Produktion: Moving Pictures Productions, USA 1995 – Regie: Lesli Linka Glatter – Buch: I. Marlene King – Kamera: Ueli Steiger – Schnitt: Jacqueline Cambas – Musik: Cliff Eidelman – Darsteller: Christina Ricci/Rosie O'Donnell (Roberta), Thora Birch/Melanie Griffith (Teeny), Gaby Hoffmann/Demi Moore (Samantha), Ashleigh Aston Moore/Rita Wilson (Chrissy) u. a. – Länge: ca. 90 Min. – Farbe – Verleih: Constantin Film (35mm) – Altersempfehlung: ab 12 J.
Zurzeit kommt eine Welle von gefühlvollen Filmen aus Amerika, in denen die Entwicklung und das Schicksal von Frauen im Mittelpunkt steht: "Ein amerikanischer Quilt" von Jocelyn Moorhouse, "Verstand und Gefühl" von Ang Lee, "Warten auf Mr. Right" von Forest Whitaker. In "Now & Then – Damals und Heute" dreht sich die Handlung um vier Frauen und ihre Kindheit und wird von den Filmemacherinnen als weibliches Pendant zu "Stand by me" bezeichnet.
Zwei Frauen, die Schauspielerin Teeny und die arrivierte Schriftstellerin Samantha, kommen in das kleine Kaff "Gaslight Addition", in dem sie aufwuchsen – mehr aus freundschaftlicher Pflicht denn aus Freude. Empfangen werden sie von der konventionellen Chrissy, die Mutterfreuden entgegensieht, und der resoluten Ärztin Roberta, die beide ihrem Heimatort treu geblieben sind. Welten scheinen sie zu trennen. Doch nach einigen höflichen Plaudereien taut das Eis zwischen ihnen auf, sie erinnern sich an den Sommer 1970, in dem sie als Zwölfjährige einen Freundschaftspakt schlossen. Im Rückblick entsteht noch einmal die vordergründig heile Welt der Kindheit in einer puppenähnlichen Modellsiedlung, in der alles seine Ordnung hat. Die adretten Häuser samt geräumiger Garagen, der gepflegte Rasen, die proper gekleideten Bewohner, alles deutet auf Wohlstand und Wohlanständigkeit. Doch hinter den blitzblanken Fassaden ist nicht alles so, wie es sein sollte, die Mädchen leiden teilweise unter dem Unverständnis ihrer Familien. Da verlässt der Vater die Mutter und niemand darf's wissen, schließlich lässt man sich in "Gaslight Addition" nicht scheiden, sondern spielt das glückliche Paar bis zum Lebensende (auch wenn man sich die Nase blutig schlägt), da mangelt es an sexueller Aufklärung und man schwafelt stattdessen von Blumen und Bienen, ersetzen Eltern die notwendige Liebe und Anwesenheit durch teure Geschenke.
Die vier Mädchen mit ihren kleinen Kümmernissen schließen sich trotz ihrer Unterschiedlichkeit zusammen, kaufen sich gemeinsam ein Baumhaus, um aus der beengenden Umgebung fliehen zu können und dem Leben ein Stück Intimität abzutrotzen. Während Teeny schon von einer Schauspielkarriere träumt und sich Einlagen in den BH stopft, um weibliche Formen vorzutäuschen, bindet Roberta ihre Brust flach, weil sie sich ob der beginnenden Rundungen geniert, errötet Chrissy leicht beim Thema Sex und führt Samantha die Gruppe an, vor allem, wenn es darum geht, esoterische Experimente auf dem Friedhof durchzuführen. Dazu kommt natürlich die Neugierde auf das andere Geschlecht, mal geben sich Jungen und Mädchen burschikos und desinteressiert, und Samantha verprügelt auch schon mal einen Knaben, der sie ärgert, dann wieder kichern die Gören aufgeregt, als sie ihre Kumpels beim Nacktbaden sehen, kribbelt es beim ersten Kuss. Es ist ein Sommer, in dem nichts Besonderes passiert, aber dennoch die Weichen für die Zukunft gestellt werden, stehen die Mädchen doch an der Schwelle zur jungen Frau. Die letzte unbeschwerte Zeit der Kindheit, bevor der Ernst des Lebens beginnt.
Die engen Bande haben die Jahre überdauert und wenn am Ende sich das Quartett wieder trifft und über die Vergangenheit reflektiert, ist plötzlich auch dieses Gefühl der Verbundenheit und der Solidarität wieder da. Auch wenn sie getrennte Wege gingen, wissen die Frauen wieder, dass es Freundschaft gibt, die alles überdauert, Freundinnen, die da sind, wenn frau sie braucht. Gemeinsam bringen sie Chrissys Nachwuchs zur Welt, ein Mädchen, wie sollte es auch sein (und der Erzeuger taucht natürlich verspätet auf, als schon alles wieder vorbei ist, ganz wie im richtigen Leben). Die Leichtigkeit der Kindheit ist vorbei, die Realität forderte ihren Tribut. Doch die Erinnerungen an das Jahr 1970 haben ihnen neue Kraft gegeben, sie erneuern ihren Freundschaftspakt. Schließlich, so Samantha, "kann man vor den Enttäuschungen, die man verdrängt hat, davonlaufen und sie vergessen, aber nur durch die Akzeptanz der Vergangenheit kann man sich wirklich weiterentwickeln".
Lesli Linka Glatters Regiedebüt besticht durch die außergewöhnliche Leistung der jugendlichen Darstellerinnen und die genaue Beobachtung von Verhaltensweisen, aber auch durch die Warmherzigkeit, mit der sie nicht nur ihre Protagonistinnen und ihre Lebensentwürfe zeichnet, sondern fast beiläufig eine Epoche, die inzwischen in ihrer Idylle schon fern scheint. Eine leicht nostalgische Reise in die Vergangenheit, die in manchen Szenen zu Tränen rührt, aber immer die Balance zwischen Sentimentalität und Sentiment hält.
Margret Köhler
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