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Ausgabe 67-3/1996

Distanz und Achtung – das ist das Rezept

Gespräch mit Wolfram Paulus, Regisseur des Films "Ein Rucksack voller Lügen", und dem Produzenten Josef Koschier

(Interview zum Film EIN RUCKSACK VOLLER LÃœGEN)

Beim diesjährigen Kinderfilmfest München hatte ein Film aus der Leoganger Kinder-Kultur-Werkstatt Premiere und wurde zum Überraschungserfolg, nicht nur für den Regisseur, sondern auch für den Produzenten.

KJK: Herr Koschier, wann sind Sie als Produzent in das Projekt eingestiegen?
Josef Koschier: "Ziemlich zum Schluss. Ich wusste, dass Wolfram Paulus so etwas mit Kindern macht. Wir haben schon früher gemeinsam gearbeitet. Das erste von diesem neuen Projekt sah ich auf Video, und ich fand es witzig, frisch und habe schallend gelacht. Ich konnte mir dafür ein professionelles Format vorstellen."

Wie war die finanzielle Lage?
Koschier: "Wir haben die Möglichkeiten des Vereins Kinder-Kultur ausgelotet, kleinere Sponsorengelder aufgetrieben, so zwischen sieben- und fünfzehntausend Mark. Ich sagte mir, den Rest – über fünfzig Prozent der Kosten – riskiere ich selber."

Bekam der Film Mittel von der österreichischen Filmförderung?
Koschier: "Nein. Dort glaubte niemand so recht an dieses Projekt. Und jetzt kommt alles zusammen: Wir haben einen Verleiher gefunden, beim Münchner Kinderfilmfest wurde der Film gut präsentiert, und inzwischen ist er schon europaweit ans Fernsehen verkauft."

KJK: Wie viel hat der Film insgesamt gekostet?
Koschier: "Eine halbe Million Mark – das ist nicht Low-Budget, sondern No-Budget ... Und noch eins: Mit Kindern zu arbeiten, ist leichter als mit Profischauspielern, und Wolfram Paulus ist wirklich ein Genie im Umgang mit Kindern."

KJK: Herr Paulus, haben Sie auch eigene Kinder?
Wolfram Paulus: "Ja, drei Buben, zehn, sieben und vier Jahre alt, lebhafte Jungen ..."

KJK: Sind die auch im Film zu sehen?
Paulus: "Nur der Zehnjährige als Statist. Nach dem Erlebnis mit meinem ältesten Sohn, der seine erste Rolle mit sechzehn Monaten spielte, sagte ich mir, nie wieder mit eigenen Kindern! Entweder man traut sich ihnen gegenüber nicht so viel – oder die trauen sich zu viel oder zu wenig ..."

KJK: Wo und wie finden Sie Ihre Kinderdarsteller?
Paulus: "Ich suche, suche, suche, mache viel Casting, denn in erster Linie geht es mir um Gesichter. Zum Teil weiß man, was man sucht und kann es nicht erklären, kann die Gesichter nicht beschreiben. Man kann drei Monate suchen oder nur eine Woche."

KJK: Aber Gesichter müssen auch spielen können ...
Paulus: "Zuerst ein Foto, dann Probeaufnahmen auf Video, es ist wie ein Trichter. Bei meinem vorigen Film 'Ministranten' kontaktierten wir 25.000 Kinder, sichteten 2.500 Fotos, wählten 250 Kinder für Probeaufnahmen aus, 25 blieben übrig, und aus diesen habe ich alle Haupt- und Nebenrollen besetzt."

KJK: Muss es einen "Draht" zwischen Regisseur und Kinderdarstellern geben?
Paulus: "Das habe ich noch nie so richtig rausbekommen. Die Kinder, mit denen ich zusammenarbeite, suchen keinen Herzenskontakt zu mir, und ich auch nicht zu ihnen. Wichtig ist, dass sie psychisch fit sind und gut in der Schule, dass sie gut aussehen und sich auch veräußern wollen. Fotogenität macht sehr viel aus, ich kann das nicht so richtig erklären, ich denke, man muss sie gern sehen mögen. "

KJK: Woher kommen die drei jungen Hauptdarsteller?
Paulus: "Judith Feldner (Kathi) kommt aus Salzburg, Philipp Prandstätter (Hannes) aus dem Pinzgau und Georg Aigner (Joschi) aus der Leoganger Gruppe."

KJK: Sind Sie zufrieden mit dem Ergebnis?
Paulus: "Ich hätte die drei gern noch ein bisschen mehr herausmodelliert, aber das war nicht möglich."

KJK: Warum nicht?
Paulus: "Es war ein wenig Kampf insofern, als sie immer gekichert und gelacht haben, die waren richtig in der Vorpubertät. Aber zum Schluss hin sind sie auf den Geschmack gekommen."

KJK: Kinder waren bei diesem Film nicht nur vor der Kamera, sondern auch an der Geschichte beteiligt ...
Paulus: "Man hatte mich als Regisseur in die Drehbuchwerkstatt nach Leogang geladen. Ich gab den Kindern die Empfehlung: Sucht euch Geschichten, in denen ihr euch auskennt, die nicht weit hergeholt sind. So kam es zur Idee mit dem Schulausflug. Als sich die Gruppe der Schreiberlinge auf dieses eine Stück eingeschworen hat, fingen wir an, das Ganze zu strukturieren. Es entstand ein Exposé von etwa sechs Seiten. Wir analysierten, was ist drinnen, was fehlt, bauten ein dramaturgisches Gerüst. Acht Kinder, Buben und Mädchen, schrieben vier Teile, also jeweils zwei an einem Teil etwa fünfzehn Schreibmaschinenseiten. So hatten wir nach einer Woche sechzig Seiten."

KJK: Mit fertigen Dialogen?
Paulus: "Nein, ich merkte bald, das würde die Kinder überfordern. Es ist einfacher für sie, etwas zu beschreiben als auszuschreiben."

KJK: Wie lief das konkret ab?
Paulus: "Ich blieb im Hintergrund, ein bisschen schützend und richtungweisend, holte die Kinder immer wieder auf den Boden zurück, wenn sie in Richtung Fernsehen, Science Fiction, Krimi abdrifteten. Ich ließ jedes Duo den ganzen Tag arbeiten, las abends das Ergebnis, resümierte darüber, am nächsten Tag ist es weitergegangen und zum Schluss haben wir alle zusammen darüber gesprochen."

KJK: Hat sich die Geschichte im Lauf der Zeit verändert?
Paulus: "Ursprünglich war das Mädel nicht dabei, ging es nur um zwei Buben. Ich sagte, schaut mal, ob nicht ein Mädchen dazukommen könnte, als dramaturgisches Moment sozusagen. Wenn ihr euch nicht wohl dabei fühlt, ist das Mädel wieder draußen. Aber sie fühlten sich wohl dabei – und ich habe mich lange nicht mit der Idee des Ganoven anfreunden können."

KJK: Was hatten Sie stattdessen im Sinn?
Paulus: "Ich hatte einen dubiosen alten Mann entworfen, doch dagegen hatte der Produzent etwas einzuwenden. Jetzt bin ich sehr froh über Rolf Zacher in der Rolle des Diamantendiebes."

KJK: Brachten die Kinder beim Drehen Eigenes ein?
Paulus: "Nach ein paar Tagen Dreharbeit entwickelte sich ihr Selbstbewusstsein spürbar. Die waren nicht mehr mit allem einverstanden und sagten bei manchen Dialogen: Das mag ich aber nicht sagen!"

KJK: Und wie haben Sie reagiert? Gibt es ein Rezept, mit Kindern zu arbeiten?
Paulus: "Distanz und Achtung. Es darf nicht zu gemütlich werden, nicht Bussi-Bussi, ich brauche das nicht, und die Kinder auch nicht. Autorität ist wichtig. Letztendlich bin ich die einzige Autorität am Set. Andere im Filmteam müssen das auffangen, die haben mit den Kindern gebusselt, gespielt, mit ihnen getobt. Andererseits: Die jungen Darsteller werden von mir behandelt wie Schauspieler, gefordert und geachtet, und das ist gar nicht ohne ..."

KJK: War die Arbeit schön für Sie?
Paulus: "Nach jedem Film mit Kindern sage ich mir, nie mehr im Leben einen Kinder-Film! Aber man erholt sich schnell davon. Und wenn man dann ein solches Echo wie hier auf dem Münchner Kinderfilmfest bekommt – das Echo ist so wichtig – macht man es immer wieder."

Mit Wolfram Paulus und Josef Koschier sprachen Gudrun Lukasz-Aden und Christel Strobel

 

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