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Ausgabe 116-4/2008

"Das ist für einen Filmemacher natürlich ein Glücksfall"

Gespräch mit Christian Karim Chrobog, Regisseur, Drehbuchautor und Mit-Produzent des amerikanischen Dokumentarfilms "War Child"

(Interview zum Film WAR CHILD)

KJK: Wie haben Sie Emmanuel Jal eigentlich kennen gelernt und wie haben Sie ihn dazu gebracht, sich in aller Öffentlichkeit seiner Vergangenheit als 'Kinderkrieger' zu stellen?
Christian Karim Chrobog: "Zunächst wollten wir eine Serie über die Globalisierung des HipHop machen. Emmanuel war nur einer von vielen Musikern, die wir deshalb in verschiedenen Ländern der ganzen Welt angeschrieben hatten. Aber als wir mehr über ihn wussten, dachten wir, dass seine Geschichte allein schon ein ganzer Film ist und haben dann vor dreieinhalb Jahren mit dem Projekt angefangen. Bis er sich dazu überwinden konnte, den Albtraum seiner Kindheit in seinen Gedanken und Gefühlen noch einmal nachzuerleben, hat es in der Tat Monate gedauert. Und erstmal war er uns gegenüber natürlich auch misstrauisch. Schließlich aber konnten wir ihn überzeugen, dass es uns bei dem Projekt wirklich um das Exemplarische seiner Geschichte und nicht etwa um das große Geld ging. Das dafür aufzutreiben, noch dazu als absoluter Neuling auf dem Gebiet, war das nächste Problem und hat allerhand Zeit in Anspruch genommen."

Als Überlebender fühlte Emmanuel wahrscheinlich die Verpflichtung, von all den Schrecken und Grausamkeiten erzählen zu müssen, die viele seiner Leidensgenossen mit dem Leben bezahlen mussten und ihm die Kindheit gestohlen haben. Wie sind Sie an die Originalaufnahmen gekommen, die ihn als Kind zeigen?
"Das war reiner Zufall und ist für einen Filmemacher natürlich ein Glücksfall. Nach einem Konzert in London hat jemand Emmanuel eine DVD in die Hand gedrückt und behauptet, dass er darauf zu sehen wäre. Der konnte das gar nicht glauben und wir haben uns die DVD dann gemeinsam angeschaut. Auch wir hatten den Eindruck, dass er das im Alter von, sagen wir, sieben Jahren durchaus gewesen sein könnte. Wir haben daraufhin ewig recherchiert, woher die Aufnahmen stammten. Schließlich stellte sich heraus, dass der französische Kameramann Patrice Barrat, der 1989/90 Aufnahmen von der Hungersnot in Äthiopien gedreht hatte, Emmanuel in einem äthiopischen Flüchtlingslager der UN kennen gelernt und auf eigene Faust einen Film über ihn und die anderen Kindersoldaten gemacht hatte. Er erzählte uns, dass Emmanuel, der sich dort auch ein paar englische Worte angeeignet hatte und zum Sprecher der Kinder wurde, schon damals ein unglaubliches Charisma hatte. Was man ja auch in den Aufnahmen sehen kann. Patrice hat uns dann sein gesamtes Material für den Film zur Verfügung gestellt und uns damit erst die Möglichkeit gegeben, Emmanuels Geschichte von verschiedenen Seiten aus im Vérité-Stil zu erzählen."

Sie durften ja auch das erste schwierige Wiedersehen mit Emmanuels Vater filmen. Und auch, als seine kleinere Halb-Schwester ihm erzählt, was sie selbst durchstehen musste, waren Sie dabei. Gab es da keine Widerstände seitens der Betroffenen?
"Wir mussten natürlich die Auswirkungen für die Familie, aber auch für ihn selbst bedenken und wir mussten unsere Entscheidungen in Bezug auf den Film treffen. Das war nicht immer einfach, aber Emmanuel war dabei stets einbezogen und im Endeffekt waren wir glücklicherweise immer der gleichen Meinung. Die Szenen mit seinem Vater und die mit seiner Schwester gehörten zum Schwierigsten, was wir für den Film gedreht haben. Insgesamt haben wir 14 Stunden im Haus seines Vaters und dem seiner Geschwister aufgenommen. Das war für die Crew unheimlich belastend, erst recht für Emmanuels Familie und ganz besonders für ihn und seine Schwester. Aber alle beide haben gesagt, dass sie diese Szenen in dem Film haben möchten, um der Welt mitzuteilen, welches Unrecht geschehen ist. Und weil ihnen bewusst ist, dass sie da eben nicht nur für sich, sondern für viele andere sprechen, denen es im Vergleich zu ihnen heute sehr viel schlechter geht."

Was bedeutet für Sie Kindheit?
"Im Grunde das, was Emmanuel alles nicht hatte. Die liebevolle Geborgenheit in der Familie, Stabilität, Schule und Bildung, Nahrung für Körper und Geist."

"War Child" ist Ihr erster Film. Was stand für Sie als Filmemacher im Vordergrund?
"Erst einmal die Idee, ein schwieriges Thema so aufzuarbeiten, dass sich das auch jüngere Menschen anschauen und dabei etwas Neues erfahren können. Es gibt ja einen Überdruss, sich mit Problemen zu beschäftigen. Denn jedes Mal, wenn man den Fernseher einschaltet, erhält man nur schlechte Nachrichten, hört man von Katastrophen, Terrorismus, von Toten und Verletzten. Und wenn man an Afrika denkt, haben wir auch immer nur Krieg, Gewalt, Korruption und Hungersnöte vor Augen. Aber hier haben wir eine junge sudanesische Persönlichkeit, die ihre Zukunft in die eigenen Hände nimmt, und die steht stellvertretend für viele hochintelligente Kinder, die wir in den Flüchtlingslagern kennen gelernt haben. Und wir wollten auch die anderen Seiten im Sudan zeigen – die Menschen, ihre Musik, die Schönheit der Natur mit ihren weiten Flächen, dem Wasser, den Tieren. Da ist eben nicht alles nur düster."

Wie sind Sie selbst zum Film gekommen?
"Na ja, an der Wiege ist mir das nicht gesungen worden. Mein Vater ist Deutscher, meine Mutter Ägypterin und zusammen mit meinen zwei Brüdern sind wir viel in der Welt rumgekommen, in Europa, in Amerika, im Nahen Osten. Aber aufgewachsen bin ich in Deutschland, wo mein Vater Staatssekretär im Auswärtigen Amt war. Ich habe dann in Washington politische Wissenschaften studiert. Eigentlich wollte ich nämlich auch in den diplomatischen Dienst gehen. Aber andererseits hatte ich immer eine Leidenschaft für den Dokumentarfilm und die Musik – so kam es zu der Idee mit der HipHop-Serie und am Ende zu 'War Child'."

Mit Christian Karim Chrobog sprach Uta Beth während der Berlinale 2008, wo "War Child" im Programm von 14plus lief

 

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„Dornröschen“|


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