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Ausgabe 64-4/1995

"Es muss immer ein Spiel sein"

Gespräch mit Catti Edfeldt zu ihrem Film "Sixten"

(Interview zum Film SIXTEN)

Das Kinderfilmfest der Internationalen Filmfestspiele Berlin 1995 wurde mit dem schwedischen Film "Sixten" eröffnet. Es ist der Debütfilm von Catti Edfeldt, eine Komödie über das Thema "Vater braucht eine Frau".

KJK: Die Reaktionen der Kinder nach der Premiere von "Sixten" beim Kinderfilmfest waren voller Begeisterung, die Fragen danach drehten sich allerdings weniger um den Filminhalt als um Peter Viitanen, der den Jungen Sixten spielt ...
Catti Edfeldt: "Es hat schon einige Fragen zum Film gegeben, aber wenn der Hauptdarsteller da ist, dann will man möglichst viel über ihn und sein Leben erfahren. Und wenn Kinder einen Film gesehen haben, dann wollen sie natürlich erfahren, ob der Peter genauso ist wie der Sixten im Film. Ich denke, den Erwachsenen geht es nicht anders: Wir haben doch auch bei großen Stars, die wir auf der Leinwand sehen, immer die Vorstellung, dass sie im normalen Leben genauso sind wie im Film."

Ihr erster eigener Spielfilm ist eher ein Familienfilm als ein Kinderfilm. Kann der Kinderfilm nur noch als Familienfilm überleben?
"In Schweden wird 'Sixten' als Familienfilm angekündigt, aber deshalb ist das für mich keine Absage oder ein Abrücken vom Kinderfilm. Für die Vermarktung von Filmen gibt es doch viele verschiedene Kategorien. Und das Etikett Kinderfilm spricht eher die Kleineren an, die Älteren wollen dann damit nichts mehr zu tun haben. 'Sixten' ist eher ein Film für Leute, die nicht mehr Kinder, aber auch noch nicht Jugendliche sind, sie stecken altersmäßig mittendrin und gehen auch schon allein in diesen Film. Aber ich möchte auch Eltern ansprechen, doch das ist sehr schwer."

Die Story des Films geht auf eine Erzählung von Ulf Stark zurück. Was hat Sie an dem Buch gereizt?
"Die Erzählung ist sehr knapp und es geht um einen achtjährigen Jungen, der sehr süß und sehr liebenswert ist. Mir war das viel zu süß, so süß wie Honig. Aber ich mochte die Geschichte und wir machten gemeinsam ein Treatment daraus, doch so richtig überzeugt davon waren wir nicht. Deshalb legten wir es wieder in die Schublade. Vier Jahre später kam dann eine Produzentin zu mir, die mit mir einen Kinderfilm realisieren wollte. Und sie fragte mich, ob ich nicht einen Filmstoff hätte. Ich erzählte ihr die Geschichte von Sixten und sie mochte sie auf Anhieb. Als ich mich das erste Mal mit dem Stoff beschäftigt hatte, wollte ich auch schon Peter Viitanen für die Hauptrolle nehmen. Er war damals neun Jahre alt, also genau im richtigen Alter. Aber in der Zwischenzeit war er dreizehn, deshalb haben wir dann das Buch verändert: Nicht nur den Jungen Sixten haben wir älter gemacht, sondern auch den Vater, der zwar ein Mann in den besten Jahren ist, aber seinen Sohn immer noch wie ein Kleinkind behandelt."

Das Grundmuster der Handlung heißt 'Vater braucht eine Frau' und solche Geschichten hat es im Kino schon öfter gegeben ...
Catti Edfeldt (lacht) "... ja, und es werden immer mehr, aber meine ist sicher die beste ..."

Was wollten Sie unbedingt anders machen?
"Ich kann nicht unbedingt sagen, dass ich eine großartige Intention hatte. Ich finde aber, dass es sehr schwer war, einen weiteren Film zu dieser Thematik zu machen. Hinzu kommt, dass es nicht allzu viele Frauen gibt, die Filme für Kinder machen. Aber wenn ich als Frau diesen Film mache, dann sollen auch Aspekte eine Rolle spielen, die in der ursprünglichen Erzählung überhaupt nicht vorkommen: So habe ich die Erinnerungen an die Mutter, die Telefonate mit ihr und die Sehnsucht nach einer intakten Familie hinzugefügt, in der Erzählung kam die Mutter gar nicht vor. Besonders wichtig ist mir die Szene, in der Sixten mit seiner Mutter telefonieren will, aber er erreicht nur den Anrufbeantworter."

Manche Passagen des Films könnten so auch in den 50er- oder 60er-Jahren spielen, ich denke da an die Szenen im Kino mit dem Tarzan-Film, anderes verweist eindeutig auf die 90er-Jahre. Wie kommt es zu diesen Widersprüchen?
"Ich wollte die Geschichte gar nicht in einer klar wiedererkennbaren Zeit spielen lassen. Ich mag zwar Filme, die heute spielen und ich sehe sie auch sehr gerne, aber ich selbst möchte andere Filme machen: Es soll nicht so leicht sein, sie zeitlich einzuordnen, es ist ein bisschen wie ein Spiel."

Trotzdem spricht das meiste dafür, dass der Film in den Neunzigern spielt ...
"...ja, was die sozialen Bedingungen angeht, aber in den Farben und auch in der Machart ist es eine Mixtur aus Vergangenheit und Gegenwart, aus vielen Dingen, die ich mag. Kritiker haben mir ja diese Nostalgie vorgeworfen, aber ich liebe es."

Wie ist es dazu gekommen, dass Sie im Bereich des Kinderfilms arbeiten?
"Ich mag es sehr, mit Kindern zu arbeiten, es ist ein großer Unterschied zwischen der Arbeit mit Erwachsenen und der Arbeit mit Kindern. Bei den Erwachsenen ist es relativ leicht, anspruchsvolle Szenen zu inszenieren. Bei Kindern ist das viel schwieriger, es muss ihnen Spaß machen, die Stimmung muss gut sein und es muss immer wie ein Spiel für sie sein, auch wenn es um ernste Szenen geht, es muss immer ein Spiel bleiben. Dieses Klima bei der Arbeit ist mir sehr wichtig. Es gibt so viele Regisseure, die ausschließlich Filme für Erwachsene machen, da ist schon wichtig, dass sich einige auf Filme für Kinder und vor allem über Kinder spezialisieren. Am besten sind aber Filme, die gleichermaßen Kinder und Erwachsene ansprechen.

In Ihrem Film gibt es viele Anspielungen auf andere Filmemacher wie Truffaut oder Fassbinder, im Kino läuft ein Tarzan-Film und im Autokino ist 'Montenegro or pigs and pearls' zu sehen ...
"... das ist einer meiner Lieblingsfilme. Diese Anspielungen geben wir die Möglichkeit, dem Film eine andere, eine weitere Dimension hinzuzufügen, es ist eine Art von Flirt mit Dingen, die man selber mag. Kinder können das noch gar nicht verstehen oder nachvollziehen, aber als Erwachsener hat man seine Freude daran."

Das Schwedische Filminstitut hat Sie als eine "Schülerin des Astrid-Lindgren-Regisseurs Olle Hellbom" bezeichnet, für mich unterscheidet sich aber Ihr Film recht deutlich von den idyllischen Bildern bei Olle Hellbom. Wo sehen Sie die Verbindungen zu Olle Hellbom?
"Er hat fast ausschließlich nur Filme nach den Kinderbüchern von Astrid Lindgren gedreht, und ich habe zehn Jahre mit ihm zusammengearbeitet. Ich konnte in dieser Zeit eine Menge von ihm lernen, er war ein wundervoller Lehrer. Aber seine Art von Filmen ist nicht mein Stil, ich bin gefragt worden, ob ich nicht seine Arbeit mit weiteren Verfilmungen von Astrid-Lindgren-Büchern fortsetzen will, aber ich habe das abgelehnt. Ich bin mit diesen Filmen aufgewachsen, aber ich möchte solche Filme nicht inszenieren, es ist nicht meine Welt."

In diesem Jahr hat das Kino 100. Geburtstag. Welcher Kinderfilm ist für Sie der schönste und wichtigste?
"Es sind zwei Filme, die ich ganz besonders mag. Der eine ist der schwedische Film 'Zappa', bei dem ich mir nicht sicher bin, ob man ihn in Deutschland kennt. Der andere Film ist 'Into teh West' von Mike Newell, eine Geschichte, die sozial-realistisch beginnt und dann phantastisch wird: Zwei Kinder aus den Slums von Dublin bekommen von ihrem Großvater einen Schimmel geschenkt, was die Behörden nicht dulden. Die Kinder entführen das Pferd und begeben sich auf eine abenteuerliche Reise."

Mit Catti Edfeldt sprach Manfred Hobsch

 

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