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Ausgabe 65-1/1996

MISSISSIPPI – FLUSS DER HOFFNUNG

THE CURE

Produktion: Island World / Universal Pictures, USA 1995 – Drehbuch: Robert Kuhn – Regie: Peter Horton – Kamera: Andrew Dintenfass – Schnitt: Anthony Sherin – Musik: Dave Grusin – Darsteller: Brad Renfro (Erik), Joseph Mazzello (Dexter), Annabella Sciorra (Linda), Bruce Davison (Dr. Stevens), Diana Scarwid (Gail) u. a. – Länge: 88 Min. – Farbe – Verleih: Highlight Film (35mm) – FSK: ab 6 – Altersempfehlung: ab 12 J.

In seinem speziell Kinder und Jugendliche ansprechenden Spielfilmdebüt als Regisseur behandelt der amerikanische Schauspieler Peter Horton das schwierige, emotionsbeladene Thema Aids-kranker Kinder und ihre, von Vorurteilen und Unkenntnis hervorgerufene, gesellschaftliche Stigmatisierung.

Der elfjährige Dexter wohnt bei seiner alleinerziehenden Mutter. Über eine Bluttransfusion wurde er mit der tödlichen Immunschwächekrankheit Aids infiziert. Seitdem meiden ihn alle Kinder, man hält ihn für schwul und verhöhnt ihn gnadenlos. Im Nachbarhaus lebt der 13-jährige Außenseiter Erik ebenfalls allein bei seiner Mutter, die kaum Zeit für ihn übrig hat und ihm den Umgang mit Dexter verbietet. Gegen ihren Widerstand und die Beschimpfungen seiner Schulkameraden – die sämtliche Klischeevorstellungen und Vorurteile gegenüber Aids-Kranken abspulen – freunden sich die beiden Jungen eher zufällig an und verbringen bald ihre ganze Freizeit miteinander. Erik möchte sich nicht damit abfinden, dass sein Freund bald sterben könnte. Was wäre, wenn das heilbringende Gegenmittel zum Beispiel in Schokoriegeln oder in den Pflanzen der Umgebung versteckt ist? Zunächst überredet er Dexter, sein Taschengeld für Süßigkeiten auszugeben, später experimentiert er mit selbstgebrauten Tees aus Disteln, Gräsern und Blättern. Die Wirkung soll umso besser sein, je schlechter sie schmecken. Brav schluckt Dexter alles, bis er mit einer Vergiftung ins Krankenhaus eingeliefert wird. Als Erik bald darauf in der Zeitung von einem Arzt in New Orleans erfährt, der ein Wundermittel gegen Aids gefunden haben soll, macht er sich mit Dexter heimlich auf den Weg dorthin. Mit einem Floß und später per Motorboot geht es den Mississippi flussabwärts. Die abenteuerliche Reise schweißt die Freunde noch enger zusammen, gleichwohl endet sie im Krankenhaus und für einen der beiden sogar tödlich ...

Eine spannende Abenteuergeschichte über eine ungewöhnliche Freundschaft, deren pädagogisch aufklärerische Absichten unübersehbar sind. Das lässt den Film manchmal etwas konstruiert erscheinen, etwa wenn Erik bei seinen Schulkameraden zunächst um Toleranz für Dexter wirbt, um dann völlig unmotiviert mit einem Stein nach ihnen zu schmeißen, oder in der krassen Dichotomie der herzensguten Ideal-Mutter von Dexter und dem wirklich abschreckenden Gegenstück in Eriks Mutter. Dafür entschädigt zur Genüge das intensive, ungekünstelte Spiel der jugendlichen Hauptdarsteller (Joseph Mazzello dürfte vielen u. a. als der Junge in Spielbergs "Jurassic Park" in Erinnerung sein, und Brad Renfro gab sein Debüt in "Der Klient"). Verständnis, Freundschaft und Mitgefühl beseelen den ganzen Film, ohne in Hollywood-typischer Manier einfach nur auf die Tränendrüsen zu drücken. In seinen intensivsten Szenen ist der Film sogar ungewöhnlich zurückhaltend, geradezu sensibel in Szene gesetzt. Das Schicksal Aids-kranker Kinder und die Unausweichlichkeit ihres Todes werden im unmittelbaren Sinn des Wortes 'spielerisch' vermittelt, ohne dabei grob zu verharmlosen oder die Wirklichkeit zu verschleiern. Das macht den Film auch und gerade für Kinder und Jugendliche geeignet, die in puncto Spannung und Abenteuer ebenfalls auf ihre Kosten kommen.

Älteren Kinogängern (ab ca. 16 Jahren) sei zum thematischen, cineastischen und vor allem kritischen Vergleich und zur Ergänzung noch der russische Film "Mondhunde" (1994; erhältlich bei den Freunden der Dt. Kinemathek) empfohlen, der am Ende freilich nicht die positiven, versöhnlichen Gefühle erzeugt, die "Mississsippi – Fluss der Hoffnung" schon im deutschen Filmtitel anklingen lässt und ganz im Sinne der (Re-)Integration Aids-kranker Kinder auch konsequent einlöst, indem er die allen Belastungen gewachsene Freundschaft zwischen den beiden Jungen in den Mittelpunkt der Handlung setzt.

Holger Twele

 

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Ausgabe 65-1/1996

 

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