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Ausgabe 65-1/1996

DAS GEHEIMNIS DES SEEHUNDBABYS

THE SECRET OF ROAN INISH

Produktion: Jones Entertainment Group, USA/Irland 1994 – Regie, Buch, Schnitt: John Sayles, nach einer Kurzgeschichte von Rosalie K. Frey – Kamera: Haskell Wexler – Musik: Mason Daring – Darsteller: Jeni Courtney (Fiona), Eileen Colgan (Tess), Mick Lally (Hugh), Richard Sheridan (Eamon), John Lynch (Tadhg), Cillian Byrne (Jamie) u. a. – Länge: 103 Min. – Farbe – Verleih: Columbia (35mm) – Altersempfehlung: ab 8 J.

John Sayles dürfte den meisten Zuschauern vor allem als Regisseur von subtilen und sensiblen Filmen über ganz unterschiedliche Frauen und Männer bekannt sein, wie "Lianna", "City of Hope" oder "Passion Fish". Wenige kennen ihn vielleicht auch als Drehbuchautoren zahlreicher B-Picture-Filme wie "Piranhas" oder "Alligator". Eine weitere Facette seines künstlerischen Schaffens liefert Sayles nun mit "Das Geheimnis des Seehundbabys", in der er zum ersten Mal mit Kindern als Hauptdarstellern arbeitete. Gleichwohl handelt es sich hier keineswegs um einen reinen Kinderfilm. Sayles setzte eine alte irische Legende voller Magie und Realismus so um, dass sie jung und alt gleichermaßen ansprechen dürfte, also weder als reine Jugendvorstellung noch im Abendprogramm fehl am Platze ist.

Die elfjährige Fiona wird zu ihren Großeltern an die Westküste Irlands geschickt, da der alleinstehende Vater sich nicht mehr um das Kind kümmern kann. Zusammen mit ihrem 13-jährigen Cousin Eamon, der ebenfalls bei den Großeltern lebt, erkundet sie die der Küste vorgelagerte Insel Roan Inish, auf der die ganze Familie früher gewohnt hatte und um die sich viele Legenden bilden. Fionas kleiner Bruder Jamie war Jahre zuvor von dort beim Umzug mit seiner Wiege ins offene Meer gespült worden und soll einem Gerücht zufolge noch leben. Auch mit der Wiege hat es seine besondere Bewandtnis. Sie entstand Generationen zuvor, als ein Vorfahre der Familie einen Selkie zur Frau nahm, das sind geheimnisvolle Wesen, halb Mensch, halb Seehund, die an Land ihr Seehundfell abstreifen und als Menschen weiterleben müssen, wenn ihnen ihr Fell gestohlen wird. Auf der Insel entdeckt Fiona tatsächlich kleine Fußspuren im Sand und ist von nun an überzeugt, dass ihr Bruder noch lebt. Doch bevor die Kinder das Geheimnis der Insel lüften können, müssen sie ihre Großeltern erst noch dazu überreden, wieder in ihre Heimat auf die Insel zurückzukehren ...

Sayles wurde während der Dreharbeiten von "City of Hope" durch seine Produzentin auf den ungewöhnlichen Stoff aufmerksam, der bereits 1957 als Buch erschien. Er behielt die Fabel weitgehend bei und ließ sich auch von den ursprünglichen Zeichnungen der Autorin Rosalie K. Frey inspirieren, die am Ende des Films zu sehen sind. Sämtliche Dialoge und die Personenbeschreibungen entstanden jedoch nach seinen eigenen Vorstellungen. Auf diese Weise bleibt z. B. der keltische Mythos der Selkies unerklärbar übernatürlich – und ist dennoch vollkommen realistisch, genauso wie die Bevölkerung dort ihre Mythen wie selbstverständlich in die Alltagsrealität einzubinden weiß. Sayles schafft es sogar, Mythen manchmal glaubwürdiger erscheinen zu lassen, als so manche Handlung aus der Alltagrealität, etwa wenn die beiden Kinder binnen kürzester Zeit eine ganze Häuserzeile renovieren. Aber auch solche kleinen Ungereimtheiten schmälern nicht den Genuss an diesem modernen Märchen, bei dem Freunde irischer Musik und Landschaft ganz besonders auf ihre Kosten kommen.

Holger Twele

 

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Ausgabe 65-1/1996

 

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