschen, die in solchen Einrichtungen leben und psychische Probleme haben. Sie bedankten sich für den Film und dafür, dass er ihnen Mut machte, ihnen den Willen und die Kraft zum Weitermachen gab. Es gibt zwei Wege, das Publikum zu beeinflussen: Man kann Filme drehen, die zeigen, es gibt Hoffnung und vielleicht sogar eine Lösung wie bei 'Hoppet'. Es gibt aber auch Filme, die zeigen, wie schlecht die Welt ist, und uns auffordern, daran etwas zu ändern. Beide Arten von Filmen sind gleich wichtig. Manche Menschen glauben, Tragödien und Dramen seien wichtiger, aber ich halte es mehr mit dem Humor und der Hoffnung."

Können Sie etwas zum visuellen Konzept des Films erzählen?
"Eigentlich wollten wir die ganze Geschichte aus der Distanz erzählen, aus der Totale und mit Hilfe von Zoomaufnahmen, um damit zu vermitteln, wie sehr sich diese Menschen als Fremde fühlen. Aber das funktionierte gerade bei Kindern nicht, vor allem, weil sie nicht immer voll konzentriert sind und punktgenau ihren Einsatz finden. Statt sie also nur zu beobachten, näherten wir uns ihnen mit der Kamera immer mehr, gaben ihnen jedoch das Gefühl, sich frei vor der Kamera bewegen zu können. Unabhängig davon bestand die visuelle Grundidee darin, die sonnige Heimat voller warmer Farbtöne mit der schwedischen Fremde zu kontrastieren, in der kalte Blautöne vorherrschen."

Mit welchen Worten würden Sie Kindern Ihren Film empfehlen?
"Ich würde sagen, es ist eine spannende Geschichte über zwei Kinder, die aus ihrer Heimat fliehen müssen, weil das Leben dort sehr gefährlich ist. Der Film folgt ihnen und zeigt, wie sie mit dem Leben in der Fremde zurechtkommen."

Interview: Holger Twele

 

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Interviews

Barnsteiner, Eduard - "Nur selten finde ich einen Film, den ich ins Kino bringen will"| Dillmann, Claudia - "Wir wollen nicht nur Geschichte vermitteln"| Enders, Sylke - "Die Zuschauer sollen sich in den Film verlieben"| Koepp, volker - "Wir mussten uns mit der Kamera niemals verstecken"| Næss, Petter - "Damit kann sich jedes Kind identifizieren"| Rothkirch, Thilo Graf - "Wir können stringenter produzieren, wenn alles in einer Hand bleibt"| Wolpert, Bernd - "Kinder und Jugendliche sind unser wichtigste Zielgruppe"|


KJK-Ausgabe 113/2008

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