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Ausgabe 65-1/1996

Studiengang für Kinderfilm und Kinderfernsehen an der Hochschule für Film und Fernsehen Potsdam-Babelsberg geplant

Gespräch mit Prof. Dieter Wiedemann, Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" Potsdam- Babelsberg

Interview

KJK: Die Hochschule in Potsdam möchte sich in Zukunft stärker dem Kinderfilm zuwenden. Was muss man sich darunter genauer vorstellen?
Prof. Dieter Wiedemann: "Es gibt zwei Bereiche, in denen wir den Kinderfilm, und natürlich auch das Kinderfernsehen, stärker in das Bewusstsein der Hochschule bringen wollen. Der erste Bereich wäre ein Studiengang für Kinderfilm und Kinderfernsehen. Studiengang meint, dass Studentinnen und Studenten, die bereits ein Diplom haben, sich hier bewerben können und 15 Monate lang, möglicherweise auch 18 Monate lang, für Kinderfilm und Kinderfernsehen speziell ausgebildet werden. Die jetzigen Vorstellungen laufen etwa darauf hinaus, dass sie eine dreimonatige theoretische Grundausbildung bekommen, Kinderpsychologie, Pädagogik, Medienerziehung, sicher auch Medienrecht und dann schließt sich eine praktische Ausbildung an. Da wäre etwa Casting mit Kindern, Schreiben für Kinder oder Drehen mit Kindern. Also alles das, was man beachten muss, wenn man mit Kindern arbeitet.
Dafür hat die Hochschule in dieser Region gute Voraussetzungen. Es gibt die Tradition des DEFA-Kinderfilms und auch des Kinderfernsehens. Es gibt eine Reihe von Kollegen wie Rolf Losansky, Helmut Dziuba, Karola Hattop und andere bekannte Kinderfilmregisseure. Wir haben Christa Kozik als Autorin. Wir haben also eine Reihe bekannter Kinderfilmleute, die in diesem Raum leben und die sicher auch interessiert wären, ihre umfangreichen Erfahrungen an Studenten weiterzugeben.
Wir haben mit unserem Vorschlag bereits großes Interesse geweckt. Das gilt auch für die Landesregierung Brandenburg. Der Minister für Wissenschaft, Forschung und Kultur, Herr Reiche, hat diese Idee sehr gut gefunden. Interessanterweise hat das dänische Fernsehen, als wir von unserer Idee dort erzählten, sich sofort bereiterklärt, Praktikumsplätze zur Verfügung zu stellen. Wir hoffen, dass wir auch hier genug Fernsehanstalten finden, die sagen, dass sie entsprechende Plätze bereitstellen würden."

Wenn in Potsdam solche Pläne entwickelt werden, so kann man davon ausgehen, dass hier ein Bedürfnis für so einen Studiengang erkannt wurde. Woher resultiert der diesbezügliche Optimismus?
"Aus zwei Quellen. Erstens wird die zukünftige Zahl von Kinderkanälen auf spezifische ausgebildete Leute angewiesen sein. Ich habe gerade mit einem der Geschäftsführer dieser Kinderkanäle gesprochen, und er hat mir sein Leid geklagt. Er hat in Deutschland keine speziell ausgebildeten Leute für Kinderfilm und Kinderfernsehen gefunden. Man hat dann erst einmal irgendwelche Leute aus Frankreich oder USA für die Konzeption gewonnen. Ich halte diese Auffassung in der Absolutheit für problematisch. Allerdings zeigt sie mir zumindest, dass es einen Bedarf gibt. Wenn jetzt ARD und ZDF auch einen Kinderkanal planen, dann wäre das eine zweite Geschichte, wo wir einen Bedarf dafür erkennen. Außerdem glaube ich, dass Kindermedien insgesamt in der Gesellschaft an Bedeutung gewinnen. Das ist nicht so etwas, was man nebenbei macht, sondern die Kinder verlangen auch ein spezielles Eingehen auf ihre Bedürfnisse und das kann man nicht, wenn man wenig über Kinderpsychologie weiß, über Rezeptionsvermögen von Kindern und ähnliche Geschichten. Ich denke, dass der Bedarf jetzt schon da ist. Eigentlich ist es verwunderlich, dass noch niemand auf so eine Idee wie die unsere gekommen ist."

Was wäre der zweite Bereich, wo sich die Hochschule speziell dem Kinderfilm zuwendet?
"Wir planen, vom 22. bis 24. November 1996 gemeinsam mit der Gesellschaft für Medienpädagogik und Kommunikationskultur und dem Medienpädagogischen Zentrum in Potsdam eine Tagung zu Kindermedien im digitalen Fernsehzeitalter zu veranstalten. Dort soll übrigens auch der neue Studienplan erstmalig zur Diskussion gestellt werden. Bis dahin muss er also fertig sein, um ihn auf der Tagung mit Expertinnen und Experten diskutieren zu können. Wir wollen Vertreter der Kinderkanäle einladen, aber auch die der traditionellen Kindersendungen einladen. Weiterhin wollen wir Wissenschaftler, Pädagogen und auch Studenten einladen. Mit allen gemeinsam wollen wir dann nicht nur über unser spezielles Thema diskutieren, sondern z. B. auch darüber, ob überhaupt der Kinderfilm im Kino noch eine Chance hat, und wo er am besten eingesetzt werden könnte. Ich denke, wir werden dann auch Verleiher einladen."

Die Tagung ist sicher als ein wichtiger Zwischenschritt zur Einrichtung des beschriebenen Studiengangs zu betrachten. Wann soll dieser dann aber konkret beginnen?
"Ich vermute, vor 1997 geht das nicht. Also der Studiengang muss ja beantragt werden. Wenn das Curriculum fertig ist, muss die Landesregierung zustimmen, und es muss die Prüfungsordnung geschrieben werden. Dann brauchen wir Partner, die in den Medien selbst arbeiten. Hier geht es z. B. um Praktikumsplätze. Also vor 97 denke ich nicht, weil wir es einfach nicht schneller schaffen. Es ist immerhin ein völliger Neubeginn. Zwar gibt es Vorarbeiten von der Universität Bielefeld. Sie sind aber auch noch nicht soweit, dass man da direkt ein Curriculum ableiten könnte. Weiterhin geht es nicht zuletzt um die Finanzierung. Aus dem jetzigen Hochschuletat kann das nicht gemacht werden. Es bedarf also zusätzlicher Gelder, was bei den überall angespannten Kassen nicht so einfach ist."

Es heißt Kinderfilm und -Fernsehen. Über das Fernsehen haben Sie jetzt einiges gesagt, und das ist ja auch offensichtlich der Trend. Was bedeutet Ihnen aber Kinderkino. Hat das eine Perspektive? Was spielt das für eine Rolle bei den Überlegungen für den Studiengang?
"Also, wenn ich im Kinderkino keine Perspektive sehen würde, dann müsste ich ja auch aufhören. Es ist im Moment schwierig, weil die Lage der Kinos und der Verleiher etwas kompliziert ist. Vom Festival 'Goldener Spatz' ausgehend, gibt es aber beispielsweise eine Überlegung, eine Art Nationale Stiftung für Kinderfilm zu schaffen. Das fände ich sehr gut. Man sollte die Kräfte auch bündeln. So wäre es möglich, dass man in Deutschland – und zwar gut ausgestattet und gut finanziert – zwei, drei Kinderfilme produziert und diese dann in die Kinos bringt. Man müsste eine angemessene Verleihförderung und ähnliches entwickeln. Es gibt genügend Instrumentarien, die ja für andere Filme auch funktionieren. Wieso sollte das nicht für Kinderfilme gehen. Warum kann beispielsweise das BMI nicht einen Fond von, sagen wir 20 Millionen Mark ausschließlich für den Kinderfilm zur Verfügung stellen."

Ist das eigentlich etwas, das wir uns als medienpädagogisch Interessierte und etwas missionarisch Veranlagte wünschen oder sind das Forderungen, die sich wissenschaftlich irgendwo belegen lassen? Gibt es z. B. Untersuchungen, aus denen man ableiten kann: Das Bedürfnis ist so groß, es sind nur die Bedingungen für den Kinderfilm nicht da.
"Also alle Untersuchungen, die ich kenne, zeigen, dass das Kino in der Bedürfniswelt der Kinder eine wichtige Rolle spielt. Das Deutsche Jugendinstitut in München hat solche Untersuchungen durchgeführt, das ehemalige Zentralinstitut für Jugendforschung in Leipzig auch. Die Studie Kinder und Medien, die von der ARD/ZDF-Medienkommission durchgeführt wurde, zeigt das eigentlich auch. Also es gibt genügend empirische Belege, es muss jetzt einfach umgesetzt werden, und es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass die Kinder überhaupt die Möglichkeit haben, Kinderfilm im Kino zu sehen und nicht nur Megaproduktionen aus Hollywood. Außerdem ist es für Kinder doch interessanter, mit anderen etwas gemeinsam zu erleben, als allein vor dem Fernsehapparat zu sitzen. Und es hat auch etwas mit Kinokultur zu tun, und die fängt nun einmal bei Kindern an und geht nicht erst bei Erwachsenen los."

Sie berufen sich auf die DEFA-Traditionen und auf die Traditionen des DDR-Kinderfernsehens. Gibt es noch andere Linien, z. B. Osteuropa, Skandinavien, Kanada etc.?
"Der Studiengang ist nicht so gedacht, dass er nur die Region hier berücksichtigt. Es sind nur die Bedingungen hier besonders günstig. Es gibt auch in den alten Bundesländern eine Reihe von Kinderfilmfreaks, die in unser Projekt natürlich einbezogen werden sollen. Und wie gesagt, wir waren in Dänemark, ich war deswegen auch schon in Holland. Natürlich wollen wir die osteuropäische Kinderfilmtradition einbeziehen. Sie droht ja in der jetzigen schwierigen Situation einzugehen. Das, was wir machen, könnte vielleicht auch ein Anschub für die dortige Produktion sein. Es ist wichtig, dass der Kinderfilm über einen solchen Studiengang wieder in die Diskussion kommt, und zwar nicht nur in Form von Kinderkanälen. Es soll deutlich werden, dass einfach da auch Traditionen weitergeführt werden können. Wir wissen aber auch, dass nicht alles eine Hochschule allein leisten kann. Ich verstehe uns als Initiator, aber nicht als allein Verantwortlichen."

Wird denn der Kinderdokumentarfilm auch eine Rolle spielen?
"Ich weiß nicht, ob wir uns das alles vornehmen können. An der Hochschule wird der Dokumentarfilm für Erwachsene zumindest ausgebildet, wir haben Professoren dafür. Ob wir auch den Kinderdokumentarfilm einbeziehen können, das ist eine Kräftefrage. Im Moment setzen wir Schwerpunkte, und die wären für mich im fiktionalen Bereich."

Viel Erfolg bei der Umsetzung der anspruchsvollen Pläne!

Das Gespräch führte Klaus-Dieter Felsmann

 

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